Anschlag auf Nord Stream: Billigte Wolodymyr Selenskyj den Anschlag?
Neue Erkenntnisse zum Nord-Stream-Anschlag: Ukrainische Offiziere sollen involviert sein. Präsident Selenskyj gerät unter Verdacht. Wusste er mehr, als er zugibt?
Die Anschläge auf die Ostseepipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 geben weiterhin Rätsel auf. Jüngsten Medienberichten zufolge hatte die deutsche Bundesanwaltschaft einen der mutmaßlichen Täter im Visier, der sich jedoch in die Ukraine absetzen konnte.
Schuldzuweisungen zwischen deutschen und polnischen Behörden
Bei dem Verdächtigen handelt es sich um den ukrainischen Taucher Wolodymyr Z., der zwischenzeitlich in Polen gelebt haben soll. Nachdem gegen ihn ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden war, floh er in seine Heimat.
Nach seinem Verschwinden begannen gegenseitige Schuldzuweisungen. Nach einem Bericht von Bloomberg beklagten sich deutsche Ermittler über die mangelnde Kooperation ihrer polnischen Kollegen.
Der polnische Generalstaatsanwalt wiederum schob den schwarzen Peter den deutschen Beamten zu. Die Behörden der Bundesrepublik hätten es versäumt, den Namen des Verdächtigen in eine Fahndungsdatenbank einzutragen. Nur so habe Wolodymyr Z. ungehindert die Grenze passieren können.
Brisante Enthüllungen: Kiew soll Angriff gebilligt haben
Wie auch immer die Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Behörden war, das Wall Street Journal (WSJ) hat eine weitere Geschichte präsentiert, die nicht nur die ukrainische, sondern auch die deutsche Regierung in Verlegenheit bringen könnte. Demnach soll die Regierung in Kiew den Angriff auf die deutsche Energieversorgung gebilligt haben.
Noch am Mittwoch hatte die Bundesregierung erklärt, die Ukraine unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen weiter unterstützen zu wollen. Ein Regierungssprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die Ermittlungen hätten keinen Einfluss darauf, ob und in welchem Umfang Deutschland die Ukraine weiter unterstützen werde.
Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung einen völkerrechtlich als Kriegshandlung zu wertenden Angriff auf kritische Infrastruktur tolerieren würde, wenn er mit dem Wohlwollen der ukrainischen Regierung durchgeführt würde.
Hinter dem Plan soll eine Handvoll hochrangiger ukrainischer Offiziere und Geschäftsleute gestanden haben, heißt es im WSJ-Bericht. Als sie im Mai 2022 bei einem Fest mit reichlich Alkohol von patriotischem Eifer beflügelt wurden, sei der Plan entstanden.
CIA versuchte Operation zu stoppen
Zunächst habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Plan zugestimmt. Das Wall Street Journal beruft sich auf einen Offizier, der daran beteiligt gewesen sein soll, sowie auf drei mit der Sache vertraute Personen.
Dann habe der US-Geheimdienst CIA von dem Plan erfahren und Selenskyj gebeten, den Stecker zu ziehen. Dieser habe den Abbruch befohlen, doch der frühere ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj, der die Operation leitete, habe sie trotzdem fortgesetzt.
Die WSJ-Journalisten sprachen nach eigenen Angaben mit vier hochrangigen ukrainischen Verteidigungs- und Sicherheitsbeamten. Alle seien entweder an dem Angriff auf die deutsche Energieversorgung beteiligt gewesen oder hätten direkt davon gewusst. Und alle hätten in den Pipelines ein legitimes Kriegsziel gesehen.
Deutsche Ermittlungen stoßen auf politischen Widerstand
Teile der Aussagen seien schließlich auch durch die Ermittlungen der deutschen Polizei bestätigt worden. Nur, so der WSJ-Bericht, hätten die deutschen Beamten den ukrainischen Präsidenten nicht mit der Operation in Verbindung gebracht. Vielmehr hätten sich die deutschen Ermittler auf Saluschnyj und seine Helfer konzentriert, auch wenn es dafür noch keine gerichtsfesten Beweise gebe.
Doch die Ermittlungen stießen offenbar bei einigen Politikern in Deutschland auf wenig Gegenliebe. Im WSJ-Bericht heißt es:
Einige deutsche Politiker waren möglicherweise bereit, Beweise zu übersehen, die auf die Ukraine hindeuten, aus Angst, die heimische Unterstützung für die Kriegsanstrengungen zu untergraben. Doch die deutsche Polizei ist politisch unabhängig und ihre Ermittlungen verselbstständigten sich, als sie eine Spur nach der anderen verfolgten.
Die Brisanz der Ermittlung brachte ein deutscher Beamter auf den Punkt:
Ein Angriff dieses Ausmaßes ist ein ausreichender Grund, um die kollektive Verteidigungsklausel der Nato auszulösen, aber unsere kritische Infrastruktur wurde von einem Land in die Luft gesprengt, das wir mit massiven Waffenlieferungen und Milliarden an Bargeld unterstützen.
Saluschnyj weist Vorwürfe zurück
Vorwürfe, er habe von dem Anschlag gewusst, bezeichnete Saluschnyj als "reine Provokation". Zudem sei das ukrainische Militär nicht zu Auslandseinsätzen befugt. Ein hochrangiger Vertreter des ukrainischen Geheimdienstes stellte sich auf Anfrage des WSJ schützend vor Präsident Selenskyj. Dieser habe "die Durchführung solcher Aktionen auf dem Territorium von Drittstaaten nicht gebilligt und keine entsprechenden Befehle erteilt".
Sollte sich der WSJ-Bericht eines Tages als wahr erweisen, wäre ein weiteres Detail von historischem Interesse. Demnach soll der Plan für einen Angriff auf die Nord-Stream-Pipeline bereits 2014 ausgearbeitet worden sein. Urheber waren demnach ukrainische Militärs in Zusammenarbeit mit westlichen Experten. Aus Kosten- und Aufwandsgründen wurde er 2022 aber nicht umgesetzt, sondern modifiziert.