Klimastreik: Wie die Eliten seit fünf Jahren gegen Generation Alarm kämpfen
- Klimastreik: Wie die Eliten seit fünf Jahren gegen Generation Alarm kämpfen
- Verschweigen, Umarmen, Denunzieren
- Studie: Ziviler Ungehorsam für Kursänderung notwendig
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2018 hielt Greta Thunberg das Schild mit "Skolstrejk för Klimatet" hoch. Was danach folgte, ist ein historischer Ringkampf. Warum Störaktionen dem Klimaschutz nicht schaden, sondern helfen.
Erinnern wir uns an die Jahre 2018, 2019: Extreme Temperaturen auch in Deutschland, kaum Niederschlag, Dürre. Vor allem Alte und Kranke, die Natur und viele Bauern leiden unter der Hitze und Trockenheit. Die Auswirkungen der Klimakrise sind für alle deutlich sichtbar.
Zugleich protestieren Bewegungen in den Kohletagebauen im Rheinland und in der Lausitz. Sie fordern angesichts der Krise einen schnellen Ausstieg aus der Kohlenutzung und den Umstieg auf Wind und Sonne. Die Polizei geht mit Gewalt gegen die friedlichen Protestierenden vor, mit Pfefferspray, Tritten und Schlägen.
Einige Aktivist:innen werden später zu Millionen-Schadensersatzzahlungen verurteilt, andere müssen für ihren zivilen Ungehorsam für Monate ins Gefängnis. In der Bildzeitung nennt der RWE-Chef Rolf Martin Schmitz sie "Öko-Terroristen", die Süddeutsche Zeitung wirft die Demonstrierenden in einen Topf mit "Reichsbürgern, Rechtsradikalen und anderen Rechtsbrechern".
Aber weder Hitze, Dürresommer noch Kohleproteste führten dazu, dass den Politiker:innen in den Sommerinterviews von ARD und ZDF Fragen zum Klima gestellt wurden. Was musste denn noch passieren, um die Krise auf die Agenda zu bringen oder gar Alarm zu schlagen?
Es sollte etwas passieren. Und es begann mit dem, woran wir uns alle längst gewöhnt haben: Stürme, Dürren, abschmelzende Gletscher und Eisberge, Anstieg des Meeresspiegels, Klimaflüchtlinge, Prognosen über den langsamen Zusammenbruch der Öko-Systeme und unbeirrt weiter steigende Treibhausgase.
Eine achtjährige Schülerin erfuhr im Unterricht vom Klimawandel und konnte danach nicht mehr in ihr bisheriges Leben zurückkehren. Sie begann, sich Dokumentarfilme anzuschauen und wissenschaftliche Studien zur Klimakrise zu lesen. Ziemlich komplizierter Stoff für ein Mädchen, das noch nicht einmal im Teenageralter war.
Die Schülerin lernte, dass die Staaten, die hauptverantwortlich für die drohende Katastrophe sind, seit Jahrzehnten fast nichts getan haben und weiterhin nichts tun wollen. Niemand um sie herum schien aber besorgt zu sein – ihre Eltern nicht, und keiner in der Schule. Man sagte ihr, dass sie keine Angst haben müsse, die Verantwortlichen werden das schon regeln.
Im Alter von elf, ein Jahr vor dem Pariser Klimaabkommen, hörte sie auf, mit anderen Menschen als ihren Eltern und Familienangehörigen zu sprechen. Selektiver Mutismus, attestierten die Ärzte. Sie konnte fast nichts mehr essen und drohte zu verhungern, während sie in eine schwere Depression rutschte.
Ihr Asperger-Autismus ist, wie oft bei dieser Diagnose, verbunden mit hohen kognitiven Fähigkeiten, was aber auch die Unfähigkeit einschließt, Widersprüche zu überspielen. Was nun folgte, scheint also eine Art Überlebensstrategie gewesen zu sein.
Das Mädchen knipste das Licht im Haus aus, überzeugte die Eltern, Abstand zu nehmen vom Fliegen und Fleischessen. Dann malte sie ein Schild und setzte sich am 20. August 2018, inmitten von Dürre- und Hitzewellen, Waldbränden und drei Wochen vor der Wahl zum schwedischen Reichstag, vor das Parlament in Stockholm. Auf dem Schild stand der einfache, heute weltbekannte Spruch: "SKOLSTREJK FÖR KLIMATET" (Schulstreik fürs Klima).
Greta Thunberg war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 15 Jahre alt. Ihr persönlicher Streik entfachte einen Flächenbrand – aber einen anderen als den Trumpschen in den USA. Es war eine Art Gegenfeuer.
Löschkräfte wenden diese Technik bei Waldbränden an, um der Brandwalze den Sauerstoff zu entziehen. Doch der Vergleich trifft nicht ganz zu. Denn als Thunberg sich allein mit dem Schild vors Parlament setzte, erwartete sie sich nicht viel davon. Ihre Eltern und Lehrer waren dagegen, Passanten mokierten sich über sie.
Thunberg streikte, weil sie nicht anders konnte, nicht, um politische Wirkung zu erzeugen. Auf die Idee war sie durch Schüler:innen in Florida gekommen, die sich nach einem Amoklauf geweigert hatten, in die Schule zurückzukehren und ein härteres Waffengesetz forderten.
Der Brand entzündete sich in der Fläche auch nicht, weil sie etwas Neues und Besonderes getan hätte. Schilder in die Luft halten, streiken, Monate in Baumhäusern ausharren, Haftstrafen oder gar den Tod riskieren – alle diese Formen des Widerstands hatte es schon lange gegeben.
An Thunbergs Protest verdichtete sich vielmehr die Klimakrise wie durch ein Brennglas: das Versagen der Regierungen, politische Heuchelei, gesellschaftliches Wegschauen, Beschwichtigen, Hilflosigkeit angesichts des Erstarkens rechtsradikaler Kräfte, Ignoranz gegenüber der Wissenschaft. Der Zündfunke fand zudem Nahrung, weil die protestierende Generation entzündbar war.
Junge Menschen hatten genug von netten Worten und Vertröstungen. Ähnlich fühlten auch viele Erwachsene. Es gab einen Hunger nach Wahrheit, der den Funken nicht verglühen ließ. Denn die Illusion von "Alles wird am Ende gut" hatte starke Risse bekommen in den Jahren des Aufschiebens, es brodelte nicht mehr nur unter der Oberfläche.
Greta Thunberg brachte es schnörkellos auf den Punkt: Wir müssen den Kompass umstellen, und zwar sofort. Das fordere nicht sie, das forderten Wissenschaft und CO2-Budget.
Warum sollen wir für eine Zukunft lernen, die es vielleicht bald nicht mehr gibt, weil niemand etwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten? Und was für einen Sinn hat es, im Bildungssystem Dinge zu lernen, wenn die wichtigsten Tatsachen, die uns die beste Wissenschaft in eben diesem Bildungssystem liefert, von unseren Politikern und unserer Gesellschaft ignoriert werden.
Die schwedischen Zeitungen berichteten vom ersten Tag an über Thunberg. Während sie noch allein vorm Parlament ausharrte, stand ihr Bild bereits auf der Titelseite der Stockholmer Ausgabe von Dagens Nyheter. Via Social Media verbreitete sich die Nachricht vom Streik viral.
Die internationale Presse schloss an die schwedischen Berichte an. Am 27. August brachte die Taz in Deutschland einen Artikel über "Greta", wie sie genannt wurde. Da saßen an ihrer Seite bereits 35 Schüler:innen, auch Erwachsene und ein Lehrer.
Ein BBC-Bericht veranlasste Arnold Schwarzenegger Anfang September zu einem Tweet: "Ich finde es toll, wenn jemand sich nicht nur beschwert, sondern rausgeht und etwas unternimmt. Du inspirierst mich." Schwarzenegger lud sie zu einem Treffen nach Wien ein. Sie antwortete: "Ich bin dabei. Hasta la vista baby!" Schwarzenegger hat 4,5 Millionen Follower auf Twitter.