Klimastreik: Wie die Eliten seit fünf Jahren gegen Generation Alarm kämpfen

Seite 3: Studie: Ziviler Ungehorsam für Kursänderung notwendig

Auch wenn die Klimaproteste 2019 in Deutschland im ersten Anlauf keine Kursänderung erwirken konnten und abgespeist wurden mit dem üblichen "Weiter so!": Die Schulstreiks waren keineswegs ein Misserfolg. Das öffentliche Spotlight auf das Versagen der Bundesregierung zeigt deutlich, dass sich der Klimadiskurs gedreht hat und die Politik in die Defensive geraten ist.

Die Bundesregierung wirkte als unglaubwürdige Krisenmanagerin, die ihr Versagen nicht mehr kaschieren konnte. Zwar hielt sie vorerst am Kurs Klimakollaps fest, aber als Getriebene, während die großen Parteien im Zuge der Streiks einen Image- und sogar einen ersten Wählerverlust hinnehmen mussten.

Eine weitere unmittelbare Leistung von Fridays for Future und den Demonstrationen war, die Budgetrechnung, die die Menge an Treibhausgasen berechnet, die noch in die Atmosphäre entlassen werden darf, in die öffentliche Debatte eingebracht zu haben. Denn eine ihrer Kernforderung ist neben einer klimagerechten und sozialen Lösung, dass aufgrund des dahinschwindenden Budgets die Dekarbonisierung der Industriestaaten nicht bis 2050, sondern bis spätestens 2035 abgeschlossen sein muss.

Das erhöhte den Druck auf die Politik. Die EU-Kommission kündigte im Dezember an, die Reduktionsziele der Mitgliedsstaaten für 2030 von 40 auf 50 bis 55 Prozent anzuheben. Eine Billion Euro sollen dafür an Investitionen mobilisiert werden. Deutlich zu wenig – es bleiben viele Leerstellen und Schlupflöcher, der Kompass wird bei weitem nicht auf Kursänderung gestellt. Aber es war ein Anfang, eine erste, vorsichtige Kurskorrektur.

Die Bundesregierung wiederum musste angesichts der öffentlichen Reaktionen das Klimapaket nachbessern. Ein weiterer Beleg, dass beim Klimaschutz die Selbstherrlichkeit der politischen Klasse ins Wanken geraten ist.

Das Protestjahr 2019 zeigt aber auch, dass der Kampf um eine Kursänderung erst begonnen hatte. Er wurde nun auch mit härteren Bandagen ausgetragen. Als Greta Thunberg im September 2019 bei den UN in New York Beschwerde gegen die Klimapolitik von Deutschland und Frankreich einlegte, reagierten Macron und Merkel mit brüsken Zurechtweisungen auf das, was ein französischer Minister als "Verzweiflung (…) an Hass grenzend" bezeichnete. Heute markieren die Hetze gegen die Letzte Generation und die Kampagnen gegen die Heizwende die Frontstellungen.

Doch nicht nur "Teflon"-Merkel und Co. können in Stürmen auf Kurs bleiben. Auf der UN-Klimakonferenz in Madrid drei Monate danach hielt Greta Thunberg erneut eine Rede. Sie verwies darauf, dass das CO2-Budget für 1,5 Grad in Höhe von 420 Milliarden Tonnen spätestens in acht Jahren verbraucht ist, wenn nichts getan werde. Das sei keine Meinung, sondern Wissenschaft.

Sagen Sie mir also: Wie kann man angesichts dieser Zahlen keinerlei Panik empfinden? Wie soll man ohne einen Anflug von Zorn reagieren, wenn praktisch nichts getan wird? Und wie will man darüber reden, ohne alarmistisch zu klingen? Ich würde das wirklich gerne wissen.

Wirklich gefährlich sei nicht "Tatenlosigkeit. Die tatsächliche Gefahr besteht darin, wenn Politiker und Vorstandsvorsitzende vorgeben, etwas zu tun, wenn in Wahrheit fast nichts geschieht außer trickreicher Buchhaltung und kreativer PR."

Das ist das Verdienst der neuen Klimabewegungen: Sie haben bis heute nicht nachgegeben und halten dabei das Ziel fest im Blick. Sie greifen die Klimaschutz-Fassaden immer wieder an, konfrontieren Politik unbeirrt mit Wissenschaft, adressieren die Verantwortlichen in Regierung und Parlament direkt, drängen mit unmissverständlichen Forderungen zum Handeln, während sie gleichzeitig Alarm schlagen.

Sie wissen genau, was die eigentliche Ressource für die Kursänderung ist. So erzählte Thunberg in Madrid, dass sie auf ihren Reisen genug an Hoffnung gesehen habe. Sie komme nicht von Regierungen, sondern von Menschen, die aufwachen und sich über die Lage bewusst werden:

Es ist die öffentliche Meinung, auf der die freie Welt ruht. Tatsächlich wurde jede große Veränderung in der Geschichte von den Menschen bewirkt. Wir müssen nicht warten. Wir können den Wandel sofort beginnen. Wir als Menschen.

Als Greta Thunberg diese Worte vor den Klimadelegierten der Welt sagte, war sie 16 Jahre alt. Nach ihrer Rede drängte eine große Gruppe von jungen Aktivist:innen auf die Bühne, während Sicherheitskräfte versuchten, sie wegzuziehen. Doch sie blieben fest verwurzelt stehen, die Fäuste in der Luft riefen sie: "Man kann kein Öl trinken! Lasst es in der Erde!" Als sie die Bühne verließen, riefen sie: "Wir sind nicht zu stoppen! Eine andere Welt ist möglich!"

Doch, wie schon gesagt, die Medien drängten das Thema trotz der enormen Protestwellen aus der öffentlichen Debatte. Bei der 90-minütigen Sommer-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel 2020 sahen die Hauptstadtkorrespondenten über die Klimakrise und den Kurs Klimakollaps der Bundesregierung hinweg. Nur die Journalist:innen der unabhängigen Plattform Jung & Naiv brachten das Thema auf.

Auf Kritik und selbst konstruktive Anregungen reagiert die Medienelite bis heute mit Wagenburgmentalität. So versucht eine Initiative inspiriert von den Klimabewegungen, eine Sendung "Klima vor Acht" entsprechend der "Börse vor Acht" in die öffentlich-rechtlichen Sender zu bringen. Der bis zum März 2022 noch amtierende ZDF-Intendant Thomas Bellut antwortete:

Ich würde es nicht machen. Klima ist wichtig, aber danach kommt das nächste Thema. Themen ändern sich ständig. Ich finde es falsch, so etwas vorzugeben, denn damit macht man Politik. Ist das unsere Aufgabe? Nein.

Die ARD erteilte dem von rund 20.000 Bürgern unterstützten Vorschlag, darunter Prominente wie Carolin Kebekus, Bastian Pastewka, Luisa Neubauer, Bjarne Mädel und ARD-Meteorologe Karsten Schwanke, schließlich eine Absage.

Dann kam die Bundestagswahl von 2021. Sie sollte, so die Hoffnung, eine Klimawahl werden. Doch das wurde sie nicht. Über 70 Prozent der zu den Wahlurnen Gegangenen stimmten am Ende für ein Weiter-So, nicht für eine Klima-Kehrtwende.

Ein zentraler Grund dafür ist: Klimapolitik blieb im "Klimawahlkampf" 2021 trotz aller Bekundungen ein Nebenthema. Das Notwendige wurde verschwiegen, das Falsche als Lösung präsentiert, die PR für bare Münze verkauft und das Viel-zu-Wenig als Aufbruch hochstilisiert.

Man musste nur das Radio anschalten, die Zeitung aufschlagen, die Abendnachrichten schauen: Überall die gleichen Beruhigungen und Halbwahrheiten, wobei meist am Thema vorbeigeschaut wurde. Und wenn in den Triellen der Kanzlerkandidaten über Klimaschutz gesprochen wurde, dann fast ausschließlich als ökonomische Belastung und in Form von Verzicht.

In der 20-Uhr-Tagesschau wurde aus dem historischen Klimastreik kurz vor der Wahl im September 2021 schließlich ein belangloses Ereignis fabriziert: "Zehntausende" hätten demonstriert, hieß es, nach Angaben von Fridays for Future waren es jedoch über 600.000 in Deutschland, weltweit 800.000 Protestierende. In der Tagesschau wurde ein halb leerer Platz vor dem Reichstag präsentiert, offensichtlich vor dem Start der Demonstration gefilmt.

In Wahrheit waren Plätze und Straßen in vielen deutschen Städten am Nachmittag geflutet von Menschen, 100.000 allein in Berlin, die kraftvoll 1,5-Grad, echten Klimaschutz und eine radikale Wende forderten. Zudem kein Wort über die prominente Unterstützung für die Proteste, keine Folgeberichterstattung, dafür Problematisierung des Schulschwänzens.

Auf dem Sender Radio Eins (RBB) verglich der Journalist Hajo Schumacher die Klima-Hungerstreikenden der Letzten Generation in Berlin als einer der Ersten mit RAF-Terroristen. Diese und andere Formen der Diffamierung haben sich bis heute gehalten.

Im ZDF polemisierte zugleich die Umweltredaktion immer wieder gegen Windräder wie Elektroautos, während der Redaktionsleiter in Live-Schalten Investitionen in ausländische Kohlekraftwerke als Klimaschutz verkaufen durfte.

Doch trotz Kampagnen und Repressionen haben die Proteste eine Reihe von Erfolgen erzielt und Dynamiken entfacht, wenn auch bis jetzt keinen Kurswechsel der mächtigen Regierungen erwirken können, die fossile Verbrennung gemäß der Wissenschaft in zehn bis spätestens 15 Jahren einzustellen.

Die Klimakrise ist heute stärker im allgemeinen Bewusstsein, die Medien berichten mehr und besser als zuvor über Klimaschutz, Lösungen werden erstmals ernsthafter politisch diskutiert und es gibt erste Fortschritte in Sachen Energiewende, auch in den USA, siehe Bidens Subventionsprogramm des Inflation Reduction Act (IRA).

Die Liste von positiven Ansätzen ist lang: vor Kurzem hat Ecuador in einem historischen Referendum Nein zur Ölförderung gesagt, überall gibt es Gerichtsurteile, die Regierungen und Unternehmen mehr Klimaschutz vorschreiben, Kalifornien hat sich jüngst für einen Vertrag zur Nichtverbreitung von fossilen Brennstoffen ausgesprochen. Man könnte so weiter machen. Sicherlich, alles nicht ausreichend, aber ein Anfang.

Auch über Strategien und Taktiken in den Bewegungen wird lebhaft diskutiert. Die Aktivist:innen der Letzten Generation müssen die größte Wucht des Widerstands gegen den notwendigen Kurswechsel aushalten. Sie werden von wütenden Autofahrer:innen attackiert, von einigen Polizist:innen drangsaliert und von Richter:innen verurteilt. In der Öffentlichkeit wird ihre Strategie als fehlgeleitet und für die Sache als schädlich dargestellt.

Dabei wird immer wieder auf Umfragen verwiesen, in der eine Mehrheit der Befragten angibt, die Mittel der Letzten Generation für nicht angemessen zu halten. Doch Wissenschaftler:innen warnen, falsche Schlüsse daraus zu ziehen.

So ergab eine aktuelle Befragung unter 120 Experten für soziale Bewegungen, dass fast sieben von zehn Forschern und Expertinnen der Meinung sind, dass störende Protesttaktiken für den Erfolg einer Bewegung "zumindest ziemlich wichtig" sind, insbesondere wenn die Forderungen der Demonstrierenden – wie im Fall der Letzten Generation oder Just Stop Oil – bereits breite Unterstützung finden.

Obwohl die Unterbrechung von Tennisspielen, der durch Blockaden verursachte Verkehrsstau und das Werfen von Suppendoseninhalten auf mit Glas geschützte Kunstwerke in der Öffentlichkeit zu Ablehnung führt, hat die Studie von Apollo Surveys und der Protest-Denkfabrik Social Change Lab ergeben, dass Störungstaktiken im Großen und Ganzen der Fähigkeit einer Gruppe, Veränderungen zu bewirken, nicht schaden.

"Wir waren wirklich erstaunt über den Widerspruch zwischen dem, was die Öffentlichkeit und die Medien über störende Proteste sagen, und das, was Experten dazu denken", stellt der Direktor des Social Change Lab, James Özden, gegenüber dem Guardian fest.

Die Experten, die soziale Bewegungen studieren, glauben nicht nur, dass strategische Störung eine effektive Taktik sein kann, sondern dass sie der wichtigste taktische Faktor für den Erfolg einer sozialen Bewegung ist.

Heute findet erneut ein globaler Klimastreik statt, fünf Jahre, nachdem Greta Thunberg sich vor den schwedischen Reichstag setzte und fürs Klima protestierte. Überall auf der Welt werden wieder Menschen auf die Straße gehen. Sie prangern das "skrupellose Greenwashing" an. Bei Fridays for Future heißt es:

Grüne Märchen und Klimareden anstatt echter Emissionsminderungen sind die beliebten Methoden. Ganz vorne mit dabei ist der selbsternannte Klimakanzler Olaf Scholz. Vor dem G7-Gipfel startet er derzeit eine Lobby-Initiative für neue klimaschädliche Investitionen und wirbt für mehr fossiles Gas. Gleichzeitig stellt er sich hin und rühmt sich für das Vorreiterland Deutschland bei erneuerbaren Energien. Es muss Schluss sein damit, grün zu sprechen und fossil zu handeln!

Der Kampf wird weitergehen. Ende offen.