Klug, freundlich und persönlich

MExA - ein Agent für uns alle

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Die Agententechnologie wurde angesichts einer Reihe von Faktoren, vor allem wegen ökonomischen Bedürfnissen, zu einem der heißesten Bereich der Computertechnologie. Computerwissenschaftler, die Alchemisten der Gegenwart, stellen kein Gold, sondern Programme her, die in der digitalen Umwelt "leben". Die Agententechnologie wird sich im nächsten Jahrzehnt mit größerer Geschwindigkeit entwickeln. Wir haben ein Bedürfnis nach Agenten, um Aufgaben in unserem Alltagsleben zu bearbeiten. Wer werden Agenten benutzen, um Zeitpläne zu überprüfen, Telefonanrufe zu beantworten, Email zu empfangen und zu senden, für uns interessante Informationen zu sammeln, Aktienkurse zu beobachten, unsere Wohnungen zu sichern etc. Mit anderen Worten, wir werden von unseren Agenten als unseren Sekretären, Boten und Sicherheitskräften abhängig. Daher müssen die Agenten klug sein. Ihr Intellekt muß angesichts unserer Bedürfnisse größer werden.

Computerwissenschaft ist die Alchemie des modernen Zeitalters. Das macht sie für die neugierigen Köpfe junger Menschen so anziehend. Der "Warenfetisch", ein wesentlicher Begriff für die "Entfremdung" in der marxistischen Philosophie, wird möglicherweise in der künftigen Gesellschaft nicht anders werden. Marx sagte, daß der Preis an sich nichts anderes sei als der Wertausdruck des Geldes. In den 70er Jahren büßte das internationale Währungssystem seine Konvertibilität mit dem Gold ein. Seitdem hatte unser Papiergeld nur noch einen Wert, der lediglich durch wechselseitige Vereinbarungen garantiert wird. In den 90er Jahren verliert das Geld noch weitere seiner materiellen Verankerungen. "Elektronisches Geld" ersetzt das herkömmliche Geld. Werte werden in digitalen Daten ausgedrückt. Die Manipulation digitaler Daten mittels der Computer wurde zu einem elementaren Bestandteil der Wertbildung. Der alte Spruch "Zeit ist Geld" muß jetzt zu "Verarbeitungsgeschwindigkeit ist Geld" verbessert werden. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Computer wird zum wichtigsten Bestandteil der Wertbildung.

Agenten werden im Gegensatz zum "Top-down-Ansatz" der Künstlichen Intelligenzen "bottom-up" entwickelt. Lernfähigkeit ist für sie ein wichtiger Vorgang. Die bislang auf geschäftliche Aufgaben angewendete KI läßt bei uns den Eindruck der Inflexibilität entstehen. Sie zeigen Intelligenz für gegebene Aufgaben, aber sie sind für neue Situationen nicht geeignet. Die meisten KI-Programme haben ein Expertensystem zur Grundlage, das das Wissen von Medizinern, Rechtsanwälten, Ingenieuren usw. zu speichern sucht. KI wurde in Elektrizitätswerken, in Krankenhäusern oder bei Transportsystemen eingesetzt. Zahlreiche Vorfälle haben uns bewußt gemacht, daß Expertensysteme nicht immer vertrauenswürdig sind. Das ist ein Science-Fiction-Thema, das wir auch im Film "Jurassic Parc" bemerken, in dem die Probleme mit einem Computersystem beginnen, das die Zahl der Dinosaurierer im Park zu gering veranschlagt. Die Geschichte handelt von unseren Ängsten gegenüber Computersystemen. Zuviele Experten glauben, daß ihr Sachverstand fehlerlos sei. Sie liegen falsch.

Im Computer oder in den Netzen arbeiten bereits Agentenprogramme. Jeder Agent hat bestimmte Aufgaben und Verhaltensweisen. Auf dem Desktop sehen wir Agenten für das Betriebssystem und für Anwendungen. Im Internet gibt es Suchagenten für das Web, Agenten zum Filtern oder Zurückholen von Informationen oder zum Benachrichtigen, es gibt Service-Agenten und mobile Agenten. In den Intranets gibt es Agenten, die gemeinsam arbeiten, um etwas individuell zu gestalten, die Prozesse automatisieren, Datenbanken verwalten und als Broker für Ressourcen dienen.

MExA - Mind Extension Agent

Wenn ich Sie begrüße, dann ordne ich uns beide in die Klasse von Lebewesen ein, die einen Geist besitzen.

Daniel C. Dennett

MExA heißt der Agent, den ich gerade entwickle. Er soll dem Menschen, der einen Geist besitzt, dienen. Es ein Agent, der Sprache erkennt, die Gehirnwellen liest, Sprechen kann, nach Informationen sucht und lernt. Die Spracherkennung ist gegenwärtig auf englisch beschränkt. Seine Aufgabe ist jetzt, die Benutzer kulturell zu unterhalten. Er sucht für seine Benutzer nach Programmen und Informationen im Internet (oder einem Intranet) und wird durch eine Mensch-Maschine-Interaktion gesteuert, die Hirnwellen und Sprache benutzt.

Aber ich erwarte wirklich, daß MExA den Graben zwischen Mensch und Maschine zu überbrücken hilft. Die von uns alltäglich benutzten Computer sind nicht sehr benutzerfreundlich. Sie wollen sicherlich nicht mit uns Freundschaft schließen. Wir beziehen sie nicht in die Klasse derjenigen ein, die einen Geist besitzen, wobei natürlich die Definition dessen, der einen Geist besitzt, individuell verschieden ist.

"Wir verließen Houston in der Morgendämmerung und fuhren die Straße entlang, nur ich und mein Truck." Seltsam. Wenn dieser Kerl denkt, sein Truck sei eine solch wertvolle Begleitung, daß er unter dem Schirm des "Wir" einen Unterschlupf benötigt, dann muß er ziemlich einsam sein oder sein Truck muß so individuell gestaltet sein, daß er von allen Robotikwissenschaftlern neidvoll betrachtet wird. "Wir, nur ich und mein Hund" verwirrt uns im Gegensatz keineswegs, während man "Wir, nur ich und meine Auster" kaum ernst nehmen kann. Wir sind, mit anderen Worten, ziemlich sicher, daß Hunde einen Geist besitzen, und wir zweifeln daran, daß dies auch für Austern gilt.

Daniel Dennett

Es ist komisch, wie Dennett sagt, wenn der Fahrer sein geistloses Fahrzeug als einen würdigen Begleiter betrachtet. Wir sprechen Hunden einen Geist zu, aber nicht Austern. "Manche denken, daß ein zehn Wochen alter Fötus einen Geist besitzt, manche glauben, es sei offensichtlich, daß dies nicht der Fall ist." (Dennett) Aber wie ist das bei Computern? Einige stellen sich bestimmt ihren Computer als einen kooperativen Kollegen vor, doch die meisten sehen ihn als Maschine. Wir sind keinswegs kurz davor, einen Computer wie HAL aus "A Space Odyssee" zu schaffen. Marvin Minsky sagt von der "Botschaft HALs": Ich bin noch immer ein Realist. Wenn wir hart und geschickt arbeiten, dann können wir etwas Ähnliches wie HAL in einen Zeitraum von vier oder von vierhundert Jahren haben. Ich nehme an, daß wir glücklich wären, wenn dies uns bis zum Jahre 2001 gelänge."

MExA ist kein HAL. Er hat keine Intelligenz und reagiert nur auf die Stimme und die Hirnwellen des Benutzers. Man sollte aber festhalten, daß selbst HAL sich selbst als eine geistlose Nachahmung des menschlichen Verhaltens beschrieb. Aber MExA kann die Stimme und die Hirnwellenmuster des Benutzers speichern, so daß künftige Versionen diese Daten heranziehen könnten, um mit einem Menschen zu kommunizieren.

Warum soll MExA Hirnwellen benutzen? EEGs werden als Inputdaten verwendet, um den "Geist" eines Menschen zu erforschen. Andere Inputdaten wären ereignisbezogene Gehirnpotentiale (ERP), Elektromyogramme (EMG zum Erfassen der Muskelaktivität), Pupillometrie zum Aufzeichnen der Veränderungen der Größe der Pupille, Elektrooculographie (EOG zur Aufzeichnung der Augenbewegungen), EDA zum Aufzeichnen der elektrischen Spannung an der Oberfläche der Haut, Herzaktivität, Blutdurchfluß und Blutdruck. Überdies lassen sich Atmung, Sauerstoffverbrauch, Speichelfluß, Hauttemperatur und Verdauungstätigkeit erfassen. Neben der Stimmerkennung sollte man in Zukunft auch an die Gesichtserkennung denken.

Die Analysen und Messungen dieser Körpersignale sind Inputs, die von der Computertechnologie verarbeitet werden. Solche Daten werden in Bereichen wie der Psychophysiologie herangezogen. Aber es gibt auch kulturelle Gründe, sie zu benutzen. Die technologischen Entwicklungen, die von Computeringenieuren stammen, sind nicht immer auf kulturelles Bewußtsein ausgerichtet!

Der Unicode, der vor allem von Computertechnikern in westlichen Ländern entwickelt wurde, muß für nicht-westliche Kulturen nicht unbedingt geeignet sein, wenn er deren Sprachgebrauch beschränkt. Menschen in China, Japan, Korea und Taiwan verwenden chinesische Zeichen und solche, die in Japan und Korea entstanden sind. Die Regierung Taiwans hat formal etwa 50000 Zeichen anerkannt. Die meisten westlichen Länder haben Alphabete mit weit weniger Zeichen. Wenn man diese Unterschiede übersieht, wird Unicode unbewußt dahin tendieren, die kulturellen Eigenheiten in der realen Welt in der Absicht zu vereinfachen, um die Verarbeitung von digitalen Texten zu vereinfachen.

Selbst die Gebrauchsweisen von "Ja" und "Nein" können sich in verschiedenen Kulturen unterscheiden. Ein englischer Muttersprachler, der gefragt wird: "Mögen Sie keine Äpfel?", könnte antworten: "Nein, ich mag keine Äpfel." Aber in anderen Sprachen wie in der japanischen könnte die Antwort lauten: "Ja, ich mag keine Äpfel."

Die existierende Computertechnologie ist weit davon entfernt, eine sprachliche Kommunikation zwischen Maschine und Mensch zu ermöglichen. Wenn wir uns verstehen wollen, dann müssen die Computer die Intelligenzleiter noch höher hinaufklettern. Und wenn sie diese Fähigkeiten erwerben, dann könnte die Verwendung von körperlichen Inputdaten den Maschinen dabei helfen, ihre geheimnisvollen organischen Partner zu verstehen.

Ein technischer Archetyp von MExA wurde zuerst für "News_agent(x)" (1997) realisiert, der während der ISEA97 in Chicago vorgeführt wurde. News_agent(x) war meine erste Arbeit aus einer Serie von agentenbasierten interaktiven Kunstwerken. Die Ausführungen über die Grundlagen des Agenten wurden für die ISEA97 geschrieben.

News_agent(x)

Wertpapiermärkte, Kriege, Machtkämpfe, Umweltprobleme, Morde und andere Ereignisse - immer versuchen wir herauszufinden, was hinter den Schlagzeilen der Fernsehnachrichten steht oder was man zwischen den Zeilen von Zeitschriftenartikeln lesen muß. Man stellt leicht fest, daß es viele kausale Beziehungen gibt, die sich unter der Oberfläche der täglichen Nachrichten befinden. All die kleinen Ursachen interagieren miteinander, um schließlich zu einem sozialen Phänomen zu werden.

Abendnachrichten im Fernsehen können als Familienbande fungieren, indem sie eine Zeitspanne bieten, um gemeinsame Themen mit anderen Familienmitglieder zu haben.Aber 24-Stunden-Programme wie CNN oder BBC Satellite können uns zu Nachrichtensüchtigen werden lassen. Wir können kaum mehr aufhören, die Nachrichten zu verfolgen. Sie bringen ebenso wie Musik- oder Sportsender dramatische Spektakel in unsere Heime.

Nachrichten scheinen unsere Gefühle, Gedanken, Verhaltensweisen und Einstellungen im Alltagsleben zu beenflussen. Jede menschliche Aktivität reflektiert die mechanischen, materialistischen Elemente, die die Welt ausmachen. Das ist die traditionelle soziologische Perspektive, aber sie wird umgekehrt. Wir sollten jetzt beginnen, die Gesellschaft durch die Methoden der Biologie zu deuten. Die soziale Struktur sollte eher als biologisches System denn als materielles System gesehen werden. Wenn man diese Sichtweise auf Nachrichten bezieht, dann beruht die Reflexion unserer sozialen Struktur für alle unsere Aktivitäten auf biologischen Gründen, weil die Aktivitäten der einzelnen im Kontext biologischer Regeln verstanden werden kann.

Die neuesten Theorien in der Finanzanalyse, aber auch in anderen Bereichen leitet sich weitgehend von biologischen Entdeckungen ab. Theorie, die sich auf "komplexen Theorien" begründen, sind dafür ein gutes Beispiel. Die darwinistische Konkurrenz wird auch auf solche Theorien angewendet.

Für die ISEA habe ich einen geschlossenen Informationskreislauf, ein virtuell erzeugtes "Nachrichtenprogramm" entwickelt, das aus Fernsehbildern, Zeitungsartikeln und Berichten vom Finanzmarkt besteht. Ein Maß für die "Erwünschtheit", das die Nachrichteninhalte kategorisiert, entsteht aus den Gehirnwellen der Benutzer. Die Daten der Gehirnwellen verweisen in diesem Fall auf das Unbewußte der Benutzer. Zwischen den Reaktionen der Menschen und den Nachrichtenfaktoren befindet sich ein Agent, der den Geisteszustand der Benutzer aufzeigt. Es gibt vier Stufen der "Erwünschtheit" in Reaktion auf Nachrichten: sehr erwünscht, erwünscht, neutral und unerwünscht. Je nach dem Grad der "Erwünschtheit", der durch die Hirnwellen angezeigt wird, ändert der Agent die Nachrichten und Berichte vom Finanzmarkt ab, die er aufruft. Je stärker die Benutzer etwas erwünschen, desto stärker "wächst" der Agent wie ein biologisches Lebewesen. Wenn er auf eine bestimmte Größe gewachsen ist, beginnt er sich fortzupflanzen. Der Agent hat eine bestimmte Lebenszeit, so daß er innerhalb einer gewissen Zeit heranwachsen muß, sonst kann er keine Nachkommen haben.

Das Ergebnis dieses ganzes Prozesses kann ein Output wie eine Kurve in einem Finanzbericht sein. Die Zuschauer können verschiedene Arten von Nachrichten sehen und herausfinden, wie ihr Geist sich auf die Nachrichtenfaktoren bezieht, während ein Computer gleichzeitig herausfindet, wie das Gehirn der Zuschauer sich verhält.

News_agent(x) funktionierte als Teil einer Installation während der ISEA97 nur lokal. Als künstlerische Installation stellte sie, auch wenn sie noch nicht abgeschlossen ist, meine Gedanken über den Mensch und die Maschine, die Information und die Kultur dar.

MExA (Mind Extension Agent) besitzt alle Funktionen des News_agent(x) und kann Informationen aus dem Netz holen. Beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung unterscheidet er sich nicht von den gewöhnlichen Software-Agenten, die man auf seinem Desktop oder auf Internetseiten sehen kann. Aber er entwickelt sich noch. Als intelligentes Agentenprogramm wird es lernen und auch mit anderen Agenten kommunizieren. News_agent(x) ist ein Interface-Agent, der interessenorientiert Nachrichten in Übereinstimmung mit den Hirnwellen der Benutzer auswählt. Im Unterschied dazu ist MExA ein Unterhaltungsagent mit einer zusätzlichen Ausrichtung auf die Weiterentwicklung der Kommunikation zwischen dem Menschen, der einen Geist besitzt, und der geistlosen Maschine. In Zukunft werden vielleicht Experimente mithilfe von MExA Überschneidungen mit anderen wissenschaftlichen und kulturellen Bereichen wie der Psychophysiologie, Biologie, Psychologie, Ökologie, Anthropologie, Philosophie oder Medizin entwickeln.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer