Koalition aus M5S und PD überspringt Online-Abstimmungs-Hürde
Zustimmung mit fast 80 Prozent überraschend hoch
In Italien will der alte und neue Ministerpräsident Giuseppe Conte heute oder morgen dem sozialdemokratischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella seine Ministerliste vorlegen, nachdem sich gestern eine Mehrheit der Abstimmungsteilnehmer auf der M5S-Plattform Rousseau für die vom Parteicapo Luigi di Maio eingefädelte neue Koalition mit der sozialdemokratischen PD aussprach. Mit 79,3 Prozent war die Mehrheit dafür sogar überraschend deutlich, wenn man bedenkt, wie sehr Di Maio vorher auf seinem Facebook-Profil für sein Zusammengehen mit der alten "Kaste" kritisiert wurde. An der Abstimmung hatten sich über 73.000 der etwa 115.000 registrierten M5S-Anhänger beteiligt.
Darüber, wer in Contes neuem Kabinett sitzt, wird noch spekuliert. Als sicher gesetzt gelten die beiden Parteichefs Nicola Zingaretti und Luigi Di Maio. Letzterer soll angeblich Außenminister werden. Darüber hinaus gehen italienische Medien davon aus, dass zumindest einige M5S-Minister ihre alten Posten behalten werden - darunter Justizminister Alfonso Bonafede. Wirtschaftsminister könnte Roberto Gualtieri von der PD werden, Kulturerbeminister der Sozialdemokrat Dario Franceschini, der dieses Amt schon einmal ausübte. Für das Verteidigungsministerium wird der Name von Lorenzo Guerini genannt. Auch der Posten des italienischen EU-Kommissars soll an ein PD-Mitglied gehen: an den ehemaligen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni.
"Keine Superhelden"
Conte selbst meinte zu Spekulationen über neue Köpfe bislang lediglich, er brauche dafür "keine Superhelden, die meinem Sohn so gefallen", sondern "normale Personen, die aber verantwortungsbewusst und entschlossen sind".
Segnet Matarella seine Liste ab, muss das neue Kabinett noch von der Abgeordnetenkammer und vom Senat bestätigt werden. In der Abgeordnetenkammer verfügt die M5S aktuell über 216 und die PD über 111 der insgesamt 630 Abgeordneten dort. Im 320-köpfigen Senat hätten die beiden Parteien mit 107 und 51 Senatoren eine absolute Mehrheit, wenn sie Unterstützung aus der 14-köpfigen PD-Abspaltung Liberi e Uguali (LeU) bekommen. Dass die LeU zustimmt, ist insofern nicht ganz unwahrscheinlich, als die Partei bei Neuwahlen wahrscheinlich an der Einzugshürde scheitern würde. Zudem wird darüber spekuliert, dass man der Partei ein Ja-Votum mit dem Umweltministerposten für ihre Abgeordnete Rossella Muroni vergüten könnte.
Umfragewerte für M5S und PD stiegen
Das Programm, das M5S und PD vereinbart haben, hält sich bislang eher im Ungefähren. Eine Verkleinerung des Parlaments, die die M5S zur Bedingung gemacht hatte, soll in eine von der PD geforderte "Reform des Wahlrechts" eingebettet werden. Als wahrscheinlich gilt darüber hinaus die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, den beide Parteien im Wahlprogramm hatten. Di Maio stellt darüber hinaus ein Gesetz gegen Interessenkonflikte in Politik und Wirtschaft, eine Justizreform und eine Senkung der Lohnnebenkosten in Aussicht.
Bei den Wählern scheinen diese Versprechen anzukommen: In der letzten Technè-Umfrage vom 2. September konnten sowohl die M5S als auch die PD zulegen. Die M5S, die am 5. August noch bei 17,5 Stimmenanteil lag, steigerte sich auf 21,5 Prozent, die PD von 22,4 auf 24,6. Im gleichen Zeitraum stürzte die Lega von 38 auf 31 Prozent ab.
Konfliktpotential in Regierung und Opposition
Lega-Chef Matteo Salvini zeigt sich davon bislang unbeeindruckt. Seine Kommentare auf Twitter weisen darauf hin, dass er damit rechnet, dass die Wetterlage für die M5S und die PD nur begrenzt lange anhalten wird. Sie könnte sich ändern, wenn der nun anstehende Haushalt für das Jahr 2020 auch finanzielle Einschnitte mit sich bringt. Vor allem dann, wenn Brüssel und Berlin erneut auf solche Einschnitte drängen.
Da das Programm von M5S und PD bislang wenig konkret ist, könnten sich auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den neuen Koalitionsparteien ergeben - etwa in der Sicherheits- und Migrationspolitik. Solche Meinungsverschiedenheiten stehen jedoch auch der Lega und ihren potenziellen Partnern aus der Opposition bevor, den Fratelli d'Italia und der Forza Italia. Deren Chef Silvio Berlusconi wittert nach dem Ende der Koalition aus M5S und Lega anscheinend die Chance auf ein Comeback und fordert von der Lega bereits Zugeständnisse für eine Kooperation bei den anstehenden Regionalwahlen in der Emilia Romagna und in Umbrien.
Ob der 82-jährige Berlusconi den 46-jährigen Salvini damit wieder vom ersten auf den zweiten Platz drängen kann, ist allerdings fraglich. Anders als die Fratelli d'Italia der 42-jährigen sehr fotogenen Giorgia Meloni konnte die Forza Italia von den Umfrageverlusten der Lega nicht profitieren, sondern sackte selbst ein wenig ab. Und mit dem Fernsehen - dem Medium, das Berlusconi beherrscht und mit dem er groß wurde - erreicht man auch in Italien zunehmend nur mehr alte Leute, während sich Salvini mit selbstbewussten Fotos und einer Prise Selbstironie auf Twitter eine Fangemeinde geschaffen hat, die ihm häufig schon der Unterhaltung wegen folgt.
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