Koalitionskrach? Doch nicht bei der Ampel
Die grüne Umweltministerin Lemke demonstriert Harmonie: Es gebe wegen der Autobahnblockaden keine Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und dem Justizminister
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat bereits dementiert, dass es wegen der Autobahnblockaden des "Aufstands der letzten Generation" große Unstimmigkeiten in der Ampel-Koalition gebe. So wollte sie ihre Äußerung vom Mittwoch in einer Gesprächsrunde der Europe-2022-Konferenz des Tagesspiegels, der Zeit, des Handelsblattes und der WirtschaftsWoche dann doch nicht verstanden wissen.
"Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen", hatte Lemke dort erklärt. Sie verwies dabei auf ihre eigenen Erfahrungen in der DDR und die dortige "friedliche Revolution", merkte jedoch an, dass dies nicht vergleichbar sei. Zudem betonte Lemke, dass durch solche Protestaktionen "keine Menschen zu Schaden kommen dürfen und dass niemand durch zivilen Ungehorsam auf eine Art und Weise tangiert wird, dass Schaden eintreten könnte."
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) reagierte prompt auf seinem Twitter-Kanal: Ziviler Ungehorsam sei "im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund", schrieb er. Unangemeldete Demos auf Autobahnen seien nach wie vor rechtswidrig. Protest sei okay, "aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung".
Die Lesart der Medien, die der Grünen und rechtliche Fragen
Buschmann habe Lemke "gemaßregelt", "belehrt" und "abgewatscht", hieß es daraufhin in Medienberichten. Lemke widerspricht und demonstriert Harmonie: "Alle, die darauf warten, dass es endlich einen saftigen Koalitionskrach geben möge, enttäusche ich jetzt mal", twitterte sie in der Nacht zum Donnerstag. "Ich stimme mit meinem Kollegen Marco Buschmann überein. Ist in meinem Statement klar formuliert."
Die Scientists for Future widersprechen wiederum Buschmann und Lemke: So einfach wie der Justizminister die Rechtslage darstelle, sei sie nicht: "In der Rechtswissenschaft fängt die Diskussion um die Rechtfertigung von zivilem Ungehorsam aus Klimaschutzgründen gerade erst an."
Das Bundesverfassungsgericht hatte im vergangenen Jahr festgestellt, dass die Klimaschutzmaßnahmen der letzten Bundesregierung unzureichend waren. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien reichen sie nach Meinung von Fachleuten nicht aus, um einen angemessenen deutschen Beitrag zur Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf 1,5 bis knapp unter zwei Grad zu gewährleisten.
Die Beteiligten der Autobahnblockaden berufen sich nun auf den verfassungsrechtlichen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und das Widerstandsrecht im Grundgesetz – und sie vertreten die Auffassung, dass gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen "andere Abhilfe nicht möglich ist".
Diese Formulierung gibt es tatsächlich in Artikel 20 des Grundgesetzes, allerdings ist Recht haben und Recht bekommen in der Praxis auch eine Frage des politischen Kräfteverhältnisses. Außerdem stellt sich für viele die Frage, ob die Autobahnen der richtige Ort sind, um Abhilfe zu schaffen – schließlich sind die Autofahrer nicht der eigentliche Adressat, sondern die Regierenden.
Im ersten Schritt, so die Forderung, sollen diese ein "Essen-Retten-Gesetz" gegen Lebensmittelverschwendung beschließen und eine klimagerechte Agrarwende einleiten. Der unverkennbare Vorteil der ersten Forderung ist ihre leichte Umsetzbarkeit. Die Ampel-Koalition könnte dieses kostengünstige Zugeständnis machen; die Klimabewegung hätte ein Erfolgserlebnis und möglicherweise weiteren Zulauf.
Allerdings gibt es auch taktische Einwände: Autobahnblockaden seien doch eher eine Protestform für die Verkehrswende, es bestehe aber auch die Gefahr, "Otto Normalverbraucher" gegen sich aufzubringen, sagt der wohlwollendere Teil der Kritiker.
Außerdem steht der Vorwurf im Raum, dass zumindest kurzzeitig Rettungswege blockiert worden seien. Ein Video, aus dem der Vorwurf abgeleitet wird, ist nur wenige Sekunden lang und zeigt den Beginn der polizeilichen Räumung einer Autobahnblockade, wobei auch ein Martinshorn zu hören ist. Wurde tatsächlich der Einsatz eines Rettungswagens behindert, wie die Welt am 31. Januar berichtete?
Das verlinkte Video wurde von der Gruppe selbst ins Internet gestellt. Die Szene wirkt unübersichtlich; Teilnehmer der Sitzblockade werden bereits weggezerrt, als das Martinshorn deutlich zu hören ist. Ein Sprecher der Gruppe erklärte dazu gegenüber Telepolis, es sei alles sehr schnell gegangen, die Beteiligten hätten zuerst "Polizeigehupe" gehört, dann seien sie auch schon geräumt worden. Der Aktionskonsens sei, dass Rettungswege freigemacht würden.
Grünen-Chefin zwischen zwei Welten
Auch die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte Verständnis für das Anliegen der Beteiligten geäußert und zugleich betont, dass niemand gefährdet werden dürfe. In der ZDF-Talkrunde von Markus Lanz darauf angesprochen, erklärte sie: Es sei "komplett daneben", wenn "jetzt wie auf der A100 Krankenwagen davon abgehalten werden weiterzufahren, wenn Feuerwehrautos abgehalten werden, dann werden dort Menschen gefährdet".
Dafür habe sie kein Verständnis. Man müsse sich aber auch damit auseinandersetzen, warum "sehr viele junge Menschen in diesem Land" massive Sorgen vor der Zukunft hätten. Viel Vertrauen in die Politik sei während der Großen Koalition verloren gegangen. Das beste Mittel dagegen sei, Verantwortung in der Regierung zu übernehmen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich dazu bislang bedeckt. Auf "welcher Seite" er in dem Koalitionskrach stehe, das wollten die Initiatoren der Kampagne "Essen Retten" am Mittwochabend laut einer Pressemitteilung wissen. Aber laut Lemke gibt es ja nicht einmal einen Koalitionskrach.