Körper ist Geist
Seite 3: Eigenschaften psychischer Prozesse
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Hier kommt ein wesentlicher Beitrag der Philosophie ins Spiel. Was ist denn, je nach Vorliebe der (Fremd-) Sprache, Geistiges, Mentales (von lat. mens) oder Psychisches (von gr. Psyché)? Eben dasjenige, das sich auf etwas bezieht, in der Fachsprache: intentionaler Gehalt. Der Gedanke an ein Auto, genauer gesagt der gedankliche Prozess als etwas sich in der Zeit Vollziehendes, bezieht sich eben auf dieses Auto. Oder auch die Erlebnisqualität eines Prozesses, in der Fachsprache: phänomenaler Gehalt. Das ist das, was etwa beim Betrachten des blauen Himmels als Qualität der Blauwahrnehmung erlebt wird.
Damit fallen auch die mysteriösen "Qualia" vom Tisch, ein Begriff, den man sowieso in der Allgemeinsprache nicht versteht. Vielleicht haben sich Philosophen einmal gedacht, wenn es Bewusstseinserlebnisse gibt, dann müsste es auch solche Dinge geben, Qualia, wie es eben Bäume, Tische und Stühle gibt. Dieses verdinglichende Denken bringt uns aber nicht weiter, verwirrt uns im Gegenteil vielleicht.
Man könnte schließlich weiter Fragen: Und was ist Bewusstsein? Eine Eigenschaft von Prozessen, eben phänomenaler Prozesse. Und das Subjekt? Dasjenige, das diese Prozesse hat, also den phänomenalen Gehalt erlebt. Mir ist klar, dass damit nicht alle Fragen vom Tisch sind, doch kommen wir so beim Verstehen und vielleicht sogar Überwinden des Leib-Seele-Problems einen Schritt weiter:
Materialismus und Physikalismus
Jetzt kommt nämlich nicht mehr die Frage auf, was Leib und Seele sind, oder moderner gesprochen: Körper und Geist, und wie sich die zwei Dinge zueinander verhalten. Anstatt von mehr oder weniger mysteriösen Dingen zu reden, sprechen wir von Prozessen, die sich in der Welt vollziehen. Wie beziehen wir uns auf diese Prozesse? Mit Sprache. Und auch die Naturwissenschaften sind eine Sprachpraxis.
Der Standpunkt eines Materialisten, den Lehmann als gescheitert ansah, würde bedeuten: Es gibt nur materielle Prozesse. Dass man inzwischen auch vom "Physikalismus" spricht, liegt nicht nur daran, wie Lehmann erklärt, dass Physikern irgendwann aufgefallen ist, dass Energie (und was ist mit Information?) grundlegender als Materie sein könnte.
Den Begriff haben nämlich mit Otto Neurath und Rudolf Carnap bedeutende Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts eingeführt. Sie hatten dabei die These im Sinn, dass nur solche Aussagen eine Bedeutung haben, die sich letztlich in der Sprache der Naturwissenschaft beziehungsweise Physik ausdrücken lassen; das entspricht dem logischen Empirismus. Wie dem auch sei, Lehmann hat Recht, dass Materialismus und Physikalismus heute mehr oder weniger synonym verwendet werden.
Kehren wir aber zum Leib-Seele-Problem zurück: Dieses besteht jetzt in der Frage, wie sich geistige/mentale/psychische Prozesse zu materiellen/physikalischen Prozessen verhalten. Die Frage, was Erstere sind, ließ sich oben zumindest vorläufig beantworten; es ist anzumerken, dass Letztere auch nicht trivial sind. Die Philosophin Barbera Montero bezeichnete es einmal als "Körperproblem" (body problem), dass sich die Frage, was genau das Physikalische ist, nicht eindeutig beantworten lässt.
Philosophen machen es sich manchmal leicht und sagen: Es ist eben das, wovon die Physik handelt. Als ob sich das nicht im Laufe der Zeit ändern würde! Und was würde passieren, wenn Physiker eines Tages Bewusstsein erforschten? Dann fiele Psychisches und Physikalisches per Definition zusammen.
Wenn wir an den Panpsychismus denken, den auch Lehmann diskutierte, erscheint das gar nicht mehr so abwegig: Immerhin liebäugeln mit Christoph Koch und Giulio Tononi auch zwei führende neurowissenschaftliche Pioniere auf dem Gebiet der Bewusstseinsforschung mit dem Gedanken, dass Bewusstsein ein Grundbaustein des Universums ist, im Falle Tononis jedenfalls ab einem bestimmten Grad der Komplexität informationsverarbeitender Systeme.
Wissen von uns und der Welt
Aber bleiben wir noch etwas länger beim Leib-Seele-Problem: Wie verhalten sich also die beiden Arten von Prozessen (psychisch und physikalisch) zueinander? Woher wissen wir überhaupt, dass es solche gibt? Aus der Erfahrung. Auch physikalische Prozesse müssen beobachtet werden, um sie beschreiben zu können.
Das geschieht heute im Wesentlichen mit den Methoden der Experimentalphysik und anderer Naturwissenschaften. Im Falle der psychischen Prozesse kommt zur eigenen Erfahrung und der Erfahrungen anderer, über die wir uns verbal wie nonverbal verständigen, auch die psychologische Wissenschaft.
Problem der mentalen Verursachung
Konrad Lehmann kommt schließlich auf das Problem der mentalen Verursachung zu sprechen:
Alle ontologischen Modelle (außer dem Dualismus) sind sich einig, dass die Welt "kausal geschlossen" ist: Jeder materielle Zustand der Welt wird vollständig und ausschließlich vom vorangegangenen Zustand verursacht. Der physische Zustand zum Zeitpunkt tn ist hinreichend, um den physischen Zustand zum Zeitpunkt tn+1 zu erklären. Zusätzlich verursachen materielle Zustände im Materialismus auch noch mentale Zustände - wie auch immer sie das tun - und sind ebenfalls hinreichend, um diese zu erklären. Daraus folgt aber, dass keine andere Bedingung notwendig sein kann, um den physischen Zustand tn+1 oder die mentalen Zustände zu erklären.
Konrad Lehmann
Hier vermischt Lehmann leider Seinsaussagen (ontologisch) mit Wissensaussagen (epistemisch). Ob die Welt kausal geschlossen ist oder nicht, ist eine Aussage darüber, wie die Welt ist; was wir aber erklären können, ist eine Aussage darüber, was wir wissen können. Die beiden können Hand in Hand gehen, müssen es aber nicht: Beispielsweise könnten prinzipiell kausal deterministische Prozesse für uns unerklärbar sein; oder kausal indeterministische Prozesse könnten durch uns erklärt werden.
Um mit dem Determinismusproblem nicht noch ein weiteres Fass ohne Boden aufzumachen, sei darauf verwiesen, dass Kausalität nicht so eine grundlegende naturwissenschaftliche Kategorie sein muss, wie das Zitat es unterstellt. In den Natur- und Sozialwissenschaften, sicherlich in den Neurowissenschaften und der Psychologie, wird beispielsweise oft mit probabilistischen Kausalbegriffen gearbeitet:
Probabilistische Verursachung
Prozess A verursacht Prozess B probabilistisch, wenn das Eintreten von A das Eintreten von B wahrscheinlicher macht, und dies nicht allein auf einen Prozess C zurückzuführen ist, der A und B probabilistisch verursacht. Das hört sich nur auf den ersten Blick kompliziert an und ist uns tatsächlich gut vertraut. Eine Aussage wie diejenige, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet, entspricht diesem Schema.
Natürlich geht es um einen Kausalzusammenhang, wenn man sagt, dass Rauchen Lungenkrebs verursachen kann. Der Zusammenhang ist probabilistisch, denn niemand weiß, nach wie vielen Zigaretten der Krebs entsteht, sodass man eine Zigarette vorher aufhören könnte. Es handelt sich zudem um wissenschaftlich bestätigte Aussagen und es gibt konkrete Versuche einer mechanistischen Erklärung, auch wenn viele Fragen ungeklärt sind und es vielleicht für immer bleiben werden.
Lineares Denken zu einfach
Lehmanns Aussage unterliegt ein linearer und jedenfalls in seiner Allgemeinheit wissenschaftlich unbrauchbarer Kausalitätsbegriff. Denken wir beispielsweise auch an eine Feedback-Schleife, in der System A System B verstärkt, System B aber A hemmt. Solche Schleifen gibt es im Gehirn zuhauf. Es gibt ganz klar einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang, doch wer genau verursacht hier was? Wo fängt es an, wo hört es auf?
Mit diesem linearen Denken fährt Konrad Lehmann fort, wenn er schließlich schreibt: "Die mentalen Zustände können also weder andere mentale Zustände bewirken - denn die sind ja schon durch die Materie erzeugt -, noch können sie auf die Materie zurückwirken - denn deren Veränderungen sind ja vollständig in der kausal geschlossenen materiellen Welt begründet."
Das stimmt aber nur unter der Annahme, dass ein Prozess bloß eine vollständige Ursache haben kann. Stellen wir uns eine standrechtliche Verurteilung vor: Fünf Soldaten erschießen einen Deserteur. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, doch aber möglich, dass die fünf Kugeln den Unglücklichen zum selben Zeitpunkt treffen und töten. Lehmann müsste sagen: Wenn eine Kugel den Mann umbringt, können es die anderen vier nicht. Das ist aber doch möglich!
Mentale Verursachung im Alltag
An mentaler Verursachung ist auch nichts Mysteriöses. Man braucht sich nur einen Wald vorzustellen, schon entstehen entsprechende Gehirnaktivierungen; diese lassen sich ebenfalls messen, sonst würden Computer-Gehirn-Schnittstellen überhaupt nicht funktionieren.
Auch aus der Wissenschaft wissen wir zum Beispiel, dass Prüfungsstress bei Studierenden Erkältungen wahrscheinlicher macht (S. Stewart-Brown, 1999, British Medical Journal). Dabei geht es beispielsweise um die Prüfung (intentionaler Gehalt) und das Erleben von Unruhe oder gar Angst (phänomenaler Gehalt). Solche Prozesse können wir gar nicht anders beschreiben als psychisch! Und doch sind sie kausal wirksam in der Welt. Auch hier gibt es Hypothesen über die Mechanismen, wie beim erwähnten Lungenkrebsbeispiel.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Um es zusammenzufassen: Philosophie, Psychologie und Physik müssen sich nicht widersprechen; sie können sich auch sinnvoll ergänzen. Das Leib-Seele-Problem ist, so verstanden, kein prinzipielles, sondern ein offenes Problem, das zu philosophischen Analysen einlädt und empirische wie theoretische Forschung erfordert. Vom Leib-Seele-Problem, wie Lehmann und viele andere es formulierten, können wir uns verabschieden.
Natürlich ist es ein Rätsel, wie Bewusstseinsprozesse entstehen und was sie bewirken. Dass es sie gibt, das müssen wir aber nicht bezweifeln.
Der Materialismus/Physikalismus wurde oft so formuliert, dass Psychisches nichts anderes ist als Physikalisches. Das klingt so, als würden wir etwas verlieren, von dem wir doch wissen, dass es besteht. Formulieren wir es einmal anders herum, dann wird daraus eine spannende Herausforderung: Körper ist Geist! Wie kann es nur möglich sein, dass in einem Körper, in einem Nervensystem Bewusstseinsprozesse entstehen?
Altes Wissen
Die Befunde, die angeblich zeigen, dass Psychisches nur Physikalisches sei, denken wir an Läsionsstudien (also Studien nach Gehirnschäden) oder Experimente mit elektrischer Stimulation des Nervensystems, sind doch überhaupt nicht neu - sie wurden uns nur in den letzten zwanzig Jahren immer wieder als neu verkauft. Warum? Weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in zunehmendem Maße auf die Medien angewiesen sind und öffentliche Aufmerksamkeit genießen.
Schon in der Antike gab es Untersuchungen etwa an Gladiatoren mit Kopfverletzungen; man denke an den griechischen Arzt und Anatomen Galenos von Pergamon, der später in Rom tätig war. Aus dem alten Ägypten sind Therapien überliefert, Kopfschmerzen mit Zitteraalen (elektrische Stimulation des Gehirns) zu behandeln. Und wie lange schon werden psychedelische Drogen in allen Kulturen der Welt zur Bewusstseinsveränderung verwendet? Trinken Sie ein paar Biere und erleben Sie es selbst!
Offene Herausforderung
Man muss keine Probleme erfinden, wo es sie nicht gibt. Man sollte aber umgekehrt auch nicht unterstellen, dass bunte Aktivierungswolken, die man auf einen anatomischen Gehirnschnitt projiziert, viel erklären. Es handelt sich schlicht um statistische Konstrukte (etwa t-Werte) für einen physikalischen Stellvertreter (Magnetfeldunterschiede) für einen biologischen Stellvertreter (Blutflussunterschiede) dessen, was bestimmte Aspekte neuronaler Prozesse sein könnten.
Das Leib-Seele-Problem, so verstanden, ist eine offene Herausforderung, kein unlösbares Problem. So viel steht aber fest: Die Methoden, um es zu knacken, müssen wir erst noch erfinden.
Stephan Schleim schrieb 2005 beim Bewusstseinsphilosophen Thomas Metzinger seine Magisterarbeit zum Leib-Seele-Problem. Danach wechselte er in die bildgebende Hirnforschung für ein Promotionsprojekt über moralische Entscheidungen. Heute lehrt und forscht er als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologe an der Universität Groningen. Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.
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