Kolumbien riskiert den Krieg
Konflikt mit der FARC-Guerilla.: Nach einer Militärintervention Bogotás verlegen Ecuador und Venezuela Truppen an die Grenze
Ein Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Lager der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in Ecuador hat schwerwiegende diplomatische Folgen. Nach der Attacke in der Nacht zum Sonntag haben sowohl Ecuador als auch Venezuela die Beziehungen zu der Regierung von Präsident Alvaro Uribe abgebrochen. Beide Staaten reagierten auf die Grenzverletzung zudem mit einer Teilmobilisierung ihrer Truppen.
Es war eine militärisch minutiös geplante Aktion. Kurz nach Mitternacht hatten Jagdbomber der kolumbianischen Luftwaffe ein Lager der FARC-Guerilla in der Grenzregion zu Ecuador angegriffen. Nach Angaben von Verteidigungsminister Juan Manuel Santos wussten die Militärs zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sich der FARC-Kommandant und internationale Sprecher der Rebellenorganisation, Raúl Reyes, in dem Stützpunkt befand. Die Überwachung seines Satellitentelefons sowie ein Informant hätten den 59-Jährigen verraten, gab Santos am Sonntag bekannt. Nach den Luftangriffen dann hätten nachrückende Bodentruppen die Leiche von Reyes geborgen. Insgesamt starben bei der Militäraktion 17 Rebellen und ein kolumbianischer Soldat.
Protest gegen Grenzverletzung
Einen ähnlichen Ablauf schilderte Uribe seinem ecuadorianischen Amtskollegen Rafael Correa am frühen Sonntagmorgen. Wenig später war klar, dass die Darstellung nicht der Wahrheit entsprach. Das Lager der FARC-Einheit hatte sich gut zwei Kilometer weit in ecuadorianischem Gebiet befunden. Sowohl die Luftangriffe als auch der Bodenangriff fand damit in dem Nachbarland statt.
In einer ersten Reaktion drohte der ecuadorianische Staatschef Correa Kolumbien deswegen "schwerste Konsequenzen" an. Nach einem formellen Protest zog Ecuador noch am Wochenende sein Botschaftspersonal aus Kolumbien ab und wies die diplomatischen Vertreter Kolumbiens aus. Ebenso reagierte Venezuela. Beide Staaten entsandten einen Teil ihrer Truppen an die Grenze zu Kolumbien. In seiner wöchentlichen Fernsehsendung Aló, Presidente richtete Chávez zugleich eine Warnung an seinen Amtskollegen Uribe:
Kommen Sie nicht auf die Idee, etwas Ähnliches hier zu probieren. Eine militärische Intervention auf venezolanischem Gebiet wäre für uns ein Kriegsgrund.
Hugo Chávez
Der militärisch präzise Angriff der kolumbianischen Armee auf das FARC-Lager fand wenige Tage nach der Freilassung einer Gruppe von Gefangener durch die FARC. Die Rebellen reagierten damit auf Vermittlungsbemühungen der linksliberalen kolumbianischen Senatorin Piedad Córdoba sowie des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Beide Politiker hatten in den vergangenen Monaten in zunehmend offenem Widerspruch zu der militärischen Konfrontationsstrategie der kolumbianischen Regierung den Kontakt zu den Rebellen gesucht. Zunächst ging es dabei um einen Austausch der Gefangenen beider Konfliktparteien. Die FARC halten bis zu 1000 Kriegsgefangene fest. Zudem befinden sich rund 40 Politiker in der Hand der Gruppe. Sie sollen gegen einige Hundert inhaftierte Guerilleros ausgetauscht werden.
Córdoba und Chávez hatten neben ihrem Engagement für einen solchen humanitären Gefangenenaustausch wiederholt auch geklärt, dass sich die soziale und militärische Auseinandersetzung Kolumbiens langfristig nur auf diplomatischem Wege lösen lasse. Die gezielte Ermordung des FARC-Sprechers setzt ein eindrucksvolles Zeichen gegen diese Haltung. Denn Reyes war nicht nur Mitglied des siebenköpfigen "Sekretariats" der FARC. Er war auch maßgeblich für die Friedensverhandlungen mit der ehemaligen Regierung unter Andrés Pastrana (1998-2002) zuständig.
Kolumbien - das "Israel Südamerikas"?
Am Montag dann enthüllte die argentinische Tageszeitung Clarín pikante Details zu dem Angriff. Reyes sei nach der ersten Angriffswelle aus der Luft durch einen Bombensplitter am Bein verletzt worden, schrieb das Blatt. Als Kampfgefährten ihn in eine nahe Ortschaft bringen wollten, hätten nachrückende Bodentruppen die Rebellen verfolgt und durch gezielte Schüsse exekutiert. Aufnahmen der Leichen bestätigen diese Darstellung.
Chávez bezeichnete den Angriff auch deswegen als "Massaker". Kolumbien, sagte er am Sonntag, werde zunehmend zu einem "terroristischen Staat". Der Angriff habe deswegen nicht allein den FARC gegolten. Es sei ein Schlag "gegen den Frieden und gegen das humanitäre Abkommen" gewesen. Der Regierung in Bogotá warf er mit Blick auf die enge Militärkooperation mit Washington vor, sich zu einem "Israel Südamerikas" zu entwickeln. Tatsächlich erhalten die USA in Südamerika nur noch aus Bogotá uneingeschränkte Unterstützung. Die US-Regierung hat der Staatsführung unter Uribe in den vergangenen Jahren Milliarden US-Dollar Militärhilfe zukommen lassen, um gegen die Guerilla vorzugehen.
Die regionale Auswirkung des Krieges in Kolumbien ist nicht neu. Seit seinem Antritt im Jahr 2002 versucht Uribe, die angrenzenden Staaten in seine kompromisslose Militärpolitik einzubinden. Venezuela hatte einen solchen Beistand stets verweigert, um auf die sozialen Ursachen der Auseinandersetzungen in dem Nachbarland zu verweisen. In Kolumbien und in der internationalen Presse war Caracas wegen dieser Haltung wiederholt eine Unterstützung der Guerilla unterstellt worden. Ideologisch ist eine gemeinsame Basis dabei zwar nicht von der Hand zu weisen - am Sonntag erst würdigte Chávez den getöteten Rebellenchef Reyes als "guten Revolutionär" -, politisch oder militärisch konnte Caracas eine Zusammenarbeit nie nachgewiesen werden.
Eben diesen Vorwurf muss sich nun aber auch Ecuador gefallen lassen. Als Reaktion auf die Proteste aus Quito warf der kolumbianische Polizeichef Oscar Naranjo der Regierung von Rafael Correa am Sonntag vor, mit den FARC zusammengearbeitet zu haben. Entsprechende Belege seien auf drei Rechnern von Raúl Reyes gefunden worden, den die Armee sichergestellt habe. Aus Quito kam das umgehende Dementi. Bei den Vorwürfen handele es sich um Lügen, die Kolumbien nun erfinde, um den Angriff auf das Nachbarland im Nachhinein zu rechtfertigen.