Kommentar zur EU-Urheberrechtsreform
Die Berichterstattung zum aktuellen Status der Urheberrechtsdirektive (Copyright Directive) in den großen Medien in Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen überraschend einseitig
Wer zum Beispiel nicht gerade Heise.de, Netzpolitik.de oder Futurzone.de liest, hat vermutlich noch nicht mitbekommen, dass die Petition gegen Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht inzwischen mehr als 4,5 Millionen Unterschriften aufweist und damit die größte Petition bislang in Europa ist.
Ein weiteres Beispiel für selektive Berichterstattung dürfte der gestrige Artikel "Upload-Filter - Bertelsmann lehnt die EU-Urheberrechtsreform jetzt auch ab" in Spiegel-Online von Patrick Beuth sein.
Der Artikel startet mit der Behauptung, die Direktive "soll den Rechteinhabern und Kreativen zugute kommen: Sie sollen durch neue Vorschriften fairer für ihre Leistungen entlohnt werden." Diese Behauptung wird so stehen gelassen, obwohl sich aus dem Inhalt der Direktive ergibt, dass die Rechte und Entlohnung der Kreativen nicht etwa verbessert, sondern beschnitten werden.
So legalisiert Artikel 12 die in Deutschland vor Gericht vor wenigen Jahren als illegal erkannte Praxis der Verwertungsgesellschaften, die Einnahmen zwischen Verlegern und Kreativen zu teilen, statt sie nur den Kreativen auszuzahlen. Damit verschiebt sich das in der Praxis bestehende Ungleichgewicht zwischen Verwertern und Kreativen wieder weiter auf die Seite der Verwerter. Artikel 12a nimmt den Urhebern von Fotos bei Sportveranstaltungen ihre Verwertungsrechte. Das ist eine Enteignung der Kreativen, keine faire Entlohnung. Und Artikel 11 gibt den Verwertern von journalistischen Artikel, den Zeitungsverlagen, zusätzliche Einnahmen, nicht jedoch den Autoren der Artikel. Durch die Direktive werden also Kreative weniger und Rechteinhaber mehr entlohnt, Fotografen von Sportveranstaltungen sogar enteignet.
Im Anschluss daran erweckt der Artikel den Anschein als wären bislang nur die Betreiber von Onlineplattformen wie YouTube Gegner der Direktive gewesen: "Doch mittlerweile sind nicht mehr nur Betreiber von Online-Plattformen wie YouTube unglücklich über das Reformvorhaben, sondern sogar viele Rechteinhaber selbst." Hier wird eine Vielzahl von Gegnern der Direktive unterschlagen, die eben gerade keine Betreiber von Online-Plattformen wie Youtube sind:
- Die bislang größte Online-Petition in Europa ist gegen Artikel 11 und 13 der Direktive gerichtet. Mehr als 4.5 Millionen Bürger, darunter mit Sicherheit hunderttausende Kreative, haben hier unterschrieben.
- Auch der offene Brief von 70 Internet-Pionieren im Juni 2018, darunter bekannte Personen wie Tim Berners-Lee, Verlagsinhaber Tim O’Reilly, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Brewster Kahle vom Internet Archive oder Joichi Ito, Direktor des MIT Media Lab, wird im Artikel nicht erwähnt.
- Die Stellungnahme des Max Planck Institute for Innovation and Competition zur Unvereinbarkeit der Direktive Artikel 13 mit den existierenden Direktiven und den Grundrechten in der EU hätte auch Erwähnung finden sollen, denn auch wenn sie schon von 2017 ist, sind die angesprochenen Probleme noch immer aktuell.
- Der Brief der kleinen und mittleren Medienverlage gegen die Direktive vom 28. Oktober 2018 wird nicht beachtet.
- Der Brandbrief von 169 Europäischen Akademikern im April 2018 aus den Bereichen Urheberrecht, Internationales Recht, Menschenrechte und Journalismus wird ebenfalls nicht erwähnt.
- Ebenso fehlt der offene Brief von 25 Akademikern aus Europäischen Forschungszentren und Universitäten im April 2018.
- Neu gibt es noch einen offenen Brief von Anfang Januar, in dem eine Vielzahl von Organisation in Europa inzwischen fordert, Artikel 11 und 13 ersatzlos zu streichen, darunter auch der Verband europäischer Universitäten EUA, die Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition Europe (SPARC Europe) und Bibliothekenverbände wie LIBER und EBLIDA.
All diese Gegner der Direktive kritisieren diese, weil ihre Vorschriften viel zu weit gehen. Die Auswirkungen nicht nur auf Plattformen wie YouTube, sondern auch auf Bürger, Kreative, Internetwirtschaft und Grundrechte wären in der Summe negativ bis katastrophal.
Doch leider findet sich nichts davon im genannten Spiegel-Online Artikel. Im Gegenteil, der Artikel erweckt im Folgenden den Eindruck, als würden alle Gegner der Direktive, abgesehen natürlich von den eingangs erwähnten Plattforminhabern und einer möglicherweise weiteren Ausnahme, die Direktive als zu schwach formuliert sehen und ein deutlich strengeres Vorgehen gegen Onlineplattformen fordern.
Bertelsmann zufolge enthalte die Direktive "Schlupflöcher für die Plattformbetreiber", weshalb man die Direktive in der momentanen Einigung ablehne. Es wird ein Brief von "14 Verbände und Organisationen aus dem Bereich Film- und Fernsehproduktion und -förderung" erwähnt, laut welchem die Direktive "in keiner Weise die von der EU-Kommission angekündigten Ziele" erfülle. Und dann gäbe es noch "18 große Film-, Fernseh- und Sportrechteinhaber, darunter die Deutsche Fußball-Liga", die ähnliches wie Bertelsmanns Befürchtungen schon im Dezember geäußert hätten. Wir erfahren auch, dass der EU-Parlamentsberichterstatter mit dem aktuellen Vorschlag nicht zufrieden sei, "weil er in der Haftungsfrage nicht streng genug sei".
Als Ausnahme von der Regel wird der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken zitiert, der den Vorschlag nur als "handwerklich" nicht gut gemachte Regelung kritisiert. Ob er die Direktive zusätzlich auch noch für zu lasch hält (wie anscheinend alle anderen Kritiker) erfahren wir nicht, aber als Leser kann man wohl davon ausgehen, denn auch er teilt die Meinung es sei "ein Kompromiss, der niemanden mehr hilft".
Würde ich nur den Artikel von Spiegel-Online kennen, wäre die transportierte Meinung für mich klar: Die Direktive sei gut für Verwerter und Kreative, aber zu lasch gegen die Online-Plattformen. Irgendwie müssen sich diese bei den Verhandlungen durchgesetzt haben, denn alle Gegner der Direktive würden sie jetzt noch viel härter haben wollen. Der im Artikel unausgesprochene Auftrag an die Politik: Macht sie härter.
Von einer ausgewogenen Berichterstattung erwarte ich als Leser aber etwas anders. Denn es gibt offenbar einen breiten Konsens in der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft gegen die Direktive. Der Rat und das Parlament sollten zurückkehren zu den Ergebnissen der ursprünglichen EU-Befragung von 2014, die in die momentane Direktive leider keinerlei Eingang fanden.
Ingo Keck ist selbst langjähriger Autor von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Mitinhaber eines wissenschaftlichen Verlags und momentan zum Teil an einer öffentlichen Bibliothek beschäftigt.
Der Artikel ist unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA-3.0 erschienen.
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