Kommunikations - Guerilla mit alten Mitteln

Die südmexikanischen Zapatisten haben lange nach dem Internet nun auch das Radio für sich entdeckt

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Am 9. August startet die intergalaktische Ausgabe von Radio Insurgente, der Stimme der EZLN. Zum Sendestart und anlässlich von Reformen im zapatistischen Autonomiegebiet lädt Subcomandante Marcos die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft für das kommende Wochenende zu einer großen Party nach Chiapas.

Aus allen Hütten klingt dieselbe Melodie, sie weht durch die abgelegensten Täler des mexikanischen Bundesstaats Chiapas. Frühmorgens, wenn sie die oft kilometerweite Strecke zu ihrer Parzelle antreten, tragen die Bauern schon ihr kleines Radio bei sich.

"Wenn Du von Tausenden Soldaten umzingelt lebst, wenn Du der Regierung längst nicht mehr glaubst, wenn Du von Paramilitärs bedroht oder verfolgt wirst oder sie Dich vertrieben haben. Wenn Du Teil des Kampfes bist und nichts zu tun hast, dann höre Radio Insurgente, aus den Bergen des mexikanischen Südostens.

sagt eine Frauenstimme. Es folgt Musik, ein mexikanischer corrido.

Nachmittags kommen Nachrichten. Lokal, national und international. Was für eine Sensation das in diesen Breitengraden ist, die bisher einer medialen Wüste glichen, macht ein kleiner, alter Mann deutlich, der einen breitkrempigen Hut mit bunten Troddeln trägt. "Wir haben jetzt sogar Nachrichten über Irak!", verkündet er stolz, in der Hand einen winzigen Plastikglobus, auf dem er mit dem Finger auf das arabische Land zeigt.

Die Nachrichten werden wie das gesamte Programm in mehreren Sprachen gesendet: Neben Spanisch wird alles in mindestens zwei der chiapanekischen Indianersprachen übersetzt. Eröffnet wird die Nachrichtensendung mit dem Satz: "Weil nicht informiert sein genauso schlimm ist wie unbewaffnet sein..." Bewaffnet ist in dieser Gegend auf den ersten Blick niemand. Dennoch schwelt der Konflikt. Gerade in den letzten Wochen sind die Paramilitärs beunruhigend aktiv, versammeln sich häufig und schießen in die Luft. Ende 1997 haben sie in einem der Dörfer, in Acteal, 45 wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit Macheten und Gewehren abgeschlachtet, während die Polizei tatenlos zusah. Seitdem gibt es immer wieder einzelne Tote und Tausende von Vertriebenen, die in Flüchtlingslagern leben.

Auch Radio kann eine Waffe sein

Damals gab es Radio Insurgente noch nicht, das Radio der Zapatisten. Seit einigen Monaten wird das Programm von mehreren UKW-Sendern ausgestrahlt, die im zapatistischen Gebiet verteilt sind. Radio Insurgente ist in dieser abgeschiedenen Gegend, in der das Radioband ohnehin fast leer ist, der einzige Sender, der in den lokalen Sprachen sendet und deshalb auch von der Bevölkerung verstanden wird. Denn etwa die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer sind in dieser immer noch ärmsten und mehrheitlich von Mayas bewohnten Region Mexikos Analphabeten, und viele sprechen kein oder nur schlechtes Spanisch. Im Krieg niedriger Intensität kann Radio bekanntlich auch eine Waffe sein: Wie manche der vielen täglich eingehenden Hörerwünsche und Zuschriften beweisen, wird Radio Insurgente auch von Soldaten und Paramilitärs gehört. Zuweilen wendet sich das Radio deshalb direkt an diese Hörer, um sie zu demoralisieren oder sie zum desertieren aufzufordern.

Ab dem kommenden 9. August soll es wöchentlich auch eine "intergalaktische" Ausgabe von Radio Insurgente geben, auf Kurzwelle, auf der Frequenz 5,8 Megaherz im 49-Meter-Band. Sie wird auf dem gesamten amerikanischen Kontinent zu hören sein, mit etwas Glück auch in Europa. Gerüchten zufolge auch bald im Internet (eine Hörprobe des zapatistischen UkW-Radios gibt es jetzt schon hier). Zapatistensprecher Marcos in einem Kommuniqué von Ende Juli:

Der Sup wird eine einstündige Musiksendung machen, die wie es geboten ist, im Morgengrauen gesendet werden wird. Nein, der Sup wird nicht etwa singen, sondern er wird Musik, Märchen und Erzählungen vorstellen. Das Programm 'Durito DJ' startet vorerst noch nicht, weil der Käfer sich noch mit Schleifchen schmückt und außerdem keinen Vertrag unterzeichnet (er will es unter 24 Stunden täglich nicht machen).

Die Uhrzeit der Sendung wurde noch nicht bekannt gegeben. An die Adresse der Paramilitärs schlug der "Sup" im selben Text ungewohnt forsche Töne an: Eigentlich laute die Regel Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Aber bei uns gibt es ein Sonderangebot. Wir bieten zwei Augen für eins von den unsrigen und das ganze Gebiss für jeden Zahn. Also sagt, ob Ihr euch traut.

Das UKW-Programm von Radio Insurgente wird hauptsächlich von Frauen gestaltet. Sie haben vor allem ein Bildungsinstrument daraus gemacht und dafür gesorgt, dass auch Themen wie die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungs, Gewalt gegen Frauen oder geteilte Verantwortung in der Kindererziehung und Hausarbeit im Radio angesprochen werden. So heißt es beispielsweise in einem Spot, der mehrmals am Tag ausgestrahlt wird:

Hey Frau, träumst Du von einer schönen Zukunft? Wir können Dir sagen, dass Du Deinen Partner frei wählen kannst und niemand Dich zwingen darf, gegen Deinen Willen zu heiraten. Das besagt das revolutionäre Frauengesetz der EZLN. Und Du hast das Recht, Deinem Mann Nein zu sagen, wenn Du müde bist, dich nicht gut fühlst oder einfach keine Lust hast.

Das revolutionäre Frauengesetz, das 1994 international bekannt gegeben wurde und der EZLN den Ruf der ersten feministischen Guerilla einbrachte, ist noch weit davon entfernt, in allen zapatistischen Gemeinden komplett umgesetzt zu sein. Mancherorts gehen Mädchen immer noch nicht zur Schule, sondern tragen statt dessen ihre Geschwisterchen auf dem Rücken, wie das traditionell üblich war. Dies konstatiert auch Marcos in einer Bilanz der zapatistischen Selbstverwaltung, die er in den letzten Wochen veröffentlicht hat. Chiapas ist ein Landstrich, wo die Zeit bis 1994 jahrhundertelang stehen geblieben war. Auch wenn zapatistische Botschaften heute binnen Stunden um die Welt gehen, brauchen Veränderungen vor Ort ihre Zeit. Manchmal ist das entnervend viel Zeit.

Gegen das Vergessen

Radio Insurgente ist ein Mittel, um solche Prozesse zu beschleunigen. Das Programm spiegelt in seiner Mischung die Verhältnisse im zapatistischen Autonomiegebiet wieder: sehr Fortschrittliches steht unvermittelt neben sehr Rückständigem. Auf uralte, traditionelle Musik, die für westliche Ohren weder melodisch noch rhythmisch klingt, folgen übergangslos die harten, schnellen Beats von Control Machete. Oft ist den Sprecherinnen anzuhören, dass ihnen die Routine fehlt, dass sie sich das Medium Radio erst nach und nach erschließen.

Auch die Selbstverwaltungsstrukturen, die seit 1994 im Gebiet der Aufständischen geschaffen wurden, befinden sich in einem ständigen Lernprozess. In den Communiqués der letzten Wochen haben die Zapatisten mitgeteilt, dass die sogenannten Aguascalientes, die bisherigen Anlaufstellen für Menschenrechtsbeobachter und internationale Solidarität, durch eine neue, transparentere Struktur ersetzt werden sollen, die vor allem die Zuteilung von Hilfsgeldern gerechter regeln soll. Es habe Probleme gegeben, vor allem im Zusammenhang mit finanzieller Unterstützung von außen: "In den autonomen Gemeinden ist die Entwicklung ungleich, ... d.h., die bekannteren Gemeinden oder die besser erreichbaren erhalten mehr Unterstützung." Einzelne hätten sich korrumpieren lassen. Auch solle eine bestimmte Art von Almosen abgeschafft werden, die "einige NGOs und internationale Organisationen praktizieren. Sie besteht darin, dass sie entscheiden, was die Gemeinden brauchen, und ohne diese überhaupt zu fragen, nicht nur bestimmte Projekte festlegen, sondern auch noch den Zeitpunkt und die Art ihrer Umsetzung."

In einem Land, in dem die in den 70er und 80er Jahren entstandenen sozialen Bewegungen heute zum großen Teil kooptiert oder in Form von Nichtregierungsorganisationen institutionalisiert sind, ist das Misstrauen der zapatistischen Indígenas gegenüber Finanzhilfen von außen ein politischer Trumpf. Doch während die autonomen Gemeinden in Chiapas sich mit internen Reformen befassen, setzt die Regierung von Vicente Fox darauf, dass die Zapatisten langsam in Vergessenheit geraten. Alle drei politischen Gewalten haben den letzten Vorstoß, den die EZLN 2001 mit dem Marsch der Comandantes auf Mexiko-Stadt für eine landesweite Autonomieregelung für die indigene Bevölkerung gemacht hatte, umstandslos zurückgewiesen. Danach war es lange Zeit still gewesen um die Zapatisten.

Mit der internationalen Ausgabe von Radio Insurgente tun sie nun ihrerseits wieder einen Schritt, um den politischen Druck auf die Regierung zu erhöhen. Und mit der Party, zu der sie die gesamte "internationale Zivilgesellschaft" aus Anlass des Sendestarts und der Umstrukturierung ihrer selbstverwalteten Regierungen für das kommende Wochenende ins chiapanekische Oventik einladen. Bundesdeutsche Solidaritätsgruppen haben ein Spendenkonto für Radio Insurgente eingerichtet, mit dem das UKW-Netz in Chiapas weiter ausgebaut werden soll.