Komplott gegen Griechenland?
Die Eurogruppe stellt immer neue Bedingungen für die Rettung des hoffnungslos überschuldeten Landes. Die Fäden zieht dabei eine neue "Elite-"Gruppe aus Deutschland, Finnland und den Niederlanden
Die Schuldenkrise in Griechenland hat eine brisante Wende genommen. Zum ersten Mal spielt eine Gruppe von Eurostaaten, darunter auch Deutschland, offen mit dem Gedanken an eine ungeordnete Pleite. Für diesen Fall sei man besser vorbereitet als noch vor zwei Jahren, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Und zum ersten Mal schlägt Athen wenigstens verbal zurück. "Wer ist Herr Schäuble, dass er Griechenland kränkt?", sagte der sichtlich erboste Staatspräsident Karolos Papoulias am Mittwoch in Athen.
Um diese Wende zu verstehen, darf man sich nicht auf die offiziellen Statements aus Brüssel, Berlin und Athen verlassen. Sie sind bestenfalls nichtssagend, meistens sogar irreführend. So erklärte der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, am Mittwochabend, die Entscheidung über ein neues Griechenland-Hilfspaket in Höhe von mindestens 130 Mrd. Euro rücke näher. Beim nächsten Treffen der 17 Euroländer am kommenden Montag in Brüssel werde man wohl "alle nötigen Beschlüsse" fassen können.
Doch derselbe Juncker hatte noch kurz zuvor die Regierung in Athen brüskiert und ihr mangelnde Reformbereitschaft vorgeworfen. Vor einer Woche, bei einem informellen Treffen der Finanzminister, hatte er behauptet, es seien keine Beschlüsse gefasst worden, alles habe sich um die Krise in Athen gedreht. Hinterher wurde bekannt, dass die Eurogruppe nicht nur über Griechenland, sondern auch über das ebenfalls hochverschuldete Portugal gesprochen hatte. Schäuble hat Portugal an diesem Abend sogar neue Milliardenhilfe in Aussicht gestellt, wie ein umstrittenes Video belegt.
Offenbar bereitet sich die Eurogruppe also auf weitreichende Entscheidungen vor. Ob sie aber nun die so genannte "Rettung" Griechenlands durch ein neues radikales Spar- und Reformpaket herbeiführen wollen oder ganz im Gegenteil darauf zielen, Griechenland aus der Eurogruppe auszuschließen, ist längst nicht ausgemacht. Neuerdings muss man sogar eine dritte Hypothese prüfen: Möglicherweise legen es einige Eurostaaten bewusst darauf an, Athen zu provozieren, dass es patzt und scheinbar selbst verschuldet in die Pleite schlittert.
Diese These stellte der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos auf, und ihr scheint auch Staatspräsident Papoulias anzuhängen. "Gewisse Mächte" versuchten, sein Land aus dem Euro zu drängen, sagte der schwergewichtige Politiker. Gemeint sind offenbar Deutschland, Finnland und die Niederlande, die tatsächlich seit Tagen den Druck auf Athen erhöhen und auf jedes Zugeständnis mit neuen Forderungen reagieren.
Spekulation auf die Pleite Griechenlands?
So forderte Deutschlands Kassenwart Schäuble zunächst, dass alle großen griechischen Regierungsparteien schriftlich versichern müssten, dass sie das jüngste Spardiktat der Troika auch nach der Wahl im April umsetzen. Kaum waren die Unterschriften geleistet, stellte Schäuble die Wahlen an sich in Frage. "Wer stellt denn sicher, dass Griechenland danach zu dem steht, was wir jetzt mit Griechenland vereinbaren", fragte er in einem SWR-Radiointerview - und forderte neue Garantien.
Schäuble steht mit dieser Forderung nicht allein. Nach einem Bericht der britischen FT haben auch die Niederlande und Finnland zusätzliche Absicherungen verlangt und eine Verschiebung der Wahlen angeregt. Sollte dies nicht möglich sein, könnte die europäische Hilfe auch bis nach den Wahlen zurückgehalten werden, heißt es in Brüssel. Alle drei Länder gelten nicht nur als besonders kritisch gegenüber Griechenland. Sie gehören auch dem exklusiven Club der so genannten Triple-A-Länder in der Eurozone an - also jenem Kreis, der trotz Eurokrise noch ein unangefochtenes Toprating hat. Erst kürzlich hatten sie sich auf Einladung Schäubles in Berlin getroffen.
Kein Wunder, dass Venizelos ein Komplott wittert. Die Frage ist nur, ob Schäuble & Co. tatsächlich auf eine Pleite Griechenlands spekulieren - oder ob sie aus purer Angst vor fehlenden Parlamentsmehrheiten in den eigenen Ländern vor den überfälligen Entscheidungen zurückschrecken. Letzteres legt eine zweite Story in der britischen FT nahe, die als Blog erschien und sich auf geleakte Dokumente bezieht. Daraus geht hervor, dass das eigentliche Problem nicht etwa die Glaubwürdigkeit der griechischen Parteien oder die mangelnde Reformbereitschaft in Athen ist, sondern der Widerstand in den nationalen Parlamenten in Berlin, Den Haag und Helsinki gegen neue Hilfen.
Und bei diesen Hilfen geht es auch nicht nur um die 130 Mrd. Euro, die in Berlin immer genannt werden. Es geht um mehr, viel mehr: Zum einen müsste der neue Rettungsplan mindestens 145 Mrd. Euro umfassen, damit er Griechenland wirklich entlastet. Und zum anderen werden weitere 93,5 Mrd. Euro fällig, um den geplanten Schuldenschnitt abzusichern und private Banken, Versicherungen und Hedgefonds von der Teilnahme zu überzeugen.
Ein Teil dieses Geldes soll offenbar aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF, ein anderer Teil aus nationalen Budgets gedeckt werden. Und dagegen würden wohl - so viel zumindest scheint sicher - nicht nur die euroskeptischen Parteien in Helsinki und Den Haag, sondern auch FDP und CSU in Berlin Sturm laufen. Kanzlerin Merkel möchte dies um jeden Preis vermeiden und steht daher seit Wochen auf der Bremse (siehe auch: Wie Berlin die Griechenland-Rettung erschwert).
Ihr Finanzminister Schäuble scheint in dieser verfahrenen Lage eine Art Salamitaktik zu verfolgen: Einerseits erhöht er den Druck auf die Griechen, um die schwarzgelbe Koalition bei Laune zu halten. Andererseits spielt er auf Zeit - in der Hoffnung, die Fehlbeträge doch noch irgendwie zusammenzubringen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die EZB, die es zwar ablehnt, wie die Privatbanken ebenfalls auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Sie könnte aber Gewinne aus Griechenland-Anleihen für die neue Rettungsaktion zur Verfügung stellen und so einen Teil der Lücke schließen.
Machtkampf hinter verschlossenen Türen
Die Stützung Griechenlands ist also eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Bisher geht sie hinten und vorne nicht auf - und es sieht nicht so aus, als sei auf allen Seiten noch genug politischer Wille vorhanden, um doch noch eine Einigung zu erzwingen. Vielmehr deutet sich ein Machtkampf zwischen den Triple-A-Staaten Deutschland, Niederlande und Finnland auf der einen sowie hilfsbereiten Staaten wie Frankreich oder Italien auf der anderen Seite an. Wie er ausgeht, ist völlig offen, zumal sich auch die EZB noch nicht endgültig festgelegt hat und hinter den Kulissen auch noch der IWF agiert.
Fest steht nur eins: Die vordergründige Debatte über den angeblich mangelnden Sparwillen der Griechen und das fehlende Vertrauen der Gläubiger ist nur für das staunende Publikum gedacht. Sie soll von den eigentlichen, hochbrisanten Streitpunkten ablenken, die hinter verschlossenen Türen in Brüssel verhandelt werden. Dazu zählt auch noch ein Sperrkonto, von dem aus künftig der Schuldendienst abgewickelt werden soll. Diese deutsche Forderung sei weiter auf dem Tisch, heißt es in Brüssel. Sie läuft auf eine finanzpolitische Entmündigung Griechenland hinaus.
Fest steht auch, dass die ganze Aktion mit normalen demokratischen Verfahren und politischen Normen nicht mehr vereinbar ist. Während in Brüssel eine von niemandem gewählte, nur von der Rating-Agentur Standard & Poor‘s geadelte "Elite"-Truppe aus Deutschen, Finnen und Niederländern den Ton angibt, sollen in Athen die Wahlen verschoben werden. Ein im letzten Herbst geplantes Referendum wurde bereits sang- und klanglos abgesagt. Die unmissverständliche Botschaft: Wenn es um milliardenschwere Bailouts geht, haben Bürger und Parlamente nichts mehr zu melden. Dann übernehmen die Gläubiger das Regiment - koste es, was es wolle.