Konzentriertes Gejammer: NZZ schließt Kommentarspalte

Seite 2: Das Schließen der Leserforen ist ein politischer Schritt

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Auch wenn das Verhalten mancher Mediennutzer gewaltig am Ego der Alphajournalisten kratzt und Leser mit Nachdruck immer wieder klarmachen, dass sie von den Eitelkeiten, die in Teilen des journalistischen Feldes vorherrschen, nichts halten: Bei dem Schließen der Leserforen geht es nicht nur um persönliche Befindlichkeiten von Journalisten. Das Schließen der Leserforen und die Verbannung des Lesers in "kleine Diskussionsräume", die noch auf der Plattform zur Verfügung gestellt werden, ist geradezu ein politischer Schritt.

Wenn reichweitenstarke Medienplattformen ihre Leserforen schließen, dann verhindern sie nicht nur, dass unflätige Kommentare veröffentlicht werden. Sie verdrängen mit diesem Schritt auch unerwünschte politische Diskussionen und Ansichten aus jener Öffentlichkeit, die die Plattform bietet.

Der Grund dafür, dass Medien gerne darüber bestimmen möchten, welche politischen Ansichten und Meinungen auf ihren Plattformen Gehör finden, liegt nahe: Meinungen können Politik machen. Veröffentlichte Meinungen können Bürger als Orientierung bei der eigenen Meinungsfindung und Meinungsbildung dienen.

Diese Erkenntnis ist weitreichend. Was ist, wenn die großen Leitartikler samt ihrer Publikationsorgane zu einem bestimmten Thema eine Meinung haben, aber viele bis sehr viele Mediennutzer in ihren Forenbeiträgen eine ganz andere Sicht auf die Dinge vertreten?

Die Antwort auf die Frage ist einfach: Diejenigen Bürger, die sich zu einem bestimmten politischen Sachverhalt noch nicht festgelegt haben, deren Meinung also noch ungefestigt ist, können die Ansichten der jeweiligen Medien und die Ansichten des Publikums miteinander vergleichen. Dies kann dazu führen, dass jene Sicht auf die Dinge, die von den großen Leitmedien vorgegeben wird, abgelehnt wird, weil der geneigte Leser zu dem Ergebnis kommt, dass die Ansichten, wie sie in den Foren zu finden sind, glaubhafter sind als die, die von den "Experten" der journalistischen Zunft zum Besten gegeben werden.

Um es abzukürzen: Die Frage, welche Meinungen in der Breite des öffentlichen Raum zugänglich sind und welche nicht, kann einen entscheidenden Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Politik ist, wenn auch längst nicht immer, auf eine gewisse Zustimmung in der Bevölkerung angewiesen.

Dass Leitmedien dazu übergehen, die "Schotten dicht zu machen", hat in erster Linie damit zu tun, dass sich alle Entscheider genau darüber bewusst sind, welche Auswirkungen zu weit von den eigenen Veröffentlichungen abweichende Lesermeinungen - insbesondere, wenn sie in großer Zahl auftauchen - haben können. Die Möglichkeit ist gegeben, dass sich ein politisches Klima verändern kann. Und das will man verhindern.

Drei Anmerkungen

Erstens: Wer heute ernsthaft glaubt, dass unterdrückte Meinungen sich durch das Schließen eines Leserforums aus dem öffentlichen Raum verdrängen lassen, handelt so wie ein Feuerwehrmann, der meint, ein Feuer würde dadurch gelöscht, indem man sich von ihm abdreht. Nur weil er das Feuer nicht mehr sieht, heißt es nicht, dass es nicht mehr da ist.

Die Foristen werden, wenn sie ihre Meinung nicht mehr wiedergeben dürfen, zu einem anderen Forum ziehen. Sind alle Foren geschlossen, suchen sie sich andere Plattformen, die es zur Genüge im Internet gibt.

Zweitens: Mit dem Schließen der Leserforen demaskieren Medien sich unfreiwillig selbst. Gerade diejenigen, die sich Pluralismus, Meinungsvielfalt und Öffentlichkeit auf die Fahnen geschrieben haben, zeigen nun, wie ernst ihnen Pluralismus und Co wirklich sind, wenn sie damit konfrontiert werden, dass sie auch von ihren Standpunkten abweichende Ansichten zu akzeptieren haben.

Medien, die allen Ernstes im Zeitalter des Internet meinen, sie könnten dem Leser einfach so den Boden unter den Füßen wegziehen (immer natürlich mit der Bitte versehen, sich doch noch ein Exemplar des erlesenen Produktes am Kiosk zu besorgen), zeigen: Sie sind noch nicht angekommen in der neuen Medienwelt. Sie haben noch immer nicht verstanden, dass Mediennutzer zum Teil der Medien geworden sind. Sie senden auch aus. Sie bewegen sich im Internet, haben ihre Blogs, Homepages und andere eigene Kanäle, auf denen sie "Inhalt" produzieren und sich so innerhalb eines stark erweiterten Medienraumes zu Wort melden.

Die Vorstellung, dass Medien dem neuen Mediennutzer auf Augenhöhe begegnen, muss vielen Redaktionen völlig fremd sein. Man lese sich nur einmal folgende Ausführungen aus dem Artikel der NZZ durch:

Die Kommentarspalte ist ein digitaler Zwitter aus öffentlichem Leserbriefkasten und einem Forum. Da sie auf Nachrichtenseiten - also dem Hoheitsgebiet von Redaktionen - placiert ist, besteht ein implizites Machtgefälle. Wir als Betreiber entscheiden, welche Kommentare veröffentlicht werden, und sind darum in der Verantwortung, mit diesem Machtgefälle gewissenhaft umzugehen.

NZZ

Sicher, so kann man es auch ausdrücken. Man verfügt über ein "Hoheitsgebiet" und verspricht mit einem "impliziten Machtgefälle" gewissenhaft umzugehen. Wer so denkt, hat nicht begriffen, dass das eigene "Hoheitsgebiet" immer kleiner wird und die "Macht" der Medien zumindest teilweise bereits zerbrochen ist. In dieser Situation ein im Zusammenhang mit dem eigenen Forum noch vorhandenes "Machtgefälle" anzusprechen, zeugt von wenig Sensibilität für die Gesamtsituation.

Drittens: Wenn Medien dazu übergehen, Foren in der Breite zu schließen, dafür aber dann eine gewisse Anzahl an von ihnen bestimmte Themen auswählen, zu denen jeweils ein Forum geöffnet wird, dokumentieren sie so offensichtlich, wie es kaum offensichtlicher sein könnte, worum es ihnen geht: Sie wollen darüber bestimmen, zu welchen Themen Leser sich innerhalb ihres Mediums äußern dürfen und zu welchen nicht. Dem Mediennutzer wird nichts anderes gesagt als: Deine Meinung darfst Du äußern, aber wir sagen Dir zu welchem Thema.

Angenommen werden darf: So agieren Medien, die neben Journalismus auch noch Politik machen wollen.

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