Kopflos in die Rezession: Warum sind wir so vernagelt?
Seite 2: Was darf Politik?
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Das sind extrem einfache, aber doch vollkommen zwingende Überlegungen. Doch die deutsche und die europäische Politik glaubt, ohne sie auskommen zu können. Wieso eigentlich?
Würde die Politik ohne Rücksicht auf Verluste unbestreitbare physikalische Gesetze wie etwa den Erhaltungssatz der Energie ignorieren, ginge die Wissenschaft auf die Barrikaden und erklärte die handelnden Politiker für verrückt. In den Wirtschaftswissenschaften passiert nichts, weil die sogenannte Wissenschaft sich zum Büttel politischer Interessen gemacht hat und – ohne Rücksicht auf Logik – alles nachplappert, was der Ideologie vom großen Markt und vom kleinen Staat gerecht wird.
Das Ergebnis sind politische Entscheidungen, die fatale Folgen für viele Generationen haben werden. Christian Lindner, der Bundesfinanzminister, und sein Berater Lars Feld agieren so, als ob es diese Zusammenhänge nicht gäbe. Weder sprechen sie über die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse als Voraussetzung für staatliches Sparen in der Vergangenheit, noch weisen sie darauf hin, dass es nicht einfach eine Frage des politischen Willens ist, ob ein Land seine staatlichen Schulden reduzieren kann oder nicht.
Die deutsche Ignoranz auf die Spitze treibt allerdings der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, der nicht nur, wie fast alle seine Vorgänger, die in seinem Haus ermittelten Salden der Sektoren schlicht ignoriert.
Er meint, es sei entscheidend, "dass die Mitgliedstaaten weiterhin genügend Anreize haben, ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten und Schuldenstände zu verringern". "Anreize" also brauchen die Länder, die keinerlei objektive Möglichkeit haben, ihre Staatsschulden zu reduzieren, weil ihr Privatsektor spart und Deutschland den Weg über Auslandsschulden versperrt.
Der Mann sagt zudem in vollem Ernst, man müsse den Ländern, denen die EZB unter Umständen hilft, sich gegen Spekulanten an den Kapitalmärkten zu wehren, eine "wirksame fiskalische Konditionalität" zumuten. Das kann nichts anderes heißen, als dass man genau dort fiskalische Auflagen zum Sparen des Staates macht, wo sie niemals wirksam werden können.
Italien hat in den vergangenen dreißig Jahren vonseiten des Staates mehr gespart als irgendein anderes Land in Europa. Dass es ihm trotzdem nicht gelungen ist, seine Staatsschulden zu reduzieren, liegt nicht an mangelndem politischem Willen oder zu geringen "politischen Anreizen", sondern ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass die Konstellation der übrigen Salden in der italienischen Volkswirtschaft erfolgreiches Sparen des Staates unmöglich gemacht hat.
Ultra posse nemo obligatur, Unmögliches kann nicht verlangt werden, ist ein in seiner Bedeutung kaum zu überschätzender juristischer Grundsatz. Genau darum geht es in Europa. Hört Deutschland nicht auf, Unmögliches von seinen Nachbarn zu verlangen, wird es erleben, dass Dinge passieren, die man heute noch für unmöglich hält.
Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck ist Herausgeber des Online-Portals flassbeck-economics.com. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung.
Vom Autor erscheint monatlich eine Kolumne zu Hintergründen wirtschaftlicher Entwicklungen und zur Wirtschaftspolitik.