Kopftücher müssen draußen bleiben, Kreuze nicht
Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hätte emanzipatorisches Potential, wenn sie für alle Symbole gelten würde
Art. 11 Abs. 2, der Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälten und Landesanwältinnen unter be- stimmten Voraussetzungen das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt verbietet, ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Das ist der Kern der heutigen Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.
In dem erwähnten Gesetzestext BayRiStAG heißt es:
Richter und Richterinnen dürfen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können.
Es ist positiv, dass das bayerische Gericht klarstellt, dass religiöse Symbole in Gerichtssälen nichts verloren haben. Auf das Kopftuch bezogen, ist dabei nicht ausschlaggebend, ob die Trägerinnen selber damit die islamische Ideologie verbreiten wollen. Es kommt darauf an, wie ein solches Symbol bei den Menschen ankommt, die in welcher Rolle auch immer den Gerichtssaal betreten müssen oder wollen. Man stelle sich beispielsweise vor, es handelt sich um jemanden, der Opfer islamistischer Gewalt wurde. Sie oder er könnte mit dem Kopftuch genau diesen islamistischen Herrschaftsanspruch verbinden, auch wenn der von den Kopftuchträgerinnen nicht beabsichtigt ist.
Warum nicht auch Kreuze aus bayerischen Gerichten entfernen?
Doch das Gericht hatte nicht die nötige Konsequenz, den Wortlaut des Gesetzestextes zu bestätigten. Schließlich dürfte niemand bestreiten, dass es sich bei dem Kreuz ebenfalls um ein religiöses Symbol handelt.
Wenn nun im Gesetzestext steht; dass "keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke" in Gerichten gezeigt werden dürfen, hätte es folglich ebenfalls draußen bleiben müssen. Darauf zielte auch die islamische Glaubensgemeinschaft ab, die in dem Kopftuchverbot eine Diskriminierung sah und klagte. Die schlechteste Entscheidung wäre gewesen, wenn das Gericht nun das Kopftuchverbot auch aufgehoben hätte und damit das Gesetz konterkariert hätte. Doch es hatte auch nicht den Mut, ihn konsequent anzuwenden und wirklich alle religiösen und weltanschaulichen Symbole aus Gerichtssälen zu verbannen. Dann hätte es sich vielleicht nicht mit der Mehrheit der bayerischen Bevölkerung, aber mit einer gut organisierten Lobby, die eng mit der regierenden CSU verbandelt ist, anlegen müssen.
Genau das hätte das Gericht aber nicht fürchten müssen. Es hätte damit den Gedanken des Säkularismus einen großen Dienst erwiesen. Immer wieder werden in Deutschland Gerichte in Polen, Ungarn und anderen Ländern gelobt, wenn sie sich mit der Regierung und vielleicht auch einer Bevölkerungsmehrheit anlegen, um rechtsstaatliche Grundsätze zu verteidigen. Dann hätte man gesehen, wie diese Medien und Politiker reagiert hätten, wenn der bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden hätte, dass auch Kreuze nach Art. 11 Abs. 2 eben nichts in öffentlichen Gebäuden verloren haben.
Doch wie geht das Gericht mit diesen Gesetzestext bezogen auf ein christliches Symbol um? Es macht einen Unterschied zwischen den Amtsträgern, die religiöse Symbole tragen, und den Verhandlungsräumen. "Die Ausstattung von Verhandlungsräumen betrifft ersichtlich einen anderen Sachverhalt als das Tragen von religiösen oder weltanschaulichen Symbolen durch die betroffenen Amtsträger", heißt es in der Entscheidung.
Die Verhandlungsräume würden von der Verwaltung ausgestattet, deswegen gebe es keinen Zusammenhang zu Zweifeln an der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter. "Im Gegensatz dazu steht das Tragen religiös oder weltanschaulich konnotierter Kleidungsstücke oder Symbole", heißt es weiter. Hier müsse der Staat die Neutralität seiner Justiz gewährleisten.
Nur ist diese Gegensatz nicht überzeugend. Für Betroffene kann ein von der Verwaltung angebrachtes religiöses Symbol noch mehr den Eindruck der Diskriminierung erzeugen. Denn gegen einen Richter oder eine Staatsanwältin, die ein religiöses Symbol tragen, kann man einen Befangenheitsantrag stellen. Doch wie reagiert man, wenn die Verwaltung selber religiöse Symbole im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzestextes anbringt? Muss dann nicht der Eindruck entstehen, hier sei nicht nur einzelne Personen, sondern das ganze System in religiösen Fragen parteiisch? Und scheint sich das nicht zu bestätigen, wenn der Gerichtshof einen eindeutigen Gesetzestext derart dehnt, dass dann scheinbar eine Verteidigung des christlichen Abendlandes rauskommt?
Dieser Eindruck wird auch durch die Anmerkung in der Entscheidung noch verstärkt, dass das Kopftuchverbot deshalb nicht diskriminierend sei, da auch Männer und andere Weltanschauungen betroffen wären. So sei es den Amtsträgern etwa auch verboten, eine Kippa oder den Turban der Sikh zu tragen. Nein, nichtdiskrimierend wäre die Entscheidung gewesen, wenn eben alle Symbole hätten draußen bleiben müssen, also auch das Kreuz.
Auch das Kreuz kann als Zeichen von Gewalt und Unterdrückung verstanden werden
Das Argument, das Kreuz wäre vielleicht historisch, aber nicht mehr aktuell ein Symbol von Unterdrückung, denn schließlich hätten sich ja die christlichen Kirchen im Gegensatz zum Islam der Aufklärung beugen müssen, überzeugt nicht. Man denke nur an die aktuelle Debatte um den Missbrauch in den Kirchen und Klöstern. Kann nicht ein Missbrauchsopfer das Kreuz ebenso als Zeichen ihrer oder seiner Unterdrückung verstehen, wie ein Opfer islamistischer Gewalt das Kopftuch? Auch hierbei kommt es nicht auf die Intention derer an, die die Kreuze anbringen, sondern auf den Eindruck der von Gewalt im Namen des Kreuzes Betroffenen.
So bleibt nach der Entscheidung des bayerischen Verfassungsgerichts die Erkenntnis, dass der Kampf für eine säkulare Gesellschaft eben nicht bei Gerichten ausgefochten wird. Im Herbst 2018 gab es in Bayern und darüber hinaus größere Demonstrationen gegen Gesetzesverschärfungen, Rassismus, gegen das Werbeverbot für Abtreibungen und die Tanz- und Partyverbote an christlichen Feiertagen. Hier könnte es auch ein Potential für eine Bewegung für eine säkulare Gesellschaft geben.