Korea-Krieg: Wahrheit und Versöhnung?
Hunderttausende unschuldiger Zivilisten wurden im Korea-Krieg 1950 vorsorglich exekutiert, weil man sie für die Fünfte Kolonne der Kommunisten hielt
Der Korea-Krieg der frühen Fünfziger Jahre hat tiefe Narben hinterlassen. Auch nach über einem halben Jahrhundert ist das ganze Ausmaß des Terrors gegen die koreanische Zivilbevölkerung noch nicht einmal ansatzweise dokumentiert. Durch die unmittelbaren Kriegshandlungen sind zwischen 1950 und 1953 drei bis vier Millionen Tote (Kombattanten und Zivilisten) zu beklagen gewesen. Jedoch wurden zudem nach neuesten Schätzungen 100.000 bis 200.000 unschuldige Zivilisten aufgrund von Pauschalverdächtigungen hingerichtet.
Drei Ereignisse haben in den letzten Jahren die Öffentlichkeit auf Kriegsverbrechen aufmerksam gemacht. Ein Taifun über Korea legte die obere Erdkrume über einem bislang unentdeckten Massengrab frei. Zudem hatte ein Kamerateam des südkoreanischen Fernsehens einen bislang gesperrten Bergwerkstollen besichtigt und dabei ein weiteres Massengrab entdeckt. Schließlich gewähren Dokumente und Fotografien der US-Regierung und des US-Militärs, die nach fünfzig Jahren freigegeben wurden, neue Einblicke in die Massaker in Korea.
Seit 1997 versuchen koreanische Regierungsausschüsse, u.a. der Ausschuss für Wahrheit und Versöhnung, durch Zeugenbefragungen und Ausgrabungsaktionen Licht in dieses dunkle Kapitel zu bringen. Es geht vornehmlich um den Frühsommer 1950. In dieser ersten Phase des Koreakrieges drangen nordkoreanische Truppen in das südkoreanische Staatsgebiet ein. Sie trieben die südkoreanischen Streitkräfte und deren US-amerikanische Militärberater vor sich her, bis die Südkoreaner nur noch ein kleines Gebiet um die Hafenstadt Busan im Südosten kontrollierten. Panisch durchkämmten die Südkoreaner ihr Gebiet nach möglichen nordkoreanischen Kollaborateuren.
Dieser Personenkreis war schon unter der Diktatur von Rhee Syngman1, der seit 1948 Südkorea beherrschte, erfasst worden. Rhee ließ eine Umerziehungsorganisation gründen, die National Guidance League. Rhees Gefolgsleute rekrutierten 300.000 Bürger zur Umerziehung. Um das vorgegebene Soll zu erreichen, wurden auch analphabetische Bauern, die gar nichts mit den politischen Spannungen zu tun hatten, der Indoktrination unterzogen. Zudem befanden sich in Rhees Haftanstalten 30.000 politische Gefangene.
Die Gefängnisinsassen waren die ersten, die nunmehr der vorsorglichen Hinrichtung unterzogen wurden. Wie Associated Press berichtet, karrte die Polizei im Juli 1950 Häftlinge in das idyllische Sannae-Tal, 90 Kilometer südlich von Südkoreas Hauptstadt Seoul. In weiße Tücher gehüllt, mit verbundenen Händen, mussten die Häftlinge sich bäuchlings an den Rand eines Grabens legen und wurden dann durch einen Genickschuss getötet. Ungeübte Polizisten zielten mit zitternden Händen daneben, so dass erfahrene Beamte den Todesschuss ausführten. Zeugen berichten von bis zu einen Kilometer langen Gräben, in die immer neue Schichten von Toten geworfen wurden. Andere Opfer stießen Syngmans Vollstrecker in Landminen oder warfen sie ins Meer.
In der Presse der westlichen Welt herrschte damals strenges Stillschweigen über diese Handlungen. Lediglich der britische Journalist Alan Winnington schrieb in der Zeitung Daily Worker über die Spuren der Massaker: „Wächserne Hände und Füße ragen aus dem Boden...“ Der Botschafter der USA in London fühlte sich veranlasst, den Bericht in jener kleinen Zeitung als „bösartige Fälschung“ zu dementieren. Der britische Journalist James Cameron konnte eine Reportage über die Hinrichtungen in der Londoner Picture Post unterbringen. In letzter Sekunde entfernte der verantwortliche Redakteur jedoch den anstößigen Text.
Offiziell hatte das Militär der USA mit dem Terror an der Zivilbevölkerung nichts zu tun. Der verantwortliche Kommandeur General Douglas MacArthur sprach von einer „inneren Angelegenheit“ der Koreaner. Jedoch zeigen die freigegebenen Dokumente, dass nicht nur amerikanische Offiziere zum Fotografieren anwesend waren, sondern dass auch das Botschaftspersonal in Südkorea das Außenministerium der USA laufend über die Vorgänge informierte.
Zudem erregte im Jahre 2007 die Nachricht eine gewisse Aufmerksamkeit, dass amerikanische Soldaten durch das Massaker von Nogeun-ri2 am 27.Juli 1950 Schuld auf sich geladen hatten. Angesichts des raschen Vordringens der nordkoreanischen Truppen in Südkorea hatte Präsident Truman 13.000 Besatzungssoldaten aus Japan nach Korea bringen lassen. Diese GIs waren schlecht ausgerüstet und noch schlechter für ihre neue Aufgabe instruiert worden, so dass innerhalb kurzer Zeit auf amerikanischer Seite 3.000 Soldaten fielen oder verwundet wurden. Die Nerven lagen entsprechend blank, als den US-Soldaten einige Hundert koreanische Zivilisten begegneten, die vor den Kriegshandlungen flüchteten. Die GIs pferchten die Flüchtlinge in einen Tunnel, nachdem zuvor bereits US-Flugzeuge aus der Luft auf die Zivilisten geschossen hatten. Die GIs richteten grelle Scheinwerfer auf die Koreaner. Schließlich töteten sie die Eingeschlossenen.
Über den Terror an der Zivilbevölkerung herrschte bis vor Kurzem strengstes Stillschweigen. Im Freund-Feind-Denken des Kalten Krieges war es ein Leichtes, die Angehörigen der Opfer zum Schweigen zu bringen. Associated Press zitiert die Zeugenaussage der Tochter eines Opfers, Frau Koh Chung-ryol, vor dem Ausschuss: „Meine Mutter vernichtete alle Fotos von meinem Vater, aus Angst, die Familie könnte in der Öffentlichkeit als links dastehen. Meine Mutter gab sich alle Mühe, alles, was von ihrem Ehemann stammte, loszuwerden. Sie litt unsägliche Qualen.“
Es gab 1960 eine kurze Tauwetterperiode in Südkorea. In dem Zeitraum zwischen den demokratischen Wahlen vom 29. Juli 1960 bis zum Militärputsch vom 16. Mai 1961 untersuchten Parlamentsabgeordnete die Massaker. Als jedoch der neue Militärmachthaber Park Chung-hee fest im Sattel saß, verschwanden diese Abgeordneten selber in den Gefängnissen.
Erst Ende der Achtziger Jahre schlugen sich Demokratisierungstendenzen in der südkoreanischen Politik nieder. In den Neunziger Jahren wurden einige prominente Stützen des alten Regimes vor Gericht gebracht und auch tatsächlich verurteilt. Der Mittelbau und die unteren Segmente des alten Terrorsystems blieben vollkommen unbehelligt. So verharrte die Aufarbeitung der schaurigen Vergangenheit in Südkorea, ganz genau wie in den ebenfalls demokratischen Transitionsprozessen unterzogenen Ländern Südamerikas oder auch in Südafrika, an der Oberfläche des Terrors.
Der vorsichtigen Aufarbeitung der Massaker könnte bald wieder ein Ende gesetzt werden
Allerdings setzten der damalige Präsident Kim Young-sam und seine Amtsnachfolger Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun seit 1997 verschiedene Untersuchungskommissionen ein. Die Presidential Truth Commission on Suspicious Deaths soll ungeklärte Todesfälle untersuchen. Die Truth and Reconciliation Commission soll Angehörige der Opfer sowie die noch lebenden Täter befragen. Beide Ausschüsse verfügen indes über wenige Befugnisse. Weder können sie, wie US-Ausschüsse, Zeugen zum Erscheinen zwingen, noch können sie Strafverfolgungsmaßnahmen veranlassen. So hat der Wahrheitsausschuss bislang vier von insgesamt 150 Massengräbern dokumentiert und zwei Massenhinrichtungen in Lagerhäusern rekonstruiert. Zentrale Persönlichkeit in beiden Ausschüssen ist der Historiker Ahn Byong-ook, der an der Katholischen Universität Korea lehrt und im Korea Progressive Academic Council für Frieden und internationale Verständigung wirbt. Er hat das moderate Konzept des "settle the past" entwickelt, also etwa: Beilegung der Spannungen, die aus den Schrecken der Vergangenheit erwachsen sind. Ahn geht es in erster Linie darum, die Würde und Ehre der Opfer und ihrer Angehörigen wiederherzustellen. Zwischen Tätern und den Angehörigen der Opfer sei ein Versöhnungsprozess unerlässlich. Korea habe innerhalb von hundert Jahren einen schockartigen Verwestlichungsschub durchlaufen; die japanische Kolonisierung Koreas zwischen 1910 und 1945 habe schwere Narben hinterlassen. Der grausame Korea-Krieg sei ein unverarbeitetes Trauma. Modernisierung und Umwandlung der autoritären Strukturen in echte Demokratie erfordere eine Milderung der kollektiven Stressphänomene: „Deswegen ist das letztendliche Ziel der Aktivitäten der Untersuchungsausschüsse, die koreanische Gesellschaft von Konflikt und Spaltung zu Versöhnung und Frieden zu führen.“
Die gemäßigten Ideen des Professor Ahn sind allerdings dem seit Jahresanfang regierenden neuen Präsidenten Lee Myung Bak bereits zu viel. Lee steht an der Spitze der rechten Grand National Party. Es handelt sich um einen Zusammenschluss jener Blockparteien, die unter den Diktatoren Rhee und Park die pseudodemokratische Fassade abgegeben hatten. Präsident Lee möchte folglich die Ausschüsse lieber heute als morgen auflösen. Jedoch ein Gesetz aus der Zeit seines liberalen Amtsvorgängers garantiert den Bestand der Ausschüsse bis zum Jahre 2010. Bak hat bereits angedeutet, dass er die Finanzmittel des Ausschusses zusammenstreichen möchte.
Die Zeit drängt also für Ahn und seine Mitstreiter. Denn es ist ausgeschlossen, dass unter den jetzt herrschenden Machtverhältnissen in Regierung und Parlament der Ausschuss nach 2010 weiter bestehen wird. Dann müssen die Ausschüsse ihre notwendigerweise unvollständigen Befunde zu einem Abschlussbericht zusammengeflickt haben.