Korruption, Rassismus und Gewalt

Der Alltag im russischen Fußball

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Kürzlich haben die englischen Medien jegliche Fairness im Fußball vergessen, für die die britische Insel eigentlich so berühmt ist. Die Fußballweltmeisterschaft 2018 wird im "Mafia-Staat Russland" ausgetragen, titelte beispielsweise die Daily Mail einen Tag, nach dem der Weltfußballverband FIFA die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar vergeben hat.

Der Verweis des Blattes auf die von WikiLeaks enthüllten Depeschen der US-Botschaften, in denen amerikanische Diplomaten den russischen Politikern enge Kontakte zur Organisierten Kriminalität zuschreiben, war zwar die heftigste Reaktion der englischen Presse auf die WM-Vergabe an Russland, doch aus ihrer Enttäuschung machten auch die anderen britischen Medien keinen Hehl. Neben Russland hatten sich auch Spanien/Portugal, Niederlande/Belgien und England um die Ausrichtung der WM in acht Jahren beworben. Und obwohl die Engländer als Favoriten galten, denen von einer FIFA-Inspektionsgruppe auch die beste Infrastruktur von allen Bewerberstaaten attestiert wurde, scheiterten sie bereits im ersten Wahlgang – mit gerade mal zwei Stimmen.

Als Grund für die klare Niederlage der Engländer, die sich bereits erfolglos um die in Deutschland ausgetragene WM 2006 bemüht haben, gilt der aktuelle Korruptionsskandal innerhalb der FIFA, den Journalisten der Sunday Times und der BBC im Oktober aufgedeckt haben. Diese These stärkte jedenfalls der Präsident des japanischen Fußballverbandes Junji Ogura. "Was ich sagen kann, ist, dass die Berichte definitiv einen Einfluss auf die England-Bewerbung hatten. Darüber gibt es keinen Zweifel", sagte das Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, das über die Vergabe der Weltmeisterschaften entscheidet.

Die Äußerung stärkt nicht nur die englische, sondern auch die hiesige Presse in ihrer Kritik an der Entscheidung der FIFA. Doch so sehr die Zweifel an der Integrität der FIFA-Funktionäre und der WM-Vergabe 2022 an Katar auch berechtigt sind, bei Katar schon wegen der hohen Temperaturen, die im Sommer am Persischen Golf herrschen, bei Russland ist diese übertrieben. In den USA, die das Turnier 2022 ebenfalls organisieren wollten, hätte man die WM sogar in vier Zeitzonen ausgetragen und nicht, wie an Russland bemängelt, in drei. Außerdem verfügt Russland nicht nur über eine jahrzehntelange Fußballtradition, sondern auch über eine Sportbegeisterung, die fast ihresgleichen sucht. So begeistert, wie sich die Russen beispielsweise über Eishockey unterhalten können, diskutieren sie auch über Fußball, vor allem dann, wenn sie merken, dass ihr ausländischer Gesprächspartner von Wintersport keine Ahnung hat, dafür aber etwas Wissen über den internationalen Fußball verfügt.

Auch die sportlichen Fortschritte, die der russische Fußball in den letzten Jahren gemacht hat, sprechen für die Austragung der WM in Russland. Die Premjer Liga, die höchste Spielklasse des Landes, gehört mittlerweile zu den besten Ligen Europas. Mit den UEFA-Cup-Siegen von ZSKA Moskau (2005) und Zenit Sankt Petersburg (2008) konnte der russische Vereinsfußball in den letzten fünf Jahren mehr internationale Erfolge feiern, als die hiesige Bundesliga.

Enge Verbindung zwischen staatlichen Unternehmen und den Vereinen

Möglich wurden diese Erfolge nicht nur durch eine gute Nachwuchsförderung, sondern vor allem durch das Engagement russischer Oligarchen, Staatsunternehmen und sogar Kommunen. So befindet sich der aktuelle Meister Zenit Sankt Petersburg, deren bekanntester bekennender Fan Staatspräsident Dimitrij Medwedew ist, im Besitz des Gasmonopolisten Gazprom. Das Unternehmen, bei dem der russische Staat die Aktienmehrheit hat, tritt zwar auch als Sponsor des serbischen Erstligisten Roter Stern Belgrad und des Bundesligavereins Schalke 04 auf, dennoch bleibt dem Konzern genügend Geld, um Zenit schon heute finanziell zu einer europäischen Spitzenmannschaft zu machen. Die 100 Millionen Euro Jahresbudget kommen zum Großteil aus der Gasprom-Kasse.

Lokomotiv Moskau wiederum gehört, wie der Name schon sagt, dem staatlichen Eisenbahnunternehmen RZD. Stadtrivale Dynamo Moskau, bei dem seit diesem Sommer der ehemalige deutsche Nationalspieler Kevin Kuranyi spielt, wurde bis zum Ende der Sowjetunion von dem sowjetischen Geheimdienst KGB geleitet. Der Verein ist zwar bis heute mit dem KGB-Nachfolger FSB verbandelt, was dazu führt, dass die Spieler im Übungscamp des Geheimdienstes einmal im Jahr mit Kalaschnikows und Panzerfäusten hantieren dürfen, gehört jedoch dem größten russischen Kreditinstitut, der staatlichen VTB Bank. Und Rubin Kasan, der 2008 und 2009 die Meisterschaft erringen konnte, genießt die Unterstützung des Gouverneurs der Republik Tatarstan.

Für die Vereine eine durchaus lohnenswerte Verbindung. Da die 16 Premjer-Liga-Klubs im vergangenen Jahr gerade mal 27.5 Millionen Dollar aus den Fernsehrechten bekamen, in der Bundesliga sind es seit dieser Saison 420 Millionen, und kaum Einnahmen aus dem Verkauf von Tickets und Fanartikeln haben, waren sie dennoch in der Lage, viele russische Nationalspieler in der Liga halten zu können. Und nicht nur das. Wie der Wechsel von Kevin Kuranyi zeigt, der bei Dynamo Moskau in den nächsten drei Jahren 18 Millionen Euro verdienen wird, ist die Liga mittlerweile auch für ausländische Fußballer interessant geworden.

Doch der sportliche Erfolg hat auch seine Schattenseiten. Durch die enge Verbindung zwischen staatlichen Unternehmen und den Vereinen ist auch der Einfluss der Politik auf den Fußball groß. So wird bis heute gemutmaßt, dass der FK Moskau sich nur deshalb vor dieser Saison überraschend aus dem Ligabetrieb zurückgezogen hat, weil die russische Politik unbedingt den nordossetischen Alanija Wladikawkas in der Premjer Liga sehen wollte.

FC-Kreml

Ein besonderes Lieblingskind der russischen Politik ist der tschetschenische Vertreter Terek Grosny, der unter russischen Fans auch als der "FC Kreml" bekannt ist. Nach dem Ausbruch des 2. Tschetschenienkrieges 1999 wurde der 1946 gegründete Verein aufgelöst, 2001 jedoch wieder zurück ins Leben gerufen. Aus einem simplen Grund: Auch wenn der Krieg noch tobte, offiziell wurde er sogar erst im April vergangenen Jahres für beendet erklärt (Russland erklärt Ende des Tschetschenienkriegs), wollte Moskau so etwas wie "Normalität" in der Region vortäuschen. Als Vereinspräsidenten setzte der Kreml seinen Gefolgsmann Achmat Kadyrow ein und sicherte dem Verein das finanzielle Überleben. So soll 2004 der Etat 10 Millionen betragen haben, als Terek noch in der 2. Liga spielte und überraschend den Russischen Pokal gewann. Nach dem Aufstieg 2005 in die 1. Liga wuchs das Jahresbudget gar auf 30 Millionen Dollar an, dem vierthöchsten der russischen Liga.

Am Ende der Saison 2005 stieg der Verein, der bis 2008 wegen des Tschetschenienkonflikts seine Heimspiele nicht in Grosny austragen durfte, aufgrund seiner schlechten Leistungen zwar wieder aus der Premjer Liga ab, kehrte zwei Jahre später aber wieder in die 1. Liga zurück, in der er sich bis heute hält. Schlagzeilen macht Terek, dem nach dem Tod seines Vaters der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow vorsteht, aber nicht wegen seiner sportlichen Leistungen, sondern wegen sich wiederholender Korruptionsvorwürfe. Bereits 2004 behauptete der damalige Trainer von Arsenal Tula, Wladimir Kosogow, dass sich Grosny den Aufstieg in die 1. Liga erkauft haben soll. "Gebt uns das Spiel. Hier habt ihr 60.000 Dollar für die ganze Mannschaft", sollen Grosny-Funktionäre ihm angeboten haben.

2009 hat Terek Grosny angeblich das Spiel gegen Krylja Samara Sowjetow manipuliert, welches mit 3:2 für die Tschetschenen endete. Bei diesem Spiel kam es selbst dem Russischen Fußballverband verdächtig wie, wie plötzlich und schnell den Spielern von Krylja Samara in den letzten 15 Minuten die Kräfte ausgingen. Und da noch kurz vor dem Spiel auffällig hohe Summen auf einen Sieg von Terek Grosny gesetzt wurden, der in dem Spiel der Außenseiter war, hat dies die Gerüchte angeheizt. Endgültig bewiesen konnten die Korruptionsvorwürfe gegen Terek Grosny jedoch nicht werden. Dies dürfte aber in erster Linie an dem Unwillen des Verbandes liegen. Obwohl Fans und Medien jede Saison mehrere Spiele verdächtig vorkommen, manche Experten gehen davon aus, dass 20-25 Prozent der Spiele manipuliert werden, hat sich in diese Richtung bisher nichts getan.

Jetzt hat Ramsan Kadyrow wieder auf sich aufmerksam gemacht, er schlug vor, die WM-Spiele im Jahr 2018 doch auch in Grosny auszutragen: "Im Nordkaukasus liebt man Fußball."

Rechtsradikale Fans

Doch nicht nur der Einfluss der Politik und die ständigen Korruptionsvorwürfe werfen Schatten auf den russischen Vereinsfußball, sondern auch Gewalt und Rechtsradikalismus in den Stadien. "Ich glaube, dass es für die afrikanischen Mannschaften nicht angenehm wird während der WM in Russland zu spielen, wenn sich hier nichts verändert", sagte der ghanaische Nationalspieler Haminu Draman der BBC. Draman spielt seit drei Jahren bei Lokomotiv Moskau und erfährt den Rassismus in den Stadien nicht nur bei Auswärtsspielen, sondern auch von den eigenen Fans. Als der nigerianische Nationalspieler Peter Odimwingie von Lokomitiv zu West Bromwich Albion in die Premier League wechselte, verabschiedeten die Fans ihren eigenen Spieler ihn mit einem überdimensionalen Bananenposter. Dass der 1981 geborene Odimwingie eine russische Mutter hat und das Fußballspielen in der Jugendabteilung von ZSKA Moskau erlernt hat, übersahen die Lokomotiv-Fans.

Als besonders rechtsradikal gelten in Russland jedoch die Fans von Zenit Sankt Petersburg und Spartak Moskau. So hält sich bis heute das Gerücht, dass die Funktionäre von Zenit nur deshalb keinen einzigen dunkelhäutigen Spieler engagiert haben, weil sie sich mit ihren rechtsradikalen Anhängern nicht überwerfen wollen. Die Fans von Spartak wiederum feierten im vergangenen Jahr ganz offen den 120. Geburtstag von Adolf Hitler im Luschniki-Stadion. Während eines Ligaspiels entrollte der Fanklub Fratria ein Banner mit einem Hakenkreuz und der Aufschrift "Herzlichen Glückwunsch, Opa".

Dass die Spartak-Fanatiker ihre rassistischen Ansichten jedoch nicht nur durch Transparente, sondern auch durch Gewalt kundtun, erlebte die russische Hauptstadt am vergangenen Dienstag. Zirka tausend Spartak-Fanatiker versuchten am Abend zu der Moskauer Staatsanwaltschaft vorzudringen, damit diese Untersuchungen zum Tode des Spartak-Fans Jurij Swiridow aufnimmt. Am Montag kam Swiridow, der nach Angaben der russischen Presse der Moskauer rechtsradikalen Szene angehörte, bei einer Auseinandersetzung mit nordkaukasischen Emigranten ums Leben. Und dass auch die protestierenden Spartak-Anhänger die politischen Ansichten Swiridows teilen, zeigte sich am Montagabend. "Russland den Russen", riefen die Fanatiker und brannten dabei bengalische Feuer ab (Moskauer Gericht beugt sich dem rechten Mob).

Bei einer Protestaktion der rechtsradikalen Spartak-Fans kam es am Samstag zu schweren Ausschreitungen. Bild: Varmalov

Die Demonstration war aber wohl nur der Auftakt zu mehreren Gewaltaktionen, mit denen die so genannten Spartak-Fans auf sich, ihre rechtsradikalen Ansichten und den toten "Kameraden" aufmerksam machen wollen. Beim Champions League-Spiel von Spartak Moskau beim slowakischen Vertreter MSK Zilina am Mittwochabend sorgten die mitgereisten russischen Fans für eine 22-minütige Spielunterbrechung, weil sie auf der Tribüne randalierten und Feuerwerkskörper aufs Spielfeld warfen.

Die russische Presse zeigte sich schockiert von den jüngsten Ereignissen. "Bei den Ereignissen in Zilina konnte man sich erneut davon überzeugen, welch eine Rolle fanatische Bewegungen in unserem Fußball spielen. Und man muss zugeben, dass Russland von anderen zivilisierten Fußballnationen weit entfernt ist", kommentierte die russische Internetzeitung Gazeta.ru.

Am Samstag Abend prügelten rassistische Spartak-Fans in der Moskauer U-Bahn Passanten, die sie für Kaukasier hielten. Bild: Varmalov

Am Samstag kam es denn auch schon bei einer weiteren unangemeldeten Protestveranstaltung der Spartak-Fans wieder zu Ausschreitungen in Moskau. Um die 5000 Fans hatten sich am Nachmittag versammelt, nationalistische Parolen gebrüllt und Feuer und Feuerwerkskörper gezündet. Nachdem sie gegen nicht russisch aussehende Menschen vorgegangen waren, kam es zu einer heftigen Schlacht mit der Polizei. 65 Personen wurden festgenommen, 29 teils schwer verletzt. Nach der Auflösung der Versammlung setzten sich die Gewalttätigkeiten in der U-Bahn fort. Die rechtsradikalen Fans griffen mehrere Menschen an, die sie für Kaukasier hielten, und verwüsteten eine Station.

Doch ob es Russland gelingt, bis 2018 dieses Problem in den Griff zu bekommen, daran zweifelt die Internetzeitung. Zu lange haben sich weder der Staat noch der Fußballverband und die Vereine um dieses Problem gekümmert. Und auch jetzt zeigen die Verantwortlichen wenig Interesse. Und dies vielleicht auch deshalb, weil sich die Verantwortlichen gerne mal der rechtsradikalen und gewalttätigen Fußballanhänger bedienen. Schon vor einiger Zeit berichtete die Novaya Gazeta, dass die Staatsmacht oppositionelle Demonstranten von Fußball-Hooligans verprügeln ließ.