Kosovo-Unruhen: Wer wusste was?
Ein neuer Informationsskandal bahnt sich an. Der BND und damit auch Bundesregierung und Bundeswehr sollen vorab über die März-Gewaltwelle im Kosovo informiert gewesen sein
Nach bisheriger offizieller Lesart sind NATO-Truppen und UN-Verwaltung im März von der antiserbischen Gewaltwelle (siehe: Terror im Kosovo) im Kosovo überrascht worden. Ob es auch den ausländischen Geheimdiensten so ging, könnte in den nächsten Wochen die deutsche Politik und Öffentlichkeit beschäftigen. Dem Auslandsgeheimdienst (BND) sollen entsprechende Informationen vorab vorgelegen haben. Dabei ging es um Abhörprotokolle des UCK-Kämpfers und Kosovo-Albaners Samidin Xhezairi. Die zusätzliche Brisanz an der Geschichte: Xhezairi war vermutlich BND-Informant gewesen, der zudem Verbindungen zu Al-Qaida unterhalten haben soll.
Diese Informationen veröffentlichte Journalist Franz Josef Hutsch als Mitautor eines Beitrages, der zuvor im holländischen Sender VPRO und im ZDF ausgestrahlt wurde. Der ehemalige Bundeswehr-Major ist seit Mitte der 90er Jahre Kriegs- und Krisenreporter und erreichte gerade erst einige Wochen zuvor als Zeuge im Milosevic-Prozess internationale Aufmerksamkeit.
Zu seinen neuesten Recherchen hat sich der betroffene BND bislang nicht geäußert. Die deutsche Regierung hat ihren Geheimdienst bereits in Schutz genommen, gerät jedoch innenpolitisch unter Druck. Die CDU denkt bereits über einen Untersuchungsausschuss zu diesem Vorfall nach.
Im Telepolis-Interview Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstexperte und Autor verschiedener Bücher über den BND. Er geht davon aus, dass die brisanten Informationen der Bundesregierung und der Bundeswehr übermittelt worden sind. Das würde auch bedeuten, dass die antiserbische Gewalt "bundeswehrseitig geduldet" gewesen sei.
Der BND und andere ausländische Geheimdienste sollen vorab von der antiserbischen Gewaltwelle im Kosovo im März des Jahres gewusst haben. Wie sicher sind diese Informationen?
Erich Schmidt-Eenboom: Die Recherchen - überwiegend von den niederländischen Kolleginnen und Kollegen vom Radio VPRO - sind zutreffend und haben eine lange Traditionslinie. Weil der BND seit Anfang der 90er Jahre zu der bis dahin als terroristisch eingestuften Organisation UCK Verbindungen unterhält. Zugleich muss man einräumen, dass der BND bei weitem nicht die erste und wichtigste Rolle spielt. Denn die UCK ist seit Anfang der 90er Jahre vor allem ein Kind der CIA. Das hat sich insbesondere im Frühjahr 2001 in Makedonien gezeigt, als UCK-Kämpfer unter amerikanischen Militärschutz evakuiert worden sind.
Das Spiel der Geheimdienste
Was wissen Sie über Samidin Xhezairi selbst?
Erich Schmidt-Eenboom: Der unter dem Kampfnamen "Hoxha" operierende Kommandant war in Makedonien mit der 112. Brigade, die er dort geführt hat, ein wesentlicher Teil des damaligen Aufstands gegen die makedonische Regierung. Und da war er angebunden an die CIA, was dazu geführt hat, dass er insgesamt 17 US-Militärberater um sich scharen konnte. Natürlich waren auch andere Nachrichtendienste, die in der Region aktiv sind, an ihm dran. Allen voran die CIA, dann der BND und nicht zuletzt der österreichische Heeresnachrichtendienst, der in dieser Region einen nachhaltigen Schwerpunkt setzt und sehr gute Verbindungen zur UCK hat. Fragt man nach den Quellen der Funkaufklärung, muss man wiederum sehen, dass sowohl der BND selbst, wie auch das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, aber vor allem die Mitarbeiter des österreichischen Funkaufklärungsdienstes einen absoluten Schwerpunkt bilden. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass gerade ein führender Kommandant dauernd abgelauscht wird.
War Xhezairi BND-Informant?
Erich Schmidt-Eenboom: Die Verbindung zum BND bestand bis Anfang März diesen Jahres. Sie ist 14 Tage, bevor es zu den Progromen im Kosovo kam, gekappt worden. Das heißt, der BND hat seine Quelle abgeschaltet, weil sie ihm zu suspekt und zu militant wurde.
Und was wurde aus den Informationen über die Vorbereitung der Pogrome?
Erich Schmidt-Eenboom: Ich gehe davon aus, dass der BND die Bundesregierung sehr wohl informiert hat. Gerade unter den neuen politischen Verhältnissen in Pullach ist es fast undenkbar, dass unter einem BND-Präsidenten Hanning solche brisanten Informationen nicht ins Bundeskanzleramt kommen. Ich gehe auch davon aus, dass sie aus dem Bundeskanzleramt oder direkt vom BND an die Bundeswehr gekommen sind. Das heißt in der Interpretation, dass die Übergriffe der Albaner gegen die Serben im Kosovo am 17./18. März bundeswehrseitig geduldet worden sind, weil man es sich mit der UCK nicht verderben will. Denn das würde für die Bundeswehr in der Region eine sehr kritische Situation schaffen.
Vor wenigen Wochen gab es ja schon einmal in Deutschland Diskussionen über den "Nicht-Informationsfluss" aus dem Kosovo. Aus welchen Gründen werden brisante Dinge zurückgehalten?
Erich Schmidt-Eenboom: Es steht ein kurzfristiges Interesse dahinter, dass man die Bedrohungslage der deutschen Streitkräfte im Kosovo nicht ausufern lassen will. Denn wenn man frühzeitig gegen die militanten Kräfte in der UCK vorgeht, müsste man anschließend damit rechnen, dass es bürgerkriegsähnliche Strukturen gibt, die sich auch gegen die Bundeswehr als Besatzungsarmee richten. Und zum anderen hat Deutschland langfristig natürlich ein Interesse daran, dass der Kosovo ein selbstständiger Staat wird. Das ist ein Interesse, dass sie mit der UCK teilt, die ja durch diese Gewaltakte versucht, den politischen Handlungsdruck zu erhöhen. Denn immer noch ist die Frage eigentlich politisch ungeklärt, wie die politische Zukunft des Kosovo aussehen wird. Dem deutschen Modell zufolge soll es ein selbstständiger Staat werden. Aber es gibt andere NATO-Verbündete, wie die Vereinigten Staaten, die durchaus andere politische Karten spielen wollen.
Nach Informationen soll Samidin Xhezairi Verbindungen zu Al-Qaida gehabt haben. Kann man schon soweit gehen zu sagen, dass Al-Qaida direkt an der Vorbereitung der Unruhen beteiligt war?
Erich Schmidt-Eenboom: Man sollte Al-Qaida nicht überschätzen und sie nicht als eine ganz zentrale Organisation verstehen. Al-Qaida hat sich zu einem immer loseren Netzwerk entwickelt, in dem sehr viele islamistische Terroristen mit gemeinsamer ideologischer Grundlinie und mit gemeinsamer Vergangenheit in den Ausbildungslagern in Afghanistan zusammenwirken und am selben Strang ziehen, ohne dass jeweils ein Befehl, ein politisches Kommando oder dergleichen von der Al-Qaida-Zentrale ausgehen muss.
Für den Kosovo fehlt eine politische Perspektive
Wie schätzen Sie die künftige Lage im Kosovo im Hinblick auf die Situation der serbischen Minderheit und der geplanten Klärung der Statusfrage im nächsten Jahr ein?
Erich Schmidt-Eenboom: Ich gehe davon aus, dass ein starker politischer Handlungsbedarf besteht, den Kosovo-Albanern sehr deutlich zu sagen, wie die politische Konfiguration auf Dauer aussieht. Das kann möglicherweise ein eigener Staat von Kosovo-Albanern sein. Das würde aber bedeuten, dass die serbische Minderheit ihres Lebens in der Region angesichts der Militanz der UCK nicht sicher ist. Und darum muss man möglicherweise auch überlegen - da die meisten Serben ja in einer zu Serbien grenznah gelegenen Region leben -, ob man nicht einen Trennstrich durch dieses Land zieht und die Teile, die überwiegend serbisch sind, auch der alten Bundesrepublik Jugoslawien zuschlägt.
Sie hatten schon angedeutet, dass die USA in diesem Zusammenhang andere Pläne hat, als z. B. Deutschland. Wo gehen da außenpolitisch die Trennlinien entlang?
Erich Schmidt-Eenboom: Es gibt bisher nur in einem Brain-Trust, wie der Bertelsmann-Stiftung, Überlegungen zur politischen Gestalt des Kosovo. Diese zielen auf einen in derzeitigen Grenzen bestehenden selbstständigen Staat. Ich halte das für eine explosive politische Lösung, weil das natürlich bedeuten würde, dass die Serben aus ihren angestammten Gebieten vertrieben werden oder ihrerseits zu Gegengewalt, auch unterstützt aus Belgrad, greifen.
Was müsste die deutsche Außenpolitik anders machen als bisher?
Erich Schmidt-Eenboom: Es reicht nicht, die militärische Karte zu spielen und ein KFOR-Kontingent zu haben, das für relative Ruhe sorgen soll. Die Menschen in der Region brauchen eine politische Perspektive. Und wenn ein selbstständiger Staat Kosovo in Zukunft jemals Annäherung an die EU oder gar Beitrittsgelüste hat, dann hat man ein starkes politisches Argument dafür, einen entsprechenden Minderheitenschutz zu vereinbaren. Gleichzeitig muss man Mediationsprozesse einleiten in der Region, bei denen sich viele Diplomaten aus vielen Staaten mit den verfeindeten Parteien an einen Tisch setzen, um eine politische Lösung für die Provinz zu finden.
Nach den kürzlich erfolgten Parlamentswahlen für eine neue Übergangsregierung im Kosovo - den die serbische Minderheit boykottiert hatte - wird es nun auch einen neuen Premier geben. Die Wahl fiel überraschend auf Ramus Haradinaj, einen ehemaligen wahrscheinlich in Kriegsverbrechen verstrickten UCK-Kämpfer. Welche Ausgangslage wird diese Entscheidung bei solchen Verhandlungen mit sich bringen?
Erich Schmidt-Eenboom: Haradinaj hat natürlich ein starkes Interesse daran, dass das Kosovo in den derzeitigen Grenzen ein selbstständiger Staat wird. Er wird auch von Kräften gestützt, die gewaltbereit gegenüber der serbischen Minderheit sind. Aber es gibt starke, nicht nur militärische Druckmittel der EU wie die politische Einbindung des Kosovo in die EU, die man nutzen kann, um einen vernünftigen Minderheitenschutz für die Serben zu garantieren. Oder aber man greift auf alte politische Prinzipien zurück, dass man das Land kantonisiert und dann in verschiedenen Regionen verschiedene selbstbestimmte Volksgruppen sich selbst regieren lässt. Sollte all das nicht möglich sein, sehe ich als einzige Möglichkeit eine Abtrennung des serbischen Teils, damit die Kosovo-Albaner dann einen verkleinerten eigenständigen Staat bekommen.