"Krasses Missverhältnis" bei der Themensetzung der Polit-Talkshows
SPD-Politiker wirft ARD und ZDF Verzerrung der Wirklichkeit vor
"Leider kam ich zu dem Ergebnis, dass meine Befürchtungen sogar noch übertroffen worden sind." Mit diesen Worten fasst der SPD-Politiker Marco Bülow eine Untersuchung von ihm zusammen, die er zu den großen Polit-Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen durchgeführt hat.
Der Bundestagsabgeordnete hat mehr als 200 Polit-Talkshows über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren ausgewertet und stellt eine Schieflage bei der Themensetzung fest. Der Politiker aus Dortmund spricht gar von einem "krassen Missverhältnis" bei den Themen, die in den Talkshows der großen Fernsehsender aufgegriffen werden.
In jeder vierten Sendung, so führt Bülow aus, sei es speziell um das Thema Flüchtlinge gegangen. In jeder zweiten Sendung waren es die Themenkomplexe "Flüchtlinge, Islam, Terror/IS, Populismus/Extremismus", die im Mittelpunkt der Sendung gestanden haben. "In nur sechs von 204 Sendungen", so Bülow, "wurde über Armut und Ungleichheit diskutiert. Wichtigen Themen wie NSU, Rassismus und rechte Gewalt wurde zum Beispiel jeweils nur eine Sendung gewidmet. Klimawandel kam sogar gar nicht vor."
Der SPD-Mann hält diesen Befund nicht nur für bedenklich, sondern er geht davon aus, dass durch diese problematische Themenauswahl auch "die öffentliche Debatte sehr einseitig" geprägt werde. "Die Themenauswahl", so Bülow, "spiegelt absolut nicht die tatsächlichen Probleme in unserer Gesellschaft wider und stellt damit ein Zerrbild der Wirklichkeit dar."
Bülow wirft die Fragen auf:
- "Warum gibt es dieses unglaubliche Missverhältnis der Themen?
- Wie sind die Entscheidungswege bei der Themenauswahl?
- Haben die Attacken und populistischen Angriffe gerade auf die Medien mit dazu geführt, dass die Themenauswahl so einseitig wurde?
- Bekommt, wer besonders laut schreit, am Ende am meisten Aufmerksamkeit?
- Warum fallen Themen weg, die keine starke Lobby haben, die aber so viele Menschen betreffen und die ganz sicher ebenso kontrovers sind?
- Wann wurde mal über die Situation von Langzeitarbeitslosen gesprochen?
- Wieso diskutieren wir so wenig, warum Menschen sich immer mehr abgehängt fühlen?
- Warum wird nicht darüber geredet, wie die Demokratie gestärkt werden kann und Menschen besser mitgenommen werden können?"
Insbesondere die Themen Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit sieht Bülow, der seit 2002 Mitglied des Bundestages ist, innerhalb der großen Polit-Talkshows nur sehr stiefmütterlich behandelt. Er fordert, dass gerade auch in den Medien eine "stärkere Debatte über die sozialen Perspektiven der Menschen" erfolgen müsse. Themen wie "Demokratie, Transparenz und Lobbyismus dürfen nicht nur Teil der politischen Satire oder von Recherchemagazinen sein".
Bülow betont, dass es ihm bei seiner Untersuchung um eine "kritische, differenzierte Debatte sowohl über den Wert und die Notwendigkeit von Pressefreiheit, den wichtigen Beitrag etablierter Medien, aber auch über zu einseitige Themensetzung" gehe. Der Abgeordnete kündigte an, sowohl den Bundestag als auch die Verantwortlichen der entsprechenden Sender und Sendungen über seine Ergebnisse zu informieren. "Ich bin gespannt wie offen und konstruktiv diese Kritik behandelt wird und werde selbstverständlich darüber berichten", so Bülow.