"Krieg im Wald"
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Heimatromantik mit Toten: Holzfrevel und Wilderei
Mit "Heimat" verbinden manche Kreise nur wohlige Gefühle, Harmonie und Zusammenhalt. In Wirklichkeit ist aber auch die Geschichte der Kleinräume von Verteilungskämpfen durchzogen.
Die Wilddieberei, ein außerordentlich beliebtes Motiv der literarischen oder darstellenden "Heimatkunst", erweist sich in sozialgeschichtlicher Betrachtungsweise keineswegs als eine romantische Sache. Beim "Krieg im Wald" ging es um Brennholz und Fleisch; von Fall zu Fall wurde der Verteilungskampf im "Heimatkollektiv" äußerst blutig ausgetragen.
Das Jagdprivileg der Herrschenden
Noch wichtiger als das Ringen um diese Ressourcen waren in manchen Epochen allerdings Sicherung und Zurschaustellung von Herrschaftsansprüchen über den Raum. Die Bestrafung der Walddelikte erfolgte entsprechend symbolträchtig im Forum der Öffentlichkeit und fiel - gemessen am ökonomischen Wert der strittigen Güter und im Vergleich zur Ahndung anderer Vergehen - unverhältnismäßig hart aus.
Der aktuelle Wikipedia-Artikel zum Stichwort "Wilderei" beginnt mit der These: "Ursprünglich hatten alle freien Germanen das Recht zu jagen." Die Quellenbasis für Aussagen über irgendein altgermanisches Jagdrecht ist freilich mehr als spärlich.
Die zitierte Wikipedia-These stützt auch keineswegs völkische Phantastereien über eine freie Jagd für alle Germanen. Die Unfreien sind vielmehr ausgenommen, sodass also schon für die "germanische Vorzeit" von einem Jagdprivileg der herrschenden und besitzenden Klasse zu sprechen wäre.
Im Feudalismus beanspruchten Adel und Klosterherren für sich exklusive Jagdprivilegien. Vom gemeinen Mann, dem sogenannten Untertanen, erwartete man Jagdfrondienste, aber keine Jagdkünste. Den blaublütigen Herrschaften waren die Wildschäden auf den Feldern der Ackerleute keine Sache, die ihnen irgendein Kopfzerbrechen bereitete.
Sie klagten stattdessen über Bauern, die sich um die Vorrechte der Ritterschaft nicht scherten und ohne Berechtigung fischten oder jagten. Mit wiederholten Erlassen gegen Wilderei und brutalen Strafen wollte die Obrigkeit dem Übel des Ungehorsams entgegentreten.
Am 27. Februar 1659 verfügte z.B. der kölnische Kurfürst als Landesherr über den Umgang mit Wilddieben: "Wir halten dafür, dass solcher Frevler auf einen von Holz gemachten Hirsch mit an den Füßen gehenkten Gewichten etliche Tage nacheinander Stunden lang gesetzt, demnächst des Landes verwiesen und falls er wieder (beim Wilddieben) ertappt, mit mehr Schärfe, ja nach Befinden gar an dem Leben gestraft werde." Der prachtliebende und jagdbesessene Kurfürst Clemens August, von 1723 bis 1761 Bischof von Köln und mehreren anderen geistlich regierten Territorien, verfügte sogar sehr bald nach seinem Amtsantritt am 4. Dezember 1723:
Da die Wilddiebereien durch Abstrafung mittels Eselreitens, spanischen Mantels nicht vermindert, sondern durch so milde [!] Strafen eher verstärkt würden: so solle der Jägermeister die ertappten Wilderer durch 100, 200, 300 Bauern Spießruten laufen lassen.
Kurfürst Clemens August
Dieser Landesfürst, aus einem gierigen Bayern-Adelsclan importiert, konnte sein bischöfliches Priestertum mit einem regen Sexualleben und sehr grausamen Maßnahmen gegen die ihm anvertrauten "Landeskinder" vereinbaren.
Sogenannte Oberhirten, die gemäß der ältesten Kirchengesetze eigentlich gar nicht hätten jagen dürfen, kannten bei der Verfolgung von Waldvergehen bisweilen ebenso wenig Skrupel wie die weltlichen Fürsten: Wilderer wurden an Hirsche festgeschmiedet und so ins Verderben geschickt. Augen wurden ausgestochen und Hände abgehackt. Auf die Stirn kam ein Brandmal in Geweihform.
Aufhängen oder Totschießen ohne Gerichtsverfahren galten mancherorts bis ins 17. Jahrhundert hinein als ganz normal. Im Absolutismus konnte es so scheinen, als sei in den Augen der hohen Herrschaften das unbefugte Jagen auf "ihrem" Hoheitsterritorium und das Erlegen eines "ihrer" Waldtiere schlimmer als Menschenmord.
"Volkshelden" und arme Schlucker
Gegen Ende der feudalistischen Epoche hielten aufgeklärte Zeitgenossen Jagdprivilegien des Adels nicht mehr für zeitgemäß. Die Bauern, die bis dahin bei Ernteverlusten immer das Nachsehen gehabt hatten, stießen mit ihren Forderungen jetzt manchmal auf offene Ohren in den Amtsstuben. In den Revolutionsjahren 1848/49 setzten sich Advokaten für eine Aufhebung des feudalen Jagdrechtes und die Belange nichtadeliger Landbesitzer ein.
Die kleinen Leute konnten auf überkommene Rechte zur Brennholzbesorgung nicht verzichten und wollten außerdem die Möglichkeit bekommen, ab und an legal einen Hasen für den Sonntagstisch zu schießen.
Die unteren Klassen hungerten im 19. Jahrhundert weiter und schauten sehnsüchtig nach Übersee, wo ihre Verwandten als Armutsmigranten manchmal ein besseres Leben gefunden hatten. Das gehobene Bürgertum schickte sich derweil an, das Jagen in großem Stil für sich zu erobern.
Im Kult der populären "Wildschütz"-Rebellen (Lieder, Romane, Gedenkstätten) geht es um Auflehnung, Freiheit und Abenteuer. Durch die Fixierung auf den überschaubaren Kreis der illegal jagenden "Volkshelden" ist jedoch in Vergessenheit geraten, dass in manchen Landschaften bis ins 20. Jahrhundert hinein sehr viele Bewohner der Wilderei nachgingen und dies keineswegs aus Abenteuerlust. Die Kreise der in Not lebenden Wilddiebe und die Szenen einer gewerbsmäßigen Wilderei wiesen mannigfache Schnittmengen auf. Weil bei Zusammenstößen im Wald in der Regel eine Waffe zuhanden war, mussten immer wieder Menschen ihr Leben lassen.
Es gab auf beiden Seiten der "Waldfront" gefährlichen Gruppenzwang und Akteure, die keine Skrupel kannten. Oft jedoch waren Angst und Panik die Auslöser von tödlichen Schüssen, denen keine Planung vorausging. Zu den Opfern zählten arme Schlucker oder Forstbedienstete, die zumeist ebenfalls nicht dem Kreis der Bessergestellten angehörten. In den Akten wird bisweilen kühl verhandelt, ob einem bedürftigen Forstgehilfen das Gewehr des von ihm "erlegten" Diebes als Belohnung überlassen werden soll.
Wer den Standort der Menschlichkeit einnimmt, wird jenseits von einseitigen Parteinahmen die Leiden aller Beteiligten würdigen. Die einschlägigen kriminalistischen Standardwerke handeln allerdings fast nur von Förstermorden.
Bei meinen eigenen Erkundigungen zu Südwestfalen habe ich versucht, einen größeren Überblick auch zu den traurigen Schicksalen von Holzfrevlern und Wilderern zu gewinnen. Ohne vernetzte Archivarbeiten und Quellenstudien ist es nicht möglich, hier ein zuverlässiges Bild für die verschiedenen Kleinräume darzubieten.
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