Krieg in der Ukraine: Stopp aller Waffenlieferungen und Kapitulation?

Seite 2: Die Nato steht in der Verantwortung, politische Lösungen nach vorn zu bringen

Sie treten für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch ein. Aber ist die russische Führung daran überhaupt interessiert?

Gerhard Trabert: Aktuell lässt man Putin nur die Wahl, entweder auf alle Kriegsziele zu verzichten oder seinen Krieg weiterzuführen. Da ist es wenig überraschend, dass er sich für Letzteres entscheidet. Putin wird mittlerweile erkannt haben, dass seine Invasion in katastrophaler Weise anders läuft, als er sich das vorgestellt hatte.

Es ist durchaus denkbar, dass er einem irgendwie gesichtswahrenden Ausstieg nicht abgeneigt ist. Wir wissen es nicht – aber diese Wissenslücke ist doch kein Argument, die Möglichkeit einer Kriegsbeendigung nicht wenigstens auszuloten.

Mein Anliegen ist, dass Deutschland, und dann auch die Nato, damit beginnen, sich zusätzlich zu den bisherigen Maßnahmen, entschieden für politische Lösungen einzusetzen.

Ist Putin überhaupt ein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner?

Gerhard Trabert: In einem Verhandlungsprozess würde sich zeigen, ob es möglich ist, Misstrauen abzubauen. Außerdem sollten Friedensabkommen immer an Stufenpläne und Sicherheitsgarantien durch außenstehende Staaten geknüpft werden. Es geht nicht um einen Handschlag Putins, dem man dann blind vertraut. Idealerweise sollten da noch ganz andere geopolitische Akteure ins Spiel kommen, etwa China.

Bereits vor Monaten hat die ukrainische Führung geäußert, dass sie Friedensverhandlungen mit Russland, insbesondere mit Putin, ablehnt.

Gerhard Trabert: Ich kann verstehen, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj in dieser Situation, in der man die Solidarität der eigenen Bevölkerung und der Nato-Staaten spürt, das Maximum herausholen will. Es ist seine legitime Strategie, dass er alle Gebiete zurückhaben möchte und für die Rückeroberung möglichst viel Kriegsgerät fordert.

Aber eine befreundete Nation hat die Verantwortung, Selenskyj zu sagen: Wir können dich verstehen. Aber das, was du dir wünschst und was wir uns auch wünschen, ist jetzt nicht möglich. Deine Maximalstrategie wird zigtausende Menschenleben kosten und birgt große Gefahren bis hin zur nuklearen Eskalation. Wir unterstützen dich weiterhin, aber lass uns auch darüber reden, welche nicht-militärischen, politischen Optionen es geben könnte.

"Auf ukrainischer Regierung und Bevölkerung lastet ungeheurer Druck"

Hinzu kommt: Selenskyj hätte es wohl sehr schwer, Kompromisslösungen innenpolitisch durchzusetzen. Bereits vor der russischen Invasion war klar, dass es ultranationalistische Kräfte gibt, die auf rein militärische Logik setzen und die gegenüber Selenskyj auf ihren eigenen roten Linien bestehen. Um sich gegen solche Kräfte durchzusetzen, wäre er auf eine klare Pro-Verhandlungslinie der Nato-Staaten dringend angewiesen.

Umfragen deuten darauf hin, dass nur eine Minderheit der ukrainischen Bevölkerung Friedensverhandlungen befürwortet.

Gerhard Trabert: Was mir meine ukrainischen Gesprächspartner vermitteln, ist einerseits: "Die besetzten Gebiete sind unsere Gebiete. Die möchten wir wieder zurückhaben." Und andererseits: "Wir wollen und können nicht mehr. So viele sind gestorben, unsere Kinder sind traumatisiert, wir sind einfach am Ende unserer Kräfte."

Wenn ein Land im Krieg ist, lastet ein ungeheurer Druck auf den Menschen, sich dem Mainstream anzuschließen. Außerdem stellt sich das Gefühl ein: "Wir haben schon so viel verloren – wenn wir jetzt nachlassen, wäre das alles umsonst gewesen." Für innerukrainische Initiativen in Richtung "Kriegsbeendigung durch einen Kompromissfrieden" bleibt da wenig Platz. Aber gerade deshalb braucht es ein befreundetes Land, um Raum für diese Thematik zu schaffen.

Selbst bei uns in Deutschland ist der Druck spürbar, bloß nicht über die militärische Logik hinauszugehen. Man sieht das ja auch an den Reaktionen auf unser Manifest. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass in der Ukraine dieser Druck noch eine ganz andere Dimension hat. Da giltst du dann rasch als "Vaterlandsverräter" – obwohl es dir um die Menschen in deinem Vaterland geht, aber auf eine andere Art und Weise.

Wie gehen Sie damit um, dass AfD-Politiker wie Tino Chrupalla die Petition zum "Manifest für Frieden" unterschrieben haben?

Gerhard Trabert: Die Verfasserinnen des Manifests haben gezielt ausgewählt, wer Erstunterzeichner sein soll – und wer nicht; die Beteiligung an der öffentlichen Petition ist dann aber nicht mehr kontrollierbar. Dennoch ist für mich eine klare Abgrenzung gegenüber einer rechtspopulistischen Instrumentalisierung essenziell und muss dann auch praktisch realisiert werden.

Ich bin sehr froh, dass wir in diesem Telepolis-Gespräch nicht über Beifall von der richtigen oder falschen Seite geredet haben, sondern über wesentlich Wichtigeres: über die Inhalte des Manifests. Auch die Demo am Samstag hat das Ziel, in Medien und Politik eine breite Auseinandersetzung mit diesen Inhalten anzustoßen. Und ich hoffe sehr, dass sich die Demo-Berichterstattung nicht darauf beschränken wird, deutschnationale Fahnen im Teilnehmerfeld ausfindig zu machen.