Krieg und Fake News

Seite 2: Journalismus in Krieg: Am besten zwischen den Fronten

Die Debatte um die russische Invasion in der Ukraine mündet immer häufiger in Glaubenskriege, in denen sich Journalisten als Missionare verstehen. Zuletzt haben wir das bei zwei Themen erlebt: bei der politischen und medialen Diskussion um angeblich sabotierte Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau und bei der Berichterstattung über die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines.

Zunächst zum Ukraine-Krieg. Der ehemalige israelische Premierminister Naftali Bennett hatte sich nach dem 24. Februar letzten Jahres für eine Verhandlungslösung ausgesprochen. Am 4. Februar dieses Jahres sprach er in Teilen eines fast fünfstündigen Interviews über seine damaligen Bemühungen und stellte fest, dass die USA und Großbritannien auf eine Fortsetzung des Krieges gedrängt hätten.

Telepolis griff das Thema erstmals am 8. Februar auf, mit der korrekten Wiedergabe Bennetts, eine angestrebte Friedenslösung sei verhindert worden, weil "vor allem Großbritannien und die USA den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt" hätten.

Es dauerte gut eine Woche, bis unter anderem die ARD mit einem als Faktencheck ausgewiesenen Text reagierte. Doch was wurde da überprüft?

Der ARD-Text gibt nicht Bennett wieder, um ihn zu widerlegen, sondern die Interpretation, er habe gesagt, ein Abkommen zwischen Russland und der Ukraine sei unterschriftsreif. Diese aus Reaktionen konstruierte These wird dann widerlegt. Ein Vorgehen, das zumindest auf ein selektives Verständnis der Fakten hindeutet.

Hält man sich an Bennetts ursprüngliche Aussagen, gibt es auch keinen Widerspruch zu seiner Antwort an Twitter-Chef Elon Musk, dem Bennett auf Nachfrage hin schrieb

Es ist unklar, ob es überhaupt einen Deal gab, der gemacht werden konnte. Zu der Zeit habe ich alldem eine rund 50-prozentige Chance gegeben. Die US-Amerikaner schätzten die Chancen deutlich geringer ein. Schwer zu sagen, wer Recht hatte.

Die Debatte über gescheiterte Exit-Strategien könnte und sollte ausgeweitet werden. Wie kam es von Verhandlungsangeboten und Last-Minute-Diplomatie zwischen Moskau, Washington und der Nato Mitte Februar 2022 - während der Münchner Sicherheitskonferenz - zur Eskalation?

Und wie verträgt sich das ARD-Postulat "Der Westen hat den Waffenstillstand nicht verhindert" politisch mit der Tatsache, dass nicht nur hierzulande bis heute jede entsprechende Forderung vehement zurückgewiesen wird?

Es stellt sich also die Frage, inwieweit die Darstellungen zum Ukraine-Komplex in den selbsternannten Qualitätsmedien journalistisch motiviert, also ergebnisoffen sind, oder inwieweit sie politisch motiviert, also auf ein gewünschtes Ergebnis hin ausgerichtet sind.

Angeheizt wurde die Diskussion im Netz durch den ARD-Faktenfinder selbst, der dem US-Journalisten Seymour Hersh unterstellte, er habe geschrieben, unbekannte Attentäter hätten "C4-Sprengstoff in Pflanzenform" an die Nord-Stream-Pipelines angebracht. Die entsprechende Passage wurde später entfernt, unter dem Artikel steht seitdem:

In einer früheren Version war von Sprengstoff 'in Form von Pflanzen' die Rede. Dabei handelte es sich um einen Übersetzungsfehler. Hersh schreibt von 'plant shaped C4 charges'. Das Wort 'plant' ist in diesem Fall jedoch nicht mit 'Pflanze' zu übersetzen, sondern mit 'platzieren'. Der Absatz wurde korrigiert.

Hersh hatte in seinem viel diskutierten Text keinesfalls von "Sprengstoff in Pflanzenform" geschrieben. In dem Beitrag, über den früh auch Telepolis berichtet hatte, hieß es vielmehr, norwegische Marinetaucher seien zu den vier Gasleitungen geschwommen, "um C4-Hohlladungen (...) anzubringen", also "(to) plant shaped C4 charges on the four pipelines".

Nun passieren Übersetzungsfehler - auch wir haben z.B. hier eine Korrektur vorgenommen -, aber bei einer öffentlich-rechtlichen Redaktion und einer solchen Art von Beiträgen, die den Anspruch auf ultimative Aufklärung erheben, stellen sich durchaus Fragen des Qualitätsmanagements und der Motivation.

Es ist eine ständige Diskussion und Abwägung, der sich alle Redaktionen stellen müssen, Leitmedien wie alternative Medienangebote: Wie können sie in einer medial und politisch polarisierten Situation möglichst viel Ausgewogenheit und Objektivität gewährleisten? Diese Diskussion führen wir auch bei Telepolis ständig und sind daher für sachliche Hinweise immer dankbar.

Im Fall des sogenannten Friedensmanifests haben wir deshalb neben der Position der Organisatoren auch die der Kritiker abgebildet, etwa die des Politologen Johannes Varwick, der seine Unterschrift zurückgezogen hat, oder die der Aktivisten Jürgen Grässlin und Margot Käßmann, die sich teilweise distanziert haben. Die Situation in Russland wird unter anderem von den Autoren Roland Bathon und Bernhard Gulka für Telepolis kritisch begleitet.

Nicht nur in Kriegszeiten, aber gerade dann sind Journalismus und Journalistinnen und Journalisten gefordert, sich zwischen die Fronten zu stellen. Auch auf die Gefahr hin, von beiden Seiten ins Visier genommen zu werden.

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