Künftige Bundesregierung vor großen Aufgaben
Die Energie- und Klimawochenschau: Eine neue Klimaklage, Aufgaben für die Klimaneutralität 2045 und Zweifel am Bundesverkehrswegeplan
Die nordchinesische Provinz Shanxi leidet derzeit unter schweren Überschwemmungen nach heftigen Regenfällen. Mindestens 15 Menschen sind in Folge des Unwetters gestorben, Zehntausende Gebäude und Ackerflächen zerstört. Die Wassermassen behindern auch den Kohlebergbau in der Region, wodurch sich Engpässe in der chinesischen Stromversorgung noch verstärken könnten.
Dieses Jahr häuften sich die Katastrophenmeldungen aus aller Welt. Und auch eine neue Studie vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change sowie von Climate Analytics zeigt, dass die Klimakrise an fast keinem auf der Erde mehr spurlos vorbeigeht. So sind die Folgen des menschengemachten Klimawandels auf 80 Prozent der Landfläche zu spüren, 85 Prozent der Weltbevölkerung sind davon betroffen.
Für die Studie wurden gewaltige Datenmengen aus aller Welt zusammengeführt und mithilfe maschinellen Lernens ausgewertet. Allerdings fehlen für die ärmsten Länder teilweise Daten über die Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere für Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Dieser Datenmangel sei wiederum ein Nachteil, wenn es darum geht, die Klimaanpassung zu planen.
Klimaklage gegen Wintershall Dea
Am Freitag zog unter Beteiligung einer Delegation der Zapatistas aus Mexiko eine Demonstration durch das Zentrum Berlins, die auf verschiedene Orte und Institutionen des "kolonialen Kapitalismus" aufmerksam machte. Einer dieser Orte war die Repräsentanz des Unternehmens Wintershall Dea in Berlin, ein unauffälliges Bürogebäude.
Tatsächlich ist Wintershall Dea der größte Öl- und Gaskonzern in Deutschland, der aber, anders als Kohlekonzerne wie RWE oder LEAG, kaum in die Schlagzeilen kommt. Das mag daran liegen, dass der Kohleausstieg in Deutschland noch immer eines der dringlichsten Probleme ist.
Um die Klimaziele von Paris einzuhalten, wäre aber ein schneller Ausstieg aus allen fossilen Energien nötig, also auch aus Erdöl und Erdgas. Wintershall Dea ist mit der weltweiten Förderung von Erdöl und Erdgas für rund 80 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr, das ist mehr als ganz Österreich emittiert.
Einem Bericht von urgewald zufolge will Wintershall seine Förderung bis 2023 sogar um 30 Prozent steigern, was in keiner Weise in Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel stünde. Demnach dürften ab 2021 nämlich, mit Ausnahme bereits zugesagter Projekte, keine neuen Öl- und Gasquellen erschlossen werden.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat in der vergangenen Woche vor dem Landgericht Kassel Klage gegen Wintershall Dea eingereicht, weil sich das Unternehmen weigert, ein CO2-Budget auf Basis des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten.
Dazu will die DUH den Konzern nun gerichtlich verpflichten, was bedeuten würde, dass die Förderung entsprechend eingeschränkt werden müsste und spätestens ab 2026 keine neuen Projekte erschlossen werden dürften. Wintershall Dea ist nicht das erste Unternehmen, gegen das die DUH aus Klimaschutzgründen verklagt. Auch gegen BMW und Mercedes Benz wurde bereits Klage eingereicht.
Die Demonstrierenden in Berlin stellten aber noch einen ganz anderen Aspekt der Aktivitäten von Wintershall heraus, nämlich seine Beteiligung an Fracking-Projekten im argentinischen Vaca Muerta. Bei urgewald heißt es zu dem Thema:
Gegen die Fracking-Industrie in Vaca Muerta kommt es regelmäßig zu Massenprotesten von lokalen Einwohner:innen, die sich gegen die wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Schäden zur Wehr setzen. Zu den schwerwiegendsten Auswirkungen der Fracking-Industrie gehören ein gewaltiger Verbrauch der knappen Ressource Wasser, Verunreinigung des Trinkwassers, Luftverschmutzung durch flüchtige organische Verbindungen (VOCs), damit verbundene negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Produktion und Entsorgung von giftigen Abfällen wie Bohrschlämmen und durch Fracking verursachte Erdbeben.
Weichen für die Klimaneutralität stellen
Zurzeit laufen Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP. Was ein solches Bündnis für die Klimapolitik bedeuten würde, darüber soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden. Dass eine künftige Regierung, wie auch immer sie aussehen wird, sich mit konkreten Pfaden hin zur Klimaneutralität beschäftigen muss, ist allerdings sicher.
Mit verschiedenen Szenarien wie bis 2045 Klimaneutralität erreicht werden kann - wie es derzeit im deutschen Klimaschutzgesetz verankert ist - haben sich Wissenschaftler:innen im vom Forschungsministerium geförderten Projekt Ariadne beschäftigt.
Klimaneutralität erreicht man nicht von heute auf morgen, deshalb müssen schon zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wichtige Entscheidungen getroffen werden. Denn es gibt kaum kurzfristige Spielräume, um auf den Weg zu bringen, was in ein paar Jahren greifen soll - allem voran ein massiv beschleunigter Ausbau von Wind- und Sonnenenergie.
Gunnar Luderer, Vize-Leiter des Ariadne-Projekts am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
Viele Transformationsprozesse müssen schon bis 2030 begonnen werden und die erneuerbaren Energien noch stärker ausgebaut werden als im EEG 2021 vorgesehen. Da eine weitgehende Elektrifizierung auch in den Bereichen Gebäude, Industrie und Verkehr notwendig ist, steigt der Strombedarf bis 2045 auf 780 bis 1.580 Terawattstunden, einschließlich des Stroms, der für die Erzeugung von Wasserstoff oder synthetischen Brennstoffen notwendig ist.
Die erneuerbaren Energien, in erster Linie die Photovoltaik und die Windenergie, müssen schon bis 2030 ihre Kapazitäten auf 550 - 615 TWh verdreifachen. Der bisher vorgesehene Ausbaupfad bis 2029 liegt bei 376 TWh. Ein stärkerer Ausbau geht mit einem erhöhten Flächenbedarf von heute 0,7 Prozent auf rund drei Prozent der Landesfläche für Freiflächen-PV und Onshore-Windenergie einher.
Dies könnte teilweise kompensiert werden durch weniger Biomasseanbau sowie die kombinierte Flächennutzung von PV und Landwirtschaft. Die Szenarien gehen außerdem von einem Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030 aus.
Ein ausreichendes Angebot erneuerbaren Stroms ist zwar notwendige Bedingung, reicht aber für die Transformation der anderen Sektoren nicht aus. So müsse die Rate der energetischen Sanierung von Gebäuden bis 2030 auf 1,5 bis zwei Prozent gesteigert werden. In energieintensiven Industriezweigen sind große verfahrenstechnische Veränderungen nötig. Auch hier müssten Verfahren schon bis 2030 von Pilot- und Demonstrationsprojekten auf ein industrielles Niveau hochskaliert werden.
Bekanntermaßen hängt der Verkehrssektor bei den Klimazielen seit Jahrzehnten hinterher. "Selbst mit einem massiven Anstieg des Anteils batterieelektrischer Fahrzeuge werden die Sektorziele aus dem KSG 2021 bis zum Jahr 2030 nicht erreicht", bestätigt die Studie hier die kaum aufholbaren Rückstände. Der Umstieg auf E-Autos müsste durch einen schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur vorangetrieben werden, zudem aber ein Wechsel auf andere Verkehrsträger befördert werden.
Angemerkt wird in der Studie auch, dass das Ziel der Klimaneutralität ohne Abscheidung und Speicherung von CO2 kaum erreichbar sein wird. Bis 2030 sollte eine geologische Speicherung von zwei bis fünf Millionen Tonnen CO2 angestrebt werden. Ferner sollte auch die Bindung von CO2 in Böden und Wäldern gefördert werden.
Ein kritischer Punkt bei einer weitgehenden Elektrifizierung ist ein steigender Bedarf an zum Teil knappen Rohstoffen, deren Abbau auch mit Umweltfolgen verbunden ist. Die Kreislaufwirtschaft muss daher verstärkt, Umweltwirkungen entlang der Wertschöpfungskette beachtet werden.
Deutsche Energie-Agentur: Notwendigkeit der CO2-Speicherung
Mit der Klimaneutralität bis 2045 beschäftigt sich auch eine letzte Woche erschienene Leitstudie der Deutschen Energie-Agentur (dena). Diese kommt in vielerlei Hinsicht zu ähnlichen Einschätzungen, beispielsweise dass noch in den 2020er-Jahren die richtigen Weichen gestellt werden müssen, dass ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien nötig ist und dass die Sanierungsrate von Gebäuden auf rund 2 Prozent gesteigert werden muss.
Darüber hinaus fokussiert sie stärker auf Instrumente einer möglichst EU-einheitlichen CO2-Bepreisung sowie auf den Bereich Innovation. Ein früherer Kohleausstieg könnte sich aus den höheren CO2-Preisen ergeben.
Noch deutlicher als die Ariadne-Studie, spricht die Leitstudie der dena eine zukünftige Notwendigkeit der CO2-Speicherung, sowohl im technischen Sinne als auch in natürlichen Senken an. "Im Jahr 2045 werden 70 Mio. Tonnen CO2-Negativemissionen über natürliche und technische Senken benötigt, um verbleibende Emissionen aus der Industrie und Landwirtschaft auszugleichen", so die dena.