Kulturkampf um "vegane Fleischerei" – oder: (Anti-)Woke-Warriors in Aktion
Nicht nur karnivore Wutbürger haben ein Problem mit dem Angebot von Tofu-Würstchen und Seitan-Rouladen. Auch Teile der veganen Szene sind mehr als skeptisch. Die Nachfrage ist dennoch groß.
Eine "vegane Fleischerei" ist ein Widerspruch in sich – aber eben auch eine gelungene Provokation, die dem Unternehmen einen hohen Bekanntheitsgrad garantiert. Das war im Fall eines solchen Unternehmens in Dresden auch durchaus Kalkül, wie der Gründer kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung einräumte.
Auf Wutbürger, die sich im Netz echauffieren, ist in solchen Fällen Verlass. Man kann sie getrost in die eigene PR-Strategie einbauen. Auch Morddrohungen gegen Mitarbeitende nahm der Jungunternehmer in Dresden gelassen.
Bemerkenswert ist trotzdem, dass zum Teil gerade diejenigen, die beim Schweineschnitzel betonen, dass es um Freiheit gehe und im Sinn von Angebot und Nachfrage doch verdammt noch mal jeder essen solle, was er möchte, derart wütend werden, wenn auch anderen genau das angeboten wird. Angeboten, wohlgemerkt. Es muss ja kein Mensch kaufen.
Neben dem gewaltigen Shitstorm im Netz hatte sich am Eröffnungstag der "veganen Fleischerei" allerdings eine 50 Meter lange Schlange vor der Tür gebildet. Nur zwei holländische Touristen hatten aber wohl tatsächlich Fleisch- und Wurstwaren in dem Geschäft erwartet.
In manchen Social-Media-Beiträgen zum Thema wurde dennoch bluternst von "Betrug" und Verbrauchertäuschung gesprochen. Andere machten sich darüber lustig, dass Vegetarier und Veganer ständig Fleischwaren und Fleischgeschmack imitieren müssten – was in der veganen Szene nur teilweise der Fall ist und von einer dogmatischen Fraktion dort scharf kritisiert wird. Auch die nostalgische Erinnerung an traditionelle Gerichte und Lebensmittel aus totem Tier ist demnach eine zu bekämpfende Unkultur.
Die Fleischindustrie lebt von Verdrängung
Dabei wird übersehen, dass Tiere in der Natur auch nicht mit Körperteilen in Form von Rouladen, Bouletten oder Würsten herumlaufen – und dass die Fleischindustrie von Verdrängung lebt: Wären Fleischkonzerne analog zur Tabakindustrie gezwungen, ungeschönte Fotos von Haltung und Schlachtung der Tiere auf die Packungen zu drucken, ginge der Fleischkonsum wohl schneller zurück.
Ein Großteil der Menschen, die gern Fleisch essen, will sich dabei den Herstellungsprozess nicht vorstellen. Viele vermissen dementsprechend auch nicht die leichte aasige Note, die bei Rouladen aus Seitan, Maronenmehl, Kidneybohnen und Gewürzen "fehlt", wenn sie solche "Fleischersatzprodukte" ausprobieren. Viele haben sich auch immer schon an Sehnen gestört.
Die Vorstellung, dass vielleicht in 300 Jahren Rouladen aus pflanzlichen Zutaten Standard sind und viele gar nicht mehr bewusst ist, dass früher in der Regel Tiere geschlachtet wurden, um Rouladen herzustellen, ist für kulturkämpferische Fleischesser eine Horrorvision der Umerziehung – für kulturkämpferische Veganer wäre es dagegen Ausdruck einer gescheiterten Kulturrevolution.
Schließlich läge dann immer noch auf den Tellern, was so aussieht und fast genauso schmeckt wie das, was heute die "Boomer" und auch einige Jüngere an das Sonntagsessen ihrer Kindheit erinnert. Aber warum soll es das nicht? – Wer verbietet Veganer:innen, die es noch nie mochten, stattdessen sonntags mit Paprika und Linsen gefüllten Kürbis oder Pilzpasta zu essen?
Der pragmatische Teil der veganen Szene will keine Geschmackspolizei sein, sondern Tierleid, Umweltverschmutzung und klimaschädliche Emissionen verhindern. Dafür müssen möglichst viele Menschen gewonnen werden, da Verbote nicht mehrheitsfähig sind und die bloße Verteuerung tierischer Produkte eher Sozialproteste hervorruft. Veganismus nach dem Motto "Alles oder nichts" zu propagieren, sorgt bei der Mehrheit für Abwehrreflexe.
Niedrigschwellige Angebote für Menschen, die ihren Fleischkonsum zumindest reduzieren oder eine vegane Ernährung ausprobieren wollen, sind dagegen durchaus gefragt. Sie erzürnen vor allem den harten Kern der anti-"woken" Kulturkämpfer, frustrieren aber auch Veganer, die gern ihre ganze Lebensphilosophie mitverkauft hätten.
Auch im Interesse der "Boomer"
Wer aber etwas verändern und nicht nur anders sein will, muss die Menschen da abholen, wo sie stehen – und die Zielgruppe, die demnächst ihren Fleischkonsum zumindest reduzieren könnte, ist groß: Der Renteneintritt der "Boomer", die zum Großteil mit fleischlastiger Wirtschaftswunder-Kost großgezogen wurden, ist für viele auch ein Zeitpunkt, zu dem sie sich verstärkt über ihre Gesundheit Gedanken machen.
Außerdem haben sie dann mehr Zeit, sich zu informieren und neue Rezepte auszuprobieren – und längst nicht alle in dieser Altersgruppe entsprechen dem diskriminierenden "Boomer"-Klischee vom geistig unflexiblen Spießer.
Momentan liegt der Fleischkonsum hierzulande noch deutlich über dem, was die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Mehr als 600 Gramm Fleisch- oder Wurstwaren pro Woche sind demnach ungesund. Zuletzt verzehrten Deutsche im Durchschnitt aber noch mehr als ein Kilo pro Woche - wobei Zahlen für 2022 noch nicht veröffentlicht wurden und der Konsum seit 2012 bereits von mehr als 60 Kilo auf 55,1 Kilo pro Kopf und Jahr gesunken ist.
Die Zielgruppe für Betriebe wie die "vegane Fleischerei" in Dresden oder auch die "Fleischloserei" in Wien wird wohl noch weiter wachsen – ob sie nun vollständig vegan wird oder nicht. Und eingeschweißt gibt es entsprechende Produkte ja längst in jeder größeren Stadt – zunehmend auch in normalen Supermärkten, die größere Auswahl findet sich in Bioläden. Ein großer Teil der ernährungsbewussten Zielgruppe findet das aber nicht ganz so appetitlich und will zudem weniger Plastikmüll produzieren.