"Kulturkampf von rechts"?
Seite 2: Der Fall Dresden
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Der "Spiegel" (Nr. 7, 2020) benennt es im Vorfeld des Dresdener Gedenkens. Der Bundespräsident muss ja wieder auftreten, aber "in Berlin heißt es, er tue sich schwer, den richtigen Ton zu finden: deutsche Opfer, deutsche Schuld. Der Kampf um die Deutungshoheit über das Gedenken an Dresden - er geht in die nächste Runde". Mit diesem Kampf ist der Streit mit den Rechten und mit deren Ansinnen gemeint, Dresden und die deutsche Bevölkerung als Opfer eines alliierten "Bombenholocausts" in Szene zu setzen.
Interessanter Weise informiert der "Spiegel" aber als Erstes darüber - ist das die neue Ehrlichkeit nach Relotius? -, dass er selber maßgeblich daran beteiligt war, eine solche Inszenierung auf den Weg zu bringen. 1963 schrieb er unter Angabe falscher Zahlen (bis zu 200.000 Todesopfer sollten es gewesen sein) von einem "sinnlosen Terrorakt"; ein Jahr später sprach die "Zeit" vom "wahrscheinlich größten Massenmord der gesamten Menschheitsgeschichte". Neben solchen Anschuldigungen nehmen sich die heutigen Rechtspopulisten, die auf die Anerkennung deutscher Not pochen, eher wie brave Bürger aus!
Die Zahlen sind mittlerweile korrigiert. Auch wenn letzte Sicherheit wohl nicht herzustellen ist, soll nach der sechsjährigen Arbeit einer Historikerkommission, die von Dresdens Oberbürgermeister berufen wurde, die Opferzahl - wie auch in den ersten, internen NS-Meldungen weitergegeben - bei rund 25.000 liegen. Insofern wäre alles geklärt, für den "Spiegel" aber nicht, denn "Trauer bemisst sich nicht an Zahlen, Trauer ist Trauer". Das Problem steckt nämlich gar nicht in den Zahlen, sondern in einer anderen Gefahr: "Mit Dresden konnte man den Eindruck erwecken, die Sieger des Krieges seien auch nicht besser als die Verlierer." In der Tat, man kann das nicht nur. Aus der Kenntnisnahme des militärischen Vorgehens der Alliierten ergibt sich vielmehr die banale Tatsache, dass sie genau dieselben Kriegsmittel einsetzten wie die Gegenseite.
Das "Moral Bombing" der deutschen Städte durch RAF und USAAF war ein Mittel im totalen Krieg. In ihm werden Staaten als Feinde definiert und damit ihr gesamtes Potenzial, ihr Land und ihre Leute, zum Abschuss freigegeben. Dabei gibt es, seitdem der Krieg total geworden ist, noch das Kuriosum eines Kriegsvölkerrechts, das nur die auf militärische Notwendigkeiten, also den Erfolg, bezogenen Maßnahmen für zulässig erklärt, was hin und wieder (nachträglich) zu Kriegsverbrecherprozessen führt. Im Flächenbombardement der Alliierten wurde genau die übliche Kriegslogik exekutiert, als Notwendigkeit einer erfolgreiche Durchsetzung: Man greift das Volk als Basis der Herrschaft an, setzt auf maximale Zerstörung, die sich an keinem humanitären Gesichtspunkt relativiert.
Über diese Kriegskalkulationen können Geschichtslehrer und -lehrerinnen natürlich ohne Weiteres Auskunft geben. Was bei solchen Auskünften aber unterbleibt, ist die Moralisierung, wie sie jetzt wieder beim Auschwitz-Gedenken zur Hochform auflief. Mit dem Bild vom "absolut Bösen" soll ja gleich das Gegenbild von der Güte der Demokratie erzeugt werden - also einer politischen Herrschaft, die nur so von Werten und Humanität strotzt.
Wenn man historisch korrekt die Kriegskalkulationen der damaligen Mächte nachverfolgt, geht diese Mystifizierung als Kampf der Guten gegen die Bösen verloren. Dann stößt man auf die Machenschaften konkurrierender Großmächte, auf die Rivalitäten imperialistischer Weltordnungsansprüche, auf Störenfriede, die vom Standpunkt der etablierten Mächte als "revisionistisch" einzustufen waren etc. Dass die Rote Armee das KZ Auschwitz befreite und die Anti-Hitler-Koalition die deutsche Bevölkerung den Klauen eines rassistischen Regimes entriss, war dabei sicher nicht das Kriegsziel. (Diese Dinge zählten zu den Wirkungen, über die man als Nachgeborener natürlich erleichtert sein dürfte.)
Die Abwendung vom üblichen Moralismus durch sachliche Aufklärung hat aber noch eine andere Seite. Der Publizist Eric Schlosser, allem Anschein nach ein braver amerikanischer Patriot, hat 2013 eine aufwändige Studie über die amerikanische Atomrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt, in der er - vor allem zur Aufklärung jüngerer Leser - die Verdienste der "ordinary man and women" würdigen will, "who helped to avert the nuclear holocaust", indem sie ständig am Rande des Kriegsausbruchs lavierend die Interkontinentalraketen beaufsichtigten, warteten, reparierten etc.3 Im ersten Kapitel zeigt Schlosser, wie aus den Auseinandersetzungen um das "area bombing", aus den Erfahrungen der "Feuerstürme" beim (konventionellen) Bombardement Hamburgs, Dresdens oder Tokios, die amerikanische Atomstrategie hervorging, die immer auf eins berechnet war: auf maximale Zerstörungs- und Tötungskraft.
Davon ist übrigens nichts veraltet. Wenn man sich die offiziellen US-Dokumente wie die National Security Strategy (2017), die National Defense Strategy (2018), die Nuclear Posture Review (2018) oder die Missile Defense Review (2019) ansieht, dann ist die Massenvernichtung weiter im atomaren US-Programm, ergänzt um eine Kriegsführungsoption, die die Abschreckung der anderen Seite - das ist heute vor allem wieder Russland - um die Sicherheit ergänzen will, dass man selber vom Einsatz der ultimativen Waffe nicht abgeschreckt wird. An solche aktuellen Vorgänge zu erinnern - die zur Zeit im einem gigantischen, gegen Osten gerichteten Manöver der NATO als Übung anstehen - und so den Krieg als aktuelles Problem namhaft zu machen, wäre natürlich unanständig in einer Erinnerungskultur, die die Guten von den Bösen trennen will.