Kunst hüben, Ideologie drüben?

Bauhaus-Gebäude in Dessau von Walter Gropius. Bild: Aufbacksalami / CC-BY-SA-4.0

Das Bauhaus sorgte lange für Kontroversen. Dazu trug eine ungerechtfertigte Politisierung bei. Wie in Ost und West über welche Architektur debattiert wurde.

"Bilde Künstler, rede nicht": Unter diesem Goethe-Zitat veröffentlichte der wortgewaltige Kritiker Rudolf Schwarz im Januar 1953 in der Zeitschrift Baukunst und Werkform eine bissige Attacke gegen das Bauhaus. Schwarz, der in Personalunion auch Architekt der Fronleichnams-Kirche in Aachen war – eine Inkunabel der Klassischen Moderne –, ging die rigide Ideologie der Dessauer Modellschule komplett gegen den Strich.

Polemisch warf er den Epigonen der Lehranstalt vor, sie bedienten sich des "Jargons der Komintern", und seien nicht in der Lage, zeitgemäße Antworten zu formulieren. Dabei läge das eigentlich Schlimme in den doktrinären Verkürzungen des Bauhaus, die in der Folge zu einer Polarisierung geführt hätten:

Noch heute halten manche Leute das Dritte Reich für den "Hüter der Tradition", der "die Antike pflegt", und alle anderen sind für diese "schwatzhafte Scharlatane".

Den Schaden hätten damit all jene, deren Anliegen die "autonome Architektur" sei und die "eine Festgefahrenheit in bestimmten Bahnen" ablehnten.

Fronleichnams-Kirche in Aachen. Bild: Moritz Bernoully, Rudolf Schwarz / CC-BY-SA-3.0

In der westdeutschen Architektenschaft, aber auch weit über diese hinaus, löste dieser Beitrag heftige, ja leidenschaftliche Reaktionen aus. Das war freilich Schwarz' erklärte Absicht. Entwickelt hat sich daraus die Erste, zugleich längste – und man darf wohl sagen: tiefgehendste – Architekturdebatte der Nachkriegszeit.

Verwunderlich ist, dass die Kritik sich fast ausnahmslos an Schwarz' Verdikt aufbaute, "Gropius könne nicht denken, zumindest was nun mal im abendländischen Raum Denken heißt". Wahre Lobgesänge auf das Bauhaus und seine Errungenschaften waren die Resonanz. Der eigentlich brisante Kern jedoch, die von Schwarz thematisierte Kontinuität von Gedanken, Konzeptionen und Personen über des Zwölfjahrenszeitraum des Tausendjährigen Reiches hinweg, blieb unbeachtlich.

Das alles ist weniger gestrig, als es den Anschein hat. Denn solche verdrängten, nicht zu Ende diskutierten und ausgefochtenen Kontroversen prägen unsere Gesellschaft. Insofern lohnt der zweite Blick darauf. Denn er ist nicht nur kurzweilig und unterhaltsam, sondern offenbart eine kulturpolitische Debatte, die bildhaft macht, was die Köpfe (und Herzen) auch heute bewegt – und, vor allem, was nicht.

Diese "Auseinandersetzung unserer Zeit mit den Strömungen des Materialismus" beschäftigte alsbald weite Kreise der Publizistik, von der christlichen Herder-Korrespondenz bis zur FAZ. Dass Schwarz, wie fast alle Kombattanten, sich gegen die Drohung des "Kollektivs" wendet, sollte dabei nicht als unsoziale Haltung missverstanden werden (wenngleich sie deutlich antisozialistische Züge trägt); vielmehr geht es ihm um die notwendige schöpferische Individualität des Künstlers.

Um das Verständnis von Architektur als Kunst ging es auch auf der anderen Seite des "eisernen Vorhangs". Nach 1945 lässt sich in der "Sowjetischen Besatzungszone" (SBZ) zunächst, einem breiten Spektrum der Stellungnahmen zum Trotz, eine Reorientierung an den Idealen des 'Neuen Bauens' feststellen. Diese Rückbesinnung wurde auch personell unterstrichen durch die Berufung von Persönlichkeiten wie Hans Scharoun, Otto Haesler, Mart Stam, Hans Schmidt und Hubert Hoffmann.

In gleichem Maße, wie mit der staatlichen Verfügungsmöglichkeit über den Boden die Fundamente hierfür neu gelegt wurden, geriet jedoch das Leitbild selbst ins Wanken. Was kam, ist weithin bekannt; die Auslassungen über den sozialistischen Realismus sind Legion.

Und doch: Der "sowjetische Zwangsimport" von 1949/50, in der Architektenschaft polemisch als "Kulinatra" – entsprechend Kurt Liebknechts Nationale Traditionen – eingedeutscht, entsprach immerhin einer dezidiert künstlerischen Berufsauffassung. Eine pauschale Verdammung, wie sie auch in der eben erwähnten Bauhaus-Debatte anklang, erscheint allzu billig.

In der Bewertung dieser Periode wird man zumindest die Entwurfsumstände von den tragenden (und nur vielleicht oktroyierten) Prinzipien der Ästhetik trennen müssen. Die Übernahme des klassischen Gestaltungskanons unterstellte ahistorische, letztlich von der Gesellschaftsverfassung unabhängige ästhetische Wertungen und rekurrierte damit teilweise auf idealistische Gedanken (und war insofern gar nicht so weit entfernt von der Position Schwarz').

Erörtert jedoch wurde das kaum. Zudem war zumindest das propagandistische Getöns um die Baukunst nicht jedermanns Sache. Anlässlich der Einweihung von Hermann Henselmanns Hochhaus an der Weberwiese in Berlin notierte der Historiker Alfred Kantorowicz:

Dass doch alles bei uns bramarbasierend vor sich gehen muß – der Bau eines Wohnhauses ein "bahnbrechendes" Ereignis!

Das Bauhaus und die Folgen: so ließe sich das zusammenfassen, was im Westen und Osten, wenngleich unter unterschiedlichen Vorzeichen, parallel vonstattenging. Es waren Diskussionen über die gesellschaftlichen Zielsetzungen des Bauens, aber auch'zugleich und immanent'über die Freiheit der Kunst. Beide sind sie vergessen oder sogar verdrängt worden; doch heute sind sie aktueller, als man glauben mag.

Hochhaus an der Weberwiese. Bild: Gryffindor / Public Domain

Überraschend ist weniger der Umstand, dass die daraus gezogene Quintessenz (so es denn eine gegeben haben sollte) hüben eine andere war als drüben, als vielmehr ihre Gleichzeitigkeit. Gerade sie weist darauf hin, dass die Problemkonstellation genau genommen so unvergleichlich nicht war. Delikat wird die Sache dadurch, dass die Protagonisten des historisierenden Bauens allesamt aus dem Bauhaus-Umfeld stammen: Liebknecht war Mitarbeiter bei Mies van der Rohe, Collein Schüler von Gropius und Hannes Meyer gewesen, und auch Paulick und Henselmann sind Bauhaus ausgebildet worden.

Und damit ist man flugs in einem weitergespannten Rahmen. Bauen, das offenbaren die Kontroversen in beiden Teilstaaten, ist eben nicht nur Selbstzweck. "Architektur ist gebaute Weltanschauung" war 1948 gar in der bildenden kunst zu lesen. Zwar wird in der heutigen Öffentlichkeit ein utopisches Anspruchsdenken des (Bau)Künstlers als unzeitgemäß, als verfehlte ideologische Überhöhung aufgefasst.

Der Führungsanspruch der Avantgarde in puncto künstlerischer und gesellschaftlicher Progression gilt vielen heute nicht nur als gründlich gescheitert, sondern auch als Resultat einer naiven Allmachtsphantasie, die dort, wo sie sich verwirklichen konnte, nur der Gewalt, nicht aber der Phantasie zur Macht verholfen hat.

Und doch wird nicht immer, aber immer öfter darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Kulturbetrieb eines utopischen Elements gleichwohl bedarf'als ersten Schritt gegen die reibungslose Verdauung von ausschließlich selbstreferentiellen Bilderwelten. Ernst Bloch, gewiss nicht im Verdacht, ein Bauhaus-Verehrer zu sein, lässt grüßen: Utopie als Ausdruck der Hoffnung auf Veränderung?

Für Hans Schmidt jedenfalls war sie eine notwendige berufliche Voraussetzung, um die Gesellschaft zu ändern. Dieser Schweizer Architekt war Gropius' Nachfolger als Direktor des Bauhaus, arbeitete dann in den 1930er Jahren aus Überzeugung in der Sowjetunion und immigrierte in den 1950ern in die DDR. Für Schmidt war Architektur ein Mittel zum Städtebau, und Städtebau ein Mittel der Politik, und beides lediglich verschiedene Maßstabsebenen der gleichen gesellschaftsrelevanten Disziplin.

Bekannt geworden durch seine streng funktionalistischen Entwürfe, seine redaktionelle Tätigkeit für die Avantgarde-Zeitschrift ABC sowie sein Engagement für die Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (Ciam), deren städtebauliche Ausrichtung er in der Anfangszeit stark prägte als Antipode zu Le Corbusier, hat ihn seine Affinität zur "stalinistischen Architektur" etwas ins Zwielicht gerückt. Es bleibt offen, ob sie Ausdruck seines authentischen Wollens oder aber seiner Einsicht war, das sozialistische Bauen bedürfe aus Gründen einer breiteren Akzeptanz der Verzierung.

Obgleich seine Position als Institutsleiter an der Bauakademie weniger mächtig war als ihre institutionelle Verankerung suggeriert, prägte er das Verständnis vom Bauen in der DDR entscheidend mit. Dabei blieb er seiner Linie allerdings treu und verfocht auch weiterhin eine "Entpersönlichung" der Architektur.

Die aber war auch, ob nun gewollt oder nicht, auch ein Resultat der Bauhaus-Architektur, zumal deren Neuerungen sich dem programmatischen Vorsatz verdankten, mit allen Bautraditionen zu brechen. Als Walter Gropius seine Professur in Harvard antrat, war seine erste Amtshandlung, die Architektur-Bibliothek in den Keller zu verbannen.

Mit den ästhetischen Vorbildern wanderte auch das in zwei Jahrtausenden angehäufte technologische Wissen über ökonomische und ökologische Grundsätze des Bauens in die Abstellkammern. "Die Gebäude wurden Theorien, konstruiert aus Beton, Stahl, Holz, Glas und Stuck", polemisierte schon vor 40 Jahren der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe.

Hinfort hatten Wände dünne Häute aus Glas oder Gipsmörtel, Stuck, zu sein. Da man sie nicht mehr brauchte, um ein Gebäude zu stützen – das wurde jetzt von Stahl oder Beton oder hölzernen Stützen besorgt –, war es unehrlich, wenn man Wände so klumpig baute, dass sie aussahen wie Burgmauern.

Tom Wolfe

Dass all diese Debatten nicht in ein späteres Einvernehmen mündeten, illustriert auch ein Satz des österreichischen Baumeisters Roland Rainer aus dem Jahr 1978:

Dass Architektur seit jeher die möglichst weithin sichtbaren, dauerhaften, imponierenden Zeichen, Denkmale, Monumente zu setzen hatte, Zeichenhaftigkeit also eines ihrer wesentlichen, wenn nicht ihr wesentlichstes Element ist, war gewiss eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahre. Sie sollte aber Architekten und Gesellschaft veranlassen, nachzudenken, welche Art von architektonischem und städtebaulichem Ausdruck, welche Zeichen dem Charakter unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung entsprechen. Außerdem sollte man sich bewusst sein, dass die Wirkung eines Zeichens als der bedeutungsvollen Ausnahme immer auf dem Gegensatz zur andersartigen Umgebung, vor allem zu den Wohnhäusern, beruht hat.

Ein beredtes Beispiel gibt auch Le Corbusier ab. Der radikale Propagandist modernen Bauens lehnte zwar vernakulare Bauformen als stilistisches Reservoir ab, verband aber seine Forderungen nach Standardisierung im avantgardistischen Wohnungsbau argumentativ mit einem Rückgriff auf "Urformen" traditionellen Bauens. Was heißt das?

Nichts anderes, als dass Architektur das Bauen braucht als eine Art dialektischen Gegenspieler. Diese Erkenntnis sieht man mitunter bei den Pionieren der Moderne angelegt. Doch man findet sie ebenso im anonymen Bauen anderer Kulturkreise, das gar keine ausgewiesenen Architekten benötigte.

Wie auch immer: Mit der Freiheit der (Bau)Kunst ist das so'ne Sache. Als "Handlanger in einer Häuserfabrik" charakterisierte Brigitte Reimann das Metier des realsozialistischen deutschen Architekten in ihrem Roman Franziska Linkerhand. Und doch ist dieses unbarmherzige Urteil wohl weniger zynisch als mitleidig gemeint. Die Probleme eines Berufsstands "zwischen Macht und Ohnmacht" waren ja nicht nur eingebildet, wie selbst der überzeugte Sozialist Lothar Kühne kurz vor seinem Freitod einräumen musste:

Das Beklagen von Monotonie innerhalb unserer Architektur ist im Grunde nur eine sich ihres Inhalts nicht voll bewusste Äußerung von Unbehagen, dessen Ursachen weder durch die Künste des Malermeisters noch durch die des friseurkünstlerischen Architekten zu beheben sind. Architektur ist als Aufgabe gestellt. Und zugleich ist es gut, zu begreifen, dass bestimmte architektonische Lösungen von gesellschaftlichen Determinanten abhängen, die durch den Architekten allein nicht unmittelbar zu beeinflussen sind.

Die Einsicht in diese Wahrheit müsste weiterreichen. Denn sie mündet in die Frage, ob uns die Fähigkeit, lebenswerte Städte mit urbanen Räumen zu schaffen, verloren gegangen ist. Die jüngst fertiggestellten Neubauviertel wirken überwiegend monoton, irgendwie steril, kaum nutzungsgemischt. Ihre Erdgeschosszonen sind weithin blind, erzeugen jedenfalls kein städtisches Leben. Allein schon diese Beobachtung macht deutlich, dass die Bauhaus-Diskussion von damals auch heute noch virulent ist.

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