LIFE @ War

Eine jüngst veröffentlichte "illustrierte Geschichte des US-Militärs" lässt erkennen, wie die Kriegsberichtserstattung sich geändert hat

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Anlässlich des 200jährigen Bestehens der US-amerikanischen Militärakademie West Point hat die zu AOL Time Warner gehörende Time-Life Inc. unter ihrem berühmten Label "LIFE" eine "illustrierte Geschichte des US-Militärs" heraus gebracht: The Power and the Glory. Ein Vergleich mit dem vor 25 Jahren erschienenen Buch "LIFE im Krieg" macht deutlich, wie sich die Zeiten geändert haben.

Die Zeitschrift LIFE lebt nicht mehr. Sie hat allerdings schon das Kunststück vollbracht, zweimal zu sterben. Gestartet war sie 1936, wuchs schnell heran zu einer der größten Illustrierten überhaupt, erlebte ihr letztes Hoch während des Vietnamkrieges, um dann der Konkurrenz des Fernsehens zu unterliegen. "Während wir unsere Filme noch entwickeln, hat das Fernsehen schon gesendet", so lautet die oft kolportierte Frustformel damaliger Bildberichterstatter.

Ende Dezember 1972 verschwand LIFE vom Markt, fast zeitgleich mit dem endgültigen Abzug der amerikanischen Bodentruppen aus Vietnam. LIFE war in der Time-Life Inc. aufgegangen und so erschienen auch nach dem Ende weiterhin Bücher mit dem alten Label. In den achtziger Jahren erfuhr LIFE als Monatszeitschrift einen Relaunch. Jetzt wurden zeitlose Themen behandelt, jenseits der Tagesaktualität. Diese Nische war allerdings durch das übermächtige National Geographic längst besetzt, und so kam das zweite Ende nicht wirklich überraschend.

1977 erschien das Buch "LIFE im Krieg", ein großformatiger 300-Seiten-Wälzer, der die Kriegsberichterstattung der Zeitschrift zusammenfasste (deutsche Ausgabe 1980). Die Einleitung startete mit dem bekannten Zitat Robert Capas:

"Wenn deine Bilder nicht gut sind, bist du nicht nahe genug herangegangen."

Eine Stärke des Buches war die Beschränkung auf das, was ursprünglich in LIFE publiziert worden war. Etwas penetrant war die Glorifizierung der Kriegsberichterstatter als Menschentypus, der zwar immer wieder am Sinn seines Tuns zweifelt, dann aber doch professionell bis heldenhaft seiner Aufgabe nachgeht, so wie Capa.

Das Buch erschien zu einer Zeit, als es keine Kriege gab, über die in ähnlicher Weise hätte berichtet werden können wie über den Vietnamkrieg. Unter Reportern war und ist man sich weitgehend einig, dass die Bilder aus Vietnam den Protest in der Bevölkerung stimuliert und somit zum Rückzug der US-Army beigetragen haben. Es war "das Goldene Zeitalter des Fotojournalismus", so Wolfram Steinberg, Bildchef von Associated Press Deutschland, im letzten Mai auf dem Symposium "Digitales Bild - Bildung des Digitalen" der Deutschen Gesellschaft für Photographie.

Dass die Militärs dies genauso sahen und deshalb zukünftig mit Zensurbestrebungen zu rechnen sei, wurde vor 25 Jahren noch nicht diskutiert. Im Falklandkrieg zwischen dem Vereinigten Königreich und Argentinien exerzierte das britische Militär jedoch schon bald vor, wie Bilder militärkompatibel gesteuert werden können.

Der Stern publizierte 1983 den Band "Bilder vom Krieg, 130 Jahre Kriegsfotografie - eine Anklage". Das Buch war ähnlich umfangreich wie "LIFE im Krieg" und durchweg in düsterem, schwarzweißem Layout gehalten. Immer wieder bezogen sich Texte und Bebilderung auf das zuvor erschienene Buch von LIFE, ohne es allerdings explizit zu nennen. Die Rolle der Kriegsfotografen wurde differenziert beschrieben, einschließlich der morbiden Attraktivität, die Kriege auf manche Reporter auszuüben scheinen. Während im LIFE-Buch ein dynamisch fotografierender Michael Rougier abgebildet war, sah man beim Stern das komplette Bild, Rougier zusammen mit John Dille auf einem Jeep. Zwei nackte Männer und drei Stahlhelme - "War is Fun".

"The Power and the Glory" unterscheidet sich von dem älteren LIFE-Buch thematisch dadurch, dass es in ihm nicht um die Rolle des Kriegsberichterstatters geht. Die Einleitung stammt von Senator Bob Dole, der im April 1945 in Italien selbst schwer verwundet wurde, "a true American hero". Er beschäftigt sich allein mit der Geschichte der US-Streitkräfte und seinen persönlichen Erfahrungen. Zum Schluß zitiert er das West-Point-Motto "Duty-Honor-Country" und schließt mit den Worten: "After 200 years, the words have lost none of their magic. God Bless America." Ganz eindeutig: hier liegt ein Buch vor, das von Amerikanern für Amerikaner verfasst wurde. Auch dieser Tunnelblick unterscheidet es von seinem Vorgänger. Der Klappentext lässt Schlimmes ahnen.

"Army. Navy. Marine Corps. Air Force. From the founding of the nation to the march through Afghanistan, they have preserved, protected and defended American liberty. Their gallantry is stirring to behold, as the pictures and stories in this book prove. ..."

Innen geht es jedoch eher beschaulich zu. Keine Tschingderassabumm-Propaganda, allerdings auch nichts wirklich Kritisches. Das Engagement in Vietnam sei ein "Fehler", ein "Irrtum" gewesen. Nirgends fällt das Wort "NATO" oder andere Hinweise darauf, dass die USA Verbündete haben. Reine Nabelschau.

Larry Burrows hat mit seinen Farbfotos die ästhetische Rezeption des Vietnamkrieges maßgeblich geprägt. Seine Bilder dürfen nicht fehlen, aber seine stärksten Bilder werden nicht gezeigt, wie etwa das der beiden verletzten, dreckverschmierten GIs, das für das "LIFE im Krieg"-Titelbild ausgewählt worden war. Die Auswahl "weicher Bilder" bricht eklatant mit der originären Tradition der Zeitschrift LIFE. In "LIFE im Krieg" war zu lesen, wie die Illustrierte 1938 auf Leserzuschriften reagiert hatte, in denen die Publikation von Bildern von Toten aus dem Spanischen Bürgerkrieg moniert worden war:

"LIFE kann die Bilder von diesen Ereignissen nicht ignorieren oder unterdrücken. Sie haben als Ereignis ihre eigene Autorität, die schwerer wiegt als alle taktischen Erwägungen eines Chefredakteurs und alle Empfindlichkeiten seiner Leser."

Aus Afghanistan sind in dem neuen Buch nur zwei Bilder zu sehen: eine Transportflugzeug beim Start und der leere Laderaum eines Flugzeugs von innen. Und nur vereinzelte Amerikaner, keine Afghanen, keine Verbündeten. Ist das die ganze bildmäßige "Autorität der Ereignisse" des "Krieges gegen den Terror"?

Mit knapp 130 Seiten ist "The Power and the Glory" bemerkenswert dünn für ein illustriertes Werk über eine 200jährige ruhmreiche Geschichte. Vor allem Dokumente der letzten zwanzig Jahre sind erstaunlich wenig vertreten. Fast hat man den Eindruck, die Herausgeber wären bei der Realisierung des Buches zunächst flott gestartet und hätten erst nach dem Überschreiten des Point-of-No-Return gemerkt, wie wenig Verwertbares sie von modernen Konflikten auffinden konnten. Auf Bilder der im Golfkrieg zusammengeschossenen irakischen LKW- und Panzerkonvois und die verbrannten Leichen wollten sie offensichtlich verzichten.

So macht die Publikation einen unfertigen Eindruck, selbst wenn die rein amerikanische Perspektive des Buches berücksichtigt wird. Aber vielleicht ist gerade dem Unfertigen zu verdanken, dass die Rückseite des Einbands von einem seltsamen, fast schon absurden Foto aus dem Golfkrieg geziert wird. Ein Soldat trägt ein sauberes Sternenbanner, er marschiert voran, weg vom Betrachter. Er ist ganz allein. Da ist auch kein Feind zu sehen, dem er fest entschlossen entgegentritt, oder die Überreste der Besiegten, die er triumphierend abschreitet. Er marschiert einfach ohne erkennbares Ziel in die Wüste, mit Gewehr und Fahne, wohin auch immer.

Pressefotografen arbeiten inzwischen überwiegend digital, mit dem Internet steht ein neues, potenziell bildhungriges Medium zur Verfügung, das sie in Realtime beliefern können. Ihre Bilder können praktisch so schnell veröffentlicht werden, wie die des Fernsehens. Das könnte eine Renaissance der Kriegsberichterstattung bewirken. Nicht nur die Zensur staatlicher Autoritäten steht dem entgegen. Die Wirklichkeit sei viel schrecklicher, als sie uns von der Presse gezeigt würde, hob Steinberg auf dem DGPh-Symposium hervor. Es gäbe sie auch heute noch, die unabhängig arbeitenden Fotografen, aber ihre Bilder würden meist nicht gezeigt. Die deutsche Presse sei seiner Ansicht nach wohl weitgehend der Meinung, ihren Lesern vieles nicht zumuten zu dürfen, sie sei deshalb anfällig für Selbstzensur.

So sensibilisiert der Blick in ein mittelmäßiges Buch aus renommiertem amerikanischen Hause dafür, dass momentan in der Publizistik generell etwas schiefläuft.