Längster Streik Europas erfolgreich beendet
Nach 1.345 Tagen haben die Novaltia-Beschäftigten im Baskenland Lohnerhöhungen bis zu 34 Prozent erkämpft und sie werden mit 9.500 Euro entschädigt.
Es ist geschafft. Der längste Streik Europas ist nun Geschichte. Das hat Betriebsratsmitglied der kämpferischen baskischen Gewerkschaft ELA gegenüber Telepolis bestätigt.
Vor beinahe zwei Jahren, im August 2021, hatten wir an dieser Stelle Interview mit Ibai Carranza veröffentlicht. Damals hatte die Novaltia-Belegschaft im Baskenland bereist zwei Jahre lang "für einen würdigen Tarifvertrag gestreikt". Jetzt wurde der Arbeitskampf beendet.
"Endlich", zeigt sich Carranza gegenüber Telepolis jetzt erleichtert. Er berichtet, dass die Beschäftigten der Pharma-Logistikfirma Novaltia im baskischen Bilbao sehr zufrieden mit dem Ergebnis sind. Den Erfolg haben sie an 1.345 Tagen, in drei Jahre und acht Monaten, erkämpft.
"Wir haben eine Entscheidung getroffen: Wir wollten der prekären Beschäftigung ein Ende setzen"", lautete das hochgesteckte Ziel der Streikführerin Helka Fernández.
"Niemand hatte aber einen so langen Streik erwartet und gewollt, doch das Ergebnis zeigt, dass das Unmögliche doch möglich ist", erklärt Lagerchef Carranza. Es sei darum gegangen, ein "zufriedenstellendes" Ergebnis zu erreichen. Sehr hart gewesen sei es vor allem in den letzten Monaten gewesen: "da wir nicht wussten, ob es eine Lösung geben würde oder wie lange wir noch in dieser Situation sein würden".
Man habe ein "gutes Ergebnis" erkämpft, sind sich Carranza, Fernández und die baskische Gewerkschaft ELA einig.
Zwar habe die Belegschaft den Streik längst einstellen wollen, aber es musste ein gutes Ergebnis herauskommen. "Um jeden Preis wollten wir ihn nicht beenden", fügt der Betriebsrat an. Und das Resultat kann sich wahrlich sehen lassen. Auch das zentrale Ziel wurde erreicht, wieder einen eigenen und würdigen Tarifvertrag zu erkämpfen.
Novaltia hatte den Basken einseitig den schlechten spanischen Tarifvertrag nach der Übernahme durch Aragofar aus Aragon aufgezwungen. Das war über eine Arbeitsmarktreform der rechten Vorgängerregierung möglich geworden. Die wollte die sozialdemokratische Regierung eigentlich komplett streichen, doch sie wurde stattdessen zu 95 Prozent von der selbsternannten "fortschrittlichsten Regierung" konsolidiert.
Schon deshalb war der lange Arbeitskampf nötig, in dem auch Lohnerhöhungen von fast 34 Prozent für untere Lohngruppen erkämpft wurden. Besser bezahlte Beschäftige wie Carranza erhalten immerhin noch einen Aufschlag von fast 27 Prozent.
Fernández, die im Lager des Zusammenschlusses von Apotheken arbeitet, die als Rechtsform als "Kooperative" firmiert, musste zuvor im teuren Bilbao mit knapp 1000 Euro überleben. "An Kinder brauchte ich nicht einmal zu denken." Und für das kleine Geld sollte sie "sogar noch am Wochenende antreten, zudem ohne Zuschläge".
Dass die Firma die Schrauben immer weiter angezogen habe, brachte das Fass zum Überlaufen, begründet die 31-Jährige, warum sie mit der Hälfte der 45-köpfigen Belegschaft in Bilbao 2019 in den Streik trat. Ihre Lage hat sich jetzt sehr deutlich verbessert. Die Lagerarbeiterin erhält nun ein Jahresgehalt von 22.500 Euro, 1.607 Euro in 14 Gehältern. Das Ziel von 24.000 Euro Jahresgehalt wurde knapp verfehlt.
Versüßt wird der Abschluss zudem durch eine Entschädigung der Firma in Höhe von fast 9.500 Euro, die Novaltia jedem Streikenden zahlen muss. Die können mit dem Geld nun in den wohlverdienten Urlaub gehen, den sie sich jahrelang nicht leisten konnten. 60 Urlaubstage stünden allein aus den vergangenen zwei Jahren jedem zu, erklärt der 37-jährige Carranza.
Man habe sich mit der Firma geeinigt, den alten Urlaubsanspruch sofort zu gewähren. Novaltia hat sich gegenüber dem Streik-Komitee und ELA auch verpflichtet, keine Repressalien gegen die Streikenden zu ergreifen, wie Versetzungen, Herabstufungen oder Kündigungen. Letztere sind weiter einfach und mit niedrigen Abfindungen möglich, da auch daran durch die Reform der Arbeitsmarktreform nicht gerüttelt wurde.
Wichtig war auch die Geste, dass Novaltia für jeden Streiktag einen symbolischen Euro an die Streikkasse der Gewerkschaft zahlen muss. Ohne diese "Widerstandskasse" von ELA und deren Unterstützung wäre dieser Kampf unmöglich geworden, sind sich die Beschäftigten einig. Immer wieder wurde Novaltia zum Beispiel auch zu Geldstrafen bis zu 120.000 Euro verurteilt, weil das Streikrecht über Streikbrecher ausgehebelt wurde.
Streikkassen sind in Spanien bei den großen Gewerkschaften CCOO und UGT unbekannt. Zudem sind sie von Subventionen des Staats abhängig. Über eine Widerstandskasse verfügt hier aber auch die kleinere baskische Gewerkschaft LAB.
Statt auf Sozialpakte, weswegen CCOO und UGT sogar die Arbeitsmarktreform und die Rente mit 67 abgenickt hatten, vertrauen die Basken lieber auf ihre Beschäftigten. Nun setzt vor allem ELA, 1911 von Christdemokraten gegründet, auf soziale Konflikte und scheut keinen Kampf im Betrieb oder in sozialen Fragen, wie auch der "verschwiegene Generalstreik" für würdige Renten gezeigt hat.
Die Kampfkraft der Beschäftigten sei die einzige Garantie, "um die Unternehmen zu wirklichen Verhandlungen zu zwingen", erklärt der ELA-Chef Mitxel Lakuntza. "Man kann nie vorhersagen, wie lange ein Streik dauert, deshalb ist die Aufgabe der Gewerkschaft, vorbereitet zu sein, um durchhalten zu können."
Durchgehalten hatte ELA Beschäftigte auch einen Streik über mehr als zwei Jahre beim deutschen Schleifmittelhersteller Pferd-Rüggeberg. Willkürliche Kündigungen von zwei schwangeren Frauen wurden rückgängig bestreikt. Mut gemacht hatten den Novaltia-Beschäftigten auch Streiks anderer Belegschaften.
Reinigungskräfte im Guggenheim-Museum von Bilbao hatten fast ein Jahr erfolgreich gestreikt. Nach fast zwei Jahren hatte kürzlich auch die Beschäftigten von Zuloaga Vulcanizados einen Haustarifvertrag mit ELA erkämpft und damit eine "unersättlichen Unternehmerschaft" in die Schranken gewiesen.
Ob der Novaltia-Streik der längste Ausstand in Europa war, wurde zum Teil in Frage gestellt. Zum Teil wurde die Besetzung der Teefirma Fralib in Frankreich über 1336 Tage als der längste Streik gehandelt. Unilever wollte den gesunden Betrieb 2010 schließen, der schon 1892 als "Le the de l’elephant‘ gegründet worden war.
Doch auch diese Firma hatte die Rechnung ohne die kämpferischen Beschäftigten gemacht. Nach einer Besetzung über 1336 Tage wurde der Betrieb von den Beschäftigten übernommen und der Tee wird nun unter dem Namen "1336" vertrieben.