Lässt sich Salvinis Griff nach der totalen Macht noch stoppen?
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Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Entsolidarisierung wurden schon von den verschiedenen Renzi- und Berlusconi-Regierungen vorbereitet
Noch ist nicht klar, ob in Italien die Pläne des rechten Innenministers Salvini so schnell aufgehen werden. Er strebt rasche Neuwahlen an und hofft dann auf eine so große parlamentarische Mehrheit, dass er entweder allein regieren kann oder in einem Block mit weiteren "postfaschistischen" Parteien die erste Geige spielen kann. Eigentlich hatte er diese Rolle die letzten Monate schon eingenommen.
Der Innenminister bestimmte die Agenda der italienischen Politik. Er gab mit seiner Linie, die italienischen Häfen für Migranten zu schließen, die Richtlinien vor und degradierte den wahlarithmetisch stärkeren Koalitionspartner, die kleinbürgerliche Fünf-Sterne-Bewegung, zum Juniorpartner.
Nun könnte es allerdings sein, dass sich eine "Negativkoalition" findet, die den schnellen Griff Salvinis nach der Macht erst einmal bremsen will. Rein rechnerisch könnten die Fünf-Sterne mit den Rechtssozialdemokraten und kleinen Mitteparteien zusammengehen, eine Parlamentsreform und einen EU-konformen Haushalt beschließen und so die Lega erst einmal von der Macht verdrängen.
Darauf hoffen schon einige als Bremse für einen weiteren Rechtsruck. Doch ein solches Szenario hat seine Tücken. Zunächst ist gar nicht gesichert, ob es dafür eine Mehrheit gibt.
Renzi, der Liebling der Märkte, hofft auf ein Comeback
So ist es kein Zufall, dass bei den Sozialdemokraten der abgehalfterte Technokrat Renzi wieder an Einfluss gewinnen will. Renzi galt als Hoffnungsträger der Märkte; jung, technokratisch, proeuropäisch und marktradikal hatte er sich zum Ziel gesetzt, das, was von der einst starken italienischen Linken noch übrig war, zu verschrotten.
Doch der Liebling der Märkte stellte sich taktisch wenig geschickt an und verlor ein von ihm gefördertes Referendum und verschiedene Wahlen. Er hat mit seiner Politik so auch mit zum Aufstieg der Lega und Salvinis beigetragen. Mittlerweile gibt es bei den Sozialdemokraten erbitterte Renzi-Gegner, die zumindest links blinken wollen, bevor sie dann eine kapitalfreundliche Politik machen. Selbst wenn die Negativkoalition zustande käme, könnte sie mit ihrer Politik die Lega weiter stärken, wenn sie tatsächlich mit ihrer EU-konformen Politik weitere Sparmaßnahmen beschließt.
Wenn sie gar eine migrationsfreundlichere Politik umsetzen will, sind die rechten Kampagnen schon absehbar und Salvini würde sich als derjenige inszenieren, der die italienischen Häfen vor den Geflüchteten verteidigt.
Das Erbe des Berlusconismus
Denn mit seiner Politik der Entsolidarisierung nach innen und außen bekommt Salvini Zustimmung in Teilen der Bevölkerung. Dabei gelang es ihm, mit der Stilisierung der Flüchtlinge als Gefahr von außen die kapitalfreundliche Politik der Lega zu bemänteln. Das zeigte sich auch bei einer Abstimmung, die der offizielle Grund für die aktuelle Regierungskrise ist.
Gemeinsam mit den meisten Oppositionsparteien stimmte die Lega für den Bau einer Schnellzugtrasse zwischen Turin und Lyon und bekam dafür eine Mehrheit. Diese Parteien lagen ganz auf EU-Linie, die auf den Bau der Schnellbahn drängt und Vertragsstrafen androhte, wenn es eine Mehrheit dagegen gibt. Nun ist der Widerstand gegen den Bau vor allem aus ökologischen Gründen stark und die Fünf-Sterne-Bewegung war jahrelang ein wichtiger Teil davon.
Deshalb erlaubte sie es sich, gegen den Bau zu stimmen. Es war von Anfang an klar, dass das Projekt mit Hilfe von Lega und Oppositionsparteien eine Mehrheit bekommen würde und so hätte die bisherige Regierungskoalition weiter arbeiten können. Doch Salvini nutzte das Stimmverhalten der Fünf Sterne-Bewegung, um die Koalition aufzukündigen. Es war natürlich nur eine gute Gelegenheit, die guten Umfragewerte der Lega auszunutzen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Entsolidarisierung wurden schon von Renzi, aber auch von den verschiedenen Berlusconi-Regierungen vorbereitet. Der Großkapitalist band die vorher isolierten "Postfaschisten" und die rechte Regionalpartei Lega Nord in seine Regierung ein. Er förderte einen hemmungslosen kapitalistischen Individualismus. Jeder sollte sich selbst der Nächste sein, Gesellschaft gab es gar nicht und die Interessenvertretung der Lohnabhängigen durch Gewerkschaften schien überflüssig.
Damit gelang es dem Berlusconismus an der Macht, eine vor 20 Jahren noch starke außerparlamentarische Linke, die ihren Zenit bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua überschritt, immer mehr aus dem politischen Leben Italiens zu verdrängen. Die staatliche Repression war dabei ein wichtiger Bestandteil des Kampfes gegen die Linke.
Kürzlich wurde mit Vincenzo Vecchi, ein zu einer hohen Haftstrafe wegen Beteiligung an militanten Aktionen in Genua verurteilter linker Aktivist, in Frankreich nach 18 Jahren verhaftet. Er soll an Italien ausgeliefert werden. Keiner von den Polizisten, die Demonstranten misshandelt haben, sitzt noch in Haft, viele haben weiter Karriere gemacht.
Die Linie der Repression wird fortgesetzt, aber sie erregt, anders als 2001, wenig Aufmerksamkeit. Kürzlich wurde mit einem polizeilichen Großaufgebot ein in der Bevölkerung verankertes soziales Zentrum in Bologna geräumt. Zudem hat Salvini mit dem neuen Sicherheitsgesetz nicht nur die Strafen für Seenotretter erhöht, auch zivilgesellschaftliche Proteste und Streiks können so kriminalisiert werden.
Große Teile der Gesellschaft wählten mit Berlusconi einen schwerreichen Kapitalisten, der an der Regierung seine vielen Probleme per Gesetz regelte. Und prompt hofften die kleinen Besitzer einer Gartenlaube, dass auch ihr ohne Genehmigung gebautes Haus legalisiert wird.
An die Stelle kämpferischer Interessenvertretung trat eine Politik des Kungelns mit den Mächtigen. So wurde eine solidarische Gesellschaft nach innen und außen immer schwerer. Salvini profitiert davon, wie es der italienische Journalist Fabio Ghelli in einem Beitrag für die Taz treffend beschreibt.
Italiens Innenminister Salvini ist nur deshalb so erfolgreich, weil seine rassistische Politik auf sehr fruchtbaren Boden fällt. Berlusconi sei Dank.
Fabio Ghelli, Taz