Lässt sich Salvinis Griff nach der totalen Macht noch stoppen?
Seite 2: Riace oder wie ein emanzipatorisches Modellprojekt in Ungnade fällt
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Wie wenig es den nichtrechten Kräften in Italien gelingt, eigene Projekte auch inhaltlich vor einer auftrumpfenden Rechten zu verteidigen, zeigt die Diskussion um das süditalienische Dorf Riace, das einen Bürgermeister hatte, der mit der Ansiedlung von Migranten Strukturförderung in einem Gebiet zu machen vorgab, aus dem immer mehr Menschen weggezogen sind.
Doch aus dem viel gelobten Wunder von Riace wurde ein Modell auf der Kippe und nun gar der "Fall Riace". Ausgerechnet in der migrationsfreundlichen Taz war eine Reportage über das Dorf in Kalabrien zu lesen, das eigentlich die rechten Argumente bestätigt.
Aber irgendetwas hat nicht funktioniert in Riace. Insgesamt sind 6.000 Migranten durch den Ort gekommen, für 300 von ihnen gab es offiziell finanzielle Unterstützung. Aber zeitweise müssen es doppelt so viele Geflüchtete gewesen sein, je nach Schiffen, Kriegen, Hungersnöten. Um das zu managen, erhielt Riace knapp 3 Millionen Euro, verteilt auf sieben Hilfsorganisationen. Doch die haben kaum oder gar nicht Rechenschaft über ihre Ausgaben abgelegt. (…)
"In letzter Zeit", gibt er (Bahram Acar, ein früherer Flüchtling, Anm. d. Red) zu, "war Riace bloß noch ein Parkplatz. Die Migranten bekamen alles bezahlt, sogar die Zigaretten. Also hingen sie den ganzen Tag rum", sagt er. "Aber auch die Vereine. Statt qualifizierter Sozialarbeiter stellten sie Verwandte und Freunde ein. Es kamen zehn Sozialarbeiter auf zehn Migranten. Das ergab keinen Sinn mehr", sagt er.
Franceso Borri, Taz
Riace sei führend gewesen im Kampf um Wasser als kostenfreies Allgemeingut, heißt es im Taz-Bericht weiter. Aber weil die Kommune Zahlungsrückstände von 850.000 Euro habe, wurde schließlich der Wasserdruck reduziert. "Auch die Linke", so zitiert Autor Franceso Borri den neuen Bürgermeister, sei "mit schuld an der Situation". Ohne eigenes Führungspersonal habe sie seinen Vorgänger Mimmo Lucano in ein Symbol verwandelt. "Und dem Ort mehr abverlangt, als Riace realistischerweise geben konnte."
Mimmo Lucano war der Bürgermeister von Riace, der nicht nur mit seiner flüchtlingsfreundlichen Politik, sondern auch mit seinem Kampf für ein Recht auf Wasser und Gesundheit zu einem Vorbild auch über Italien hinaus wurde. Er hatte sich eben nicht nur auf die Unterstützung von Migranten beschränkt, sondern auch eine Sozialpolitik im Interesse der Einheimischen mit wenig Geld gemacht. Dafür wurde er von der italienischen Rechtsregierung immer mehr kriminalisiert und unter Druck gesetzt. In dem in der Taz abgedruckten Abgesang auf das Dorf drückt sich auch eine politische Entwicklung nach rechts aus.
So wird gar nicht mehr kritisch hinterfragt, dass der Bürgermeister und andere Verantwortliche im Dorf ständig überwacht und ihre Reden und ihr Schriftverkehr mitgeschnitten wurden. Daraus wurden Ausschnitte herangezogen, um einen Betrugsverdacht zu konstruieren, der dann auch in linksliberalen Kreisen ungefragt übernommen wird.
Dass Mimmo Lucano sich dafür einsetzte, dass Wasser ein Grundrecht und keine Ware ist, wurde allgemein gelobt. Dass er es ernst meinte und keine Rechnungen für Wasser bezahlte, wird dann von den gleichen linksliberalen Kreisen verurteilt, die Lucano erst hoch gelobt haben. Dabei wäre doch Solidarität mit denen angesagt, die Wasser eben auch nicht als Ware behandeln und das nicht nur fordern.
Doch dafür bräuchte es eine Linke, die die kapitalistische Verwertungsbedingungen bekämpft und auch Konfrontationen nicht scheut. Da es aber den meisten, die Riace zum Modell hochstilisierten, eben um eine solche Konfrontation nicht gegangen ist, knicken sie ein und beteiligen sich jetzt an der Delegitimierung eines Modells, das sie früher bejubelten.
Dabei wird oft mit Romantisierung gearbeitet und nicht erkannt, dass ein solches Dorf im Kapitalismus lebt, dass es auf Geld und Alimentation angewiesen ist, was im Keim schon die Probleme in sich trägt, die in dem Artikel benannt wurden und die sicher auch bestanden haben. Am Ende ging es vielen dann nur um Geld und Posten.
So kann das Hochjubeln und der Fall des kleinen Dorfes Riace auch das Symbol für eine Linke gesehen werden, die Projekte erst romantisiert und sich zurückzieht, sobald es Gegenwind gibt. Kein Wunder, dass es dieser Linken aktuell nicht gelingt, die Massen zu überzeugen. Das ist das Erfolgsgeheimnis von Berlusconi gewesen und das bringt jetzt Salvini die Stimmen ein.
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