Lange Haftjahre gegen Meinungsfreiheit in Spanien
Spanische Gerichte verurteilen die Rapper Pablo Hasel und Valtonyc zu Haftstrafen, weil sie sich kritisch zu Vorgängen im spanischen Staat äußern
Dass Spanien unter der Volkspartei (PP) immer repressiver wird, ist seit Jahren klar. Das autokratische Vorgehen zeigt nicht nur in Katalonien Wirkung, auch wenn es am Freitag mit Pablo Hasel einen Rapper aus dem katalanischen Lleida getroffen hat. Der spanische Sondergerichtshof "Audiencia Nacional" (Nationaler Gerichtshof) hat den jungen Mann erneut zu zwei Jahren und einen Tag Haft verurteilt.
Der eine Tag ist wichtig, weil damit eine Aussetzung zur Bewährung unmöglich ist. Angeblich soll er mit seinen Songs und über Twitter-Nachrichten "Terrorismus verherrlicht" und " und "Monarchie und Sicherheitskräfte des Staates verunglimpft" haben. Angeführt wird im Urteil auch, er sei "Wiederholungstäter", dem zudem eine Geldstrafe von 24.300 Euro auferlegt wurde. Seine Kritik an der vom Diktator restaurierten Monarchie, der König wurde von Franco als Nachfolger ernannt, ist besonders heftig.
Da er bereits 2014 verurteilt wurde und dieses Urteil vom Obersten Gerichtshof schon bestätigt wurde, könnte er inhaftiert werden. Aber er will nicht auf die Knie fallen. Fast fünf Jahre kämen nun für "Lieder gegen das Regime" zusammen, twitterte er nach dem Urteil. "Ich werde fünf Jahre Gefangener wegen meiner Meinung sein, doch niemals kapitulieren. Niemals, ihr Scheißfaschisten", schreibt er in seiner gewohnt drastischen Sprache. Er fügt an, dass einer der Richter, der ihn verurteilt hat, ein Mitglied der faschistischen Falange war. Ein Bild darüber, wofür er verurteilt wurde, kann man sich in der Zeitung Público machen, die alle inkriminierten Texte erneut veröffentlicht hat.
Die angesprochene Falange war zentrale Stütze der Franco-Diktatur und ist in Spanien nie verboten worden. Die Faschisten blieben per Amnestie straffrei und konnten wie der ehemalige Franco-Minister Manuel Fraga Iribarne neue Parteien gründen. Der Gründer der PP, Ehrenmitglied der Partei bis zu seinem Tod, ist aber nicht nur für die Verbrechen in der Diktatur bekannt. Vielen klingt noch schmerzlich sein Befehl vom 3. März 1976 in den Ohren. "Es muss euch egal sein, ob ihr tötet", wies er Sicherheitskräfte zum Sturm auf eine Kirche im baskischen Gasteiz (Vitoria) an, in der streikende Arbeiter versammelt waren. Fünf Arbeiter wurden getötet und mehr als 100 verletzt, als auch mit Maschinenpistolen in die Menge geschossen wurde. Bisher wurde niemand zur Verantwortung gezogen.
Doch zum Glück sahen es nicht alle Richter so, dass er die "Notwendigkeit" propagiere, "über den Einsatz von Gewalt hinauszugehen und auch terroristische Mittel einzusetzen". Die Richterin Manuela Fernández de Prado widersprach in einem abweichenden Urteil ihren beiden Kollegen und meint, die Lieder und Tweets seien von der "Meinungsfreiheit" gedeckt und stellten keine Hassreden dar. Die Grenzen dessen, was tolerierbar sei, müssten notwendigerweise flexibel sein. Ein Künstler schlüpfe in eine Rolle: "Die Provokation, Zweideutigkeit und ätzende Kritik" müssen darin als "Fiktion" möglich sein.
Für viele Juristen ist das Urteil schon deshalb absurd, da die Organisationen, für die er angeblich geworben habe, längst nicht mehr bestehen. Die kommunistische Grapo existiert seit vielen Jahren nicht mehr und die ETA hat den Kampf definitiv vor fast sieben Jahren eingestellt und ist längst vollständig entwaffnet.
Verherrlichung des Terrorismus und Beleidigung des Königs
Allein steht das Urteil gegen Hasel aber nicht. Die Richter am Sondergericht bezogen sich bei ihrem Urteil ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Der hat gerade am vergangenen Dienstag das Urteil der Audiencia Nacional gegen Josep Miquel Arenas bestätigt. Der Sondergerichtshof hatte "Valtonyc", wie sein Künstlername ist, sogar zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Auch der junge Mann aus Mallorca soll Terrorismus verherrlicht und den König beleidigt haben. Nachlesen kann man auch diese Äußerungen, die nun in Spanien mit langen Haftstrafen belegt werden hier.
Etwas zu auffällig, angesichts eines möglichen Gangs vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, war in diesen Tagen dem Obersten Gerichtshof aber offensichtlich die Verurteilung von Vera Cassandra. Die junge Frau war für Tweets vom Madrider Sondergericht zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden, doch das Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof am Freitag kassiert und sie freigesprochen. Sie hatte Witze über Carrero Blanco gemacht. Den hatte Franco als Nachfolger zur Perpetuierung der Diktatur vorgesehen. Der neu ernannte Regierungschef wurde Ende 1973 von der ETA ermordet, bevor er seinen neuen Job als Nachfolger von Franco an der Spitze der Diktatur antreten konnte. Das hat dazu beigetragen hat, dass die Diktatur schließlich beendet wurde.
Cassandra selbst war über den Freispruch erstaunt. Sie meint, dass diesen Leidensweg niemand durchmachen müssen sollte. Mit Blick auf die Verurteilungen von Valtonyc und Hasel erklärte sie am Freitag: "Wir kämpfen weiter für die Meinungsfreiheit für alle."
Auch Richter am Obersten Gerichtshof halten es für "Unsinn", dass Hasel, Valtonyc und andere verurteilt werden. Ohne genannt werden zu wollen, hofft der Richter, dass die Gesetze, die diese Urteile ermöglichen, alsbald geschleift werden. Es könne keine Verherrlichung des Terrorismus geben, wenn es kein Risiko für terroristische Akte gäbe, erklärte er mit Blick auf ETA und Grapo.
Dieser Richter sieht die Demokratie eher über solche Gesetze in Gefahr. Der Sprecher der Richtervereinigung "Richter für die Demokratie" sieht das ähnlich. Ignacio González Vega meint, auch "völlig inakzeptable Äußerungen" könnten keine Haftstrafen rechtfertigen. Meinungs- und Kunstfreiheit gebe es gerade für Aussagen, die einem nicht gefallen oder sogar beleidigen.
Auch im bürgerlichen Lager macht man sich zusehends, schon vor diesen Urteilen, Sorgen um die Meinungs- und Kunstfreiheit in Spanien. So hatte schon vor den Urteilen die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) kritisiert, dass bereits die Kunstmesse Arco zensiert wurde, weil in einem Beitrag von "politischen Gefangenen" in Spanien gesprochen wurde. Das Werk des 51-jährigen Künstlers Santiago Sierra hatte 24 Menschen auf Schwarz-Weiß-Fotografien mit verpixelten Gesichtern gezeigt, zu denen die katalanischen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung Oriol Junqueras, Jordi Sánchez und Jordi Cuixart genauso gehörten, wie der Baske Arnaldo Otegi. Der saß sechs Jahre als angebliches ETA-Mitglied im Knast, dabei hatte er alles dafür aus der Zivilgesellschaft getan, um die bewaffnete Organisation zum Gewaltverzicht zu bringen, um sie abwickeln zu können. Otegi durfte sich auch nach seiner Freilassung nicht einmal als Kandidat aufstellen lassen.
"Die abgehängten Bilder stehen nun symbolisch für das autoritäre Vorgehen spanischer Institutionen", schrieb die NZZ. Auch sie erinnert an die "brutalen Szenen vom 1. Oktober" beim Referendum in Katalonien, als Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy versuchte, "die Katalanen mit roher Gewalt von der Abstimmung über die Unabhängigkeit abzuhalten". Auch sie verweist auf die Justiz, die "in den letzten Wochen und Monaten alles andere als zimperlich" sei und darauf bestanden habe, "dass alle prominenten Unabhängigkeitsbefürworter Abbitte für ihre Ideen leisteten", um "gegen Zahlung hoher Kautionen" freizukommen. Und auch NZZ weist darauf hin, dass inzwischen sogar Puppenspieler, Twitterer und Rapper inhaftiert oder verurteilt werden. Hintergründe dafür sind die von der PP verabschiedeten Strafverschärfungen und Knebelgesetze, die sogar den Terrorismusbegriff auch nach Ansicht von UNO-Experten weit über alle Grenzen hinaus ausgeweitet haben.