Langsames Ertrinken
Um die Ecke gedacht: Warum ein Justizminister nicht weiß, ob "Waterboarding" Folter ist
Ein Mensch – an Händen und Füßen fixiert, unfähig sich zu wehren. Den Kopf mit Stoff umwickelt. Der Mensch hat größte Mühe zu atmen, muss sich anstrengen um genügend Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Plötzlich ergießt sich Wasser über den Stoff, der den Kopf des Menschen umschlingt. Es gerät in die Luftröhre, in die Lungen; der Mensch hustet und versucht erneut zu atmen, nur um noch mehr Wasser in die Lunge zu bekommen. Er droht zu ersticken; Todesangst erfasst ihn.
So oder so ähnlich spielt es sich ab, wenn ein Mensch der Wasserfolter ausgesetzt wird.Die Techniken und verschiedenen Varianten der „Wasserfolter“ sind Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende alt. Von der spanischen Inquisition über das Zeitalter des Kolonialismus bis hin zum Schreckensregime der roten Khmer wurden Menschen nachweislich mit Wasser gequält.
Die möglichen „Risiken und Nebenwirkungen“ dieser Technik sind vielfältig: obschon Wasserfolter angewendet werden kann, ohne bleibende physische Schäden zu hinterlassen, ist die Gefahr von Lungenschäden, Hirnschäden und gebrochenen Knochen (aufgrund des von Todesangst getriebenen Versuches, der Fixierung zu entkommen) sehr groß.
Der Ausdruck "Folter" [bezeichnet] jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen […]. (UNO - Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984)
Doch handelt es sich bei der „Wasserfolter“ überhaupt um Folter? Vor etwa sechzig Jahren lautete die Antwort der amerikanischen Justiz darauf selbstverständlich „ja“. Yukio Asano, ein Offizier der kaiserlich-japanischen Streitkräfte, hatte einen gefangenen amerikanischen Zivilisten während des zweiten Weltkrieges auf ähnliche Art (gefesselt an eine Trage und kopfüber) misshandelt. Dafür wurde er 1947 zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt, u.a. wegen Misshandlung und Folter von Gefangenen.
Euphemismus „Waterboarding“ und rechtliche Grauzonen?
Doch inzwischen hat sich die Bezeichnung der Wasserfolter von „water torture“ (1947) hin zum Euphemismus „Waterboarding“ gewandelt. So wie der Begriff damit „entschärft“ wurde, sind anscheinend auch die Ansichten des amerikanischen Justizministeriums darob, ob eine Variante der Wasserfolter als Folter zu bezeichnen ist, wandelbar. Denn es war kein russischer oder chinesischer Staatsbediensteter, kein nordkoreanischer Apparatschik oder burmesischer General, der vor wenigen Wochen nicht wusste, ob „Waterboarding“ nach den Gesetzen seines Landes illegal ist. Es war der neue US-Justizminister Michael Mukasey.
Wortwörtlich erklärte der 66-jährige Jurist bei den Senats-Anhörungen zu seiner Berufung als Justizminister, dass ihn die Technik des „simulierten“ Ertrinkens persönlich „abstoße“, er aber nicht wisse, ob besagte Techniken laut amerikanischem Recht illegal seien. Abgesehen davon, dass beim „Waterboarding“ das Ertrinken bzw. Ersticken nicht simuliert, sondern lediglich verlangsamt durchgeführt wird, stellt sich folgende Frage: Was nun ist der Grund, dass der oberste Jurist der Nation eine solche Frage nicht beantworten kann?
Im United States Code, einer kodifizierten Zusammenstellung amerikanischer Bundesgesetze, heißt es zur Definition von Folter unter anderem:
“Folter bedeutet eine Handlung die durch eine Person, welche im Namen des Gesetzes handelt, durchgeführt wird, mit der Intention schwere physische und psychische Schmerzen oder Leiden […] einer anderen Person zuzufügen, welche sich in ihrer Gewalt bzw. in ihrem Gewahrsam befindet.“ (USC, Title 18, Section 2340)
Versucht sich Mukasey also nur selber zu schützen, in dem er den Unwissenden mimt? Eher nicht, denn als Justizminister ist er für die Handlungen seiner Untergebenen verantwortlich – eine Verantwortung, derer er sich mit faulen Ausreden wohl kaum entziehen werden dürfte. Wahrscheinlicher scheint zu sein, dass er vielmehr amerikanische Staatsbedienstete schützen will, bis hin zu seinem Chef im Weißen Haus.
Denn das, was seit dem „Ausziehen der Samthandschuhe“ nach dem 11.09.2001 von diversen Regierungsbehörden praktiziert wird, ist nicht nur nach internationalem Recht, sondern auch nach amerikanischem Recht illegal - aber eben nur dann, wenn es denn als Folter eingestuft wird. Deshalb besteht der Trick der US-Regierung darin, die angewendeten Foltermethoden eben nicht als Folter zu bezeichnen.
Foltern für die Freiheit?
Doch was beinhalten die „innovativen Verhörmethoden“ eigentlich, deren amerikanische Bezeichnung als „Enhanced Interrogation Techniques“ – also „erweitere“, bzw. „ausgereifte Verhörtechniken“ – fatal an die „verschärften Verhörmethoden“ der Gestapo erinnern? Welche Methoden werden von der amerikanischen Regierung ganz bewusst versucht zu legalisieren, um sie gegen „feindliche Kämpfer“, denen mit dem „Military Commissions Act 2006“ ihr Recht auf Richtervorführung und Haftprüfungsantrag (Habeas Corpus) genommen wurde, einzusetzen?
Laut New York Times wurde „in zwei voneinander unabhängigen Rechtsgutachten aus dem Jahr 2005, [die CIA durch] das US-Justizministerium dazu [autorisiert], Terrorverdächtige mit einer Kombination schmerzhafter körperlicher und psychologischer Taktiken, einschließlich Schläge an den Kopf, ‚simuliertes’ Ertrinken und niedrigen Temperaturen zu ‚bombardieren’.“ Weitere Techniken wurden u.a. in einem Report des Senders ABC beschrieben.
Die Methoden der CIA, die Menschen brechen sollen, weisen ein seit Gründung der Agency wiederkehrendes Muster auf: Schon im „KUBARK-Counterintelligence-Interrogation Manual“ von 1963 und im „Human Resource Exploitation Manual“ von 1983 (welches u.a. an der berüchtigten „School of the Americas“ verbreitet wurde), sind nach amerikanischem und internationalem Recht illegale und unmoralische Techniken und Methoden aufgeführt. Vertreter der Regierung waren über diese illegalen Praktiken informiert – geändert hat sich nichts.
Für die Perfektionierung der CIA-Foltertechniken nutzte man anscheinend alle vorhandenen „Lernmöglichkeiten“. Die Techniken der „verschärften Vernehmung“, wie sie von der Gestapo praktiziert wurde (auch als „dritter Grad“ bekannt), zielten in erster Linien darauf ab, um jeden Preis an Informationen zu kommen, dabei aber möglichst keine äußerlichen Verletzungen zu erzeugen. Unterkühlung, Unterbindung der Sinneswahrnehmungen und stunden- oder tagelanges Stehen in schmerzhaften Positionen waren nur einige dieser Methoden, die von der CIA und ihrem Vorgängerdienst OSS studiert wurden.
Eine Gerichtsverhandlung in Norwegen, drei Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, beschreibt Fälle vorsätzlicher Unterkühlung Gefangener durch deutsche Gestapo-Angehörige – und zwar identisch zu diesbezüglichen Berichten aus dem Lager Guantánamo. Dieses Beispiel soll nicht als Gleichstellung der politischen Systeme der Vereinigten Staaten und des dritten Reiches verstanden werden, sondern als Aufforderung zum Nachdenken. Darf ein demokratischer Rechtsstaat Methoden anwenden, die von totalitären Diktaturen eingesetzt werden?
Systematische Folter
Neben vielen offenen Fragen scheint klar, dass die Regierung der Vereinigten Staaten systematisch foltern lässt – und dies auch noch nach den diesbezüglichen Skandalen des Jahres 2004 und den anschließenden Untersuchungen. Als Beleg dafür dienen zwei Rechtsgutachten des Justizministeriums aus dem Jahr 2005, in denen der Einsatz diverser Folter- und Misshandlungstechniken durch die CIA autorisiert wurde – und zwar nachdem dasselbe Ministerium wenige Monate zuvor Folter für „abscheulich“ erklärt hatte.
Folter kann niemals ein Instrument zur Bekämpfung des Terrors sein, denn Folter ist selbst ein Instrument des Terrors. (Kofi Annan, UNO-Generalsekretär 1997-2006, am 10.12.2005)
Unklar ist, in welchem Umfang gefoltert wird; unklar ist auch, was mit den Gefolterten in allen einzelnen Fällen anschließend geschieht. Berichte über dutzende Tote im afghanischen US-Gewahrsam hingegen, oder die, mehr als 200 Bilder der Salon-Dokumentation "The Abu Ghraib Files" lassen zumindest erahnen, was in den „black sites“ der CIA und in den Gefängnissen des Militärs vor sich ging – und zumindest in ersteren wohl auch noch geht.
Aufgrund der öffentlichen Kontroversen, welche die Enthüllung des Abu-Ghraib-Skandals durch Seymour Hersh und die für alle Welt sichtbare Etablierung des extra-legalen Internierungslagers Guantánamo auslöste, kam es im Zuge der Abu-Ghraib-Untersuchung zum Verbot von Zwangs- und Erniedrigungsmaßnahmen durch Angehörige der amerikanischen Streitkräfte. Dazu trug auch die Haltung der Bundespolizei FBI bei, die sich mehrere Male gegen die Verhörmethoden des Militärs und „anderer Regierungsbehörden“ aussprach.
Letztendlich wurden aber lediglich einige Soldaten und Offiziere zu Haftstrafen verurteilt. Bauernopfer, mehr nicht – schließlich spricht vieles dafür, dass eben nicht „nur“ Exzesse einzelner Soldaten stattfanden und US-Geheimdienste, von der CIA über die Militärgeheimdienste, die Soldaten anleiteten.
Die Folter- und Verhörtechniken, die in Abu Ghraib, Guantánamo oder Bagram in Afghanistan angewendet wurden – und höchstwahrscheinlich werden – beruhten auf den Konzepten der CIA. Mehr noch: CIA-Angestellte waren aktiv an schwersten Misshandlungen mit Todesfolge beteiligt und konnten, so ein Zeuge aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis, „machen was sie wollen. Sie existieren nicht“. Dieser Freibrief beinhaltet anscheinend auch Mord und Totschlag.
Aus diesem Grund hat jüngst eine Mehrheit des US-Repräsentantenhauses mit 222-199 für ein Verbot des „Waterboarding“ auch für CIA-Angestellte beschlossen, gemäß des Folterverbotes für das US-Militär. Die Abstimmung des Senates zu diesem Vorschlag steht noch aus, allerdings hat Präsident Bush bereits sein Veto für den Fall der Ratifizierung angekündigt.
Letztendlich ist der Versuch, Folter zu unterbinden zu begrüßen – aber angesichts von Berichten, wonach einige Abgeordnete (darunter u.a. die demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi) seit Jahren über die Details der „Enhanced Interrogation Techniques“ informiert waren, scheint er längst überfällig – aber besser spät als nie.
Menschenrechte auf bundesdeutsch
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Herr Günther Nooke, bezieht bezüglich der Menschenrechtspolitik der Vereinigten Staaten den folgenden interessanten Standpunkt: zwar sprach er bezüglich des Internierungslagers Guantánamo von "nicht zu tolerierenden Vorfällen", aber gleichzeitig kritisiert er die „Fixierung der Öffentlichkeit auf das Thema“. Ähnlich der deutschen Bundeskanzlerin sieht er das wahre Problem in Diktaturen und autoritären Regimes, welche die Menschenrechte nicht beachten. Demokratische Rechtsstaaten, welche ebenfalls Menschenrechte missachten, scheint er in erster Linie als Imageproblem zu betrachten.
„395 Gefangene sind eben nur 395 Gefangene, die ungerechtfertigt ohne Prozess festgehalten werden“, so Nooke im Interview, gleichzeitig würden aber „Tausende von Menschenrechts-Verletzungen in Darfur, Sri Lanka, China, Russland, Kuba, Nordkorea und Myanmar“ begangen werden. Angesichts der Menschenrechtssituation in anderen Ländern sei „Guantánamo nicht so besonders, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Man kann nicht sagen, in Diktaturen oder autoritären Regimes gibt es 90 Prozent Menschenrechtsrabatt, während für Amerika die Einhaltung der Menschenrechte zu 110 Prozent gefordert wird.“
Natürlich wird in vielen Ländern dieser Welt gefoltert und natürlich ist dies in jedem einzelnen Fall ein barbarisches Verbrechen. Aber die Vereinigten Staaten von Amerika, die rechtstaatliche Musterdemokratie schlechthin – muss sich diese Nation mit ihrem weltweiten Führungsanspruch diesbezüglich nicht von den „Schurkenstaaten“ dieser Welt und anderen autoritären Regimes unterscheiden? Sollte es einem Menschenrechtsbeauftragten nicht zu denken geben, wenn eben jene Musterdemokratie anfängt, bestimmte Personen von rechtstaatlichen Prinzipien wie einem fairen Verfahren auszuschließen und sollte es nicht völlig selbstverständlich sein, dass an einen demokratischen Rechtsstaat höhere Maßstäbe angelegt werden, als bspw. an eine Militärdiktatur?
Anscheinend war Herrn Nooke zum Zeitpunkt des Interviews auch noch nicht bekannt, dass die CIA, laut Washington Post dafür verantwortlich ist, dass eine „unbekannte Anzahl von Häftlingen […] in geheimen Internierungslagern […] verschwunden [ist] (sic!), wie die Opfer einer beliebigen Diktatur“? Oder warum vermeinte er, lediglich Guantánamo erwähnen zu müssen? Er als Menschenrechtsbeauftragter hätte es besser wissen müssen, denn der Artikel war bereits zwei Jahre alt, als Nooke das oben zitierte Interview führte.
Vielleicht hatte er, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, auch nicht gewusst, dass die Verhör-Techniken der CIA zum Teil auch auf sowjetischen Methoden basierten.
Möglicherweise aber war ihm auch einfach entgangen, dass den meisten Zeitgenossen – außer ihm - klar war, dass zwischen der Errichtung eines symbolischen, extra-legalen schwarzen Loches wie Guantánamo und den Folter-Exzessen von Abu Ghuraib und Bagram eine Verbindung existiert? Eine Verbindung, die eine Regierung, die im Namen von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit versucht, Foltermethoden zu legalisieren, als dass entlarvt was sie laut internationalem Recht (und der eigenen Verfassung) ist: kriminell!?
Aus Fehlern gelernt?
In diesem Zusammenhang äußerte sich kürzlich ein ehemaliger Mitarbeiter der CIA, John Kiriakou. Auch hier fällt auf, wie bei dem Interview mit Günther Nooke, dass er nur auf eine ganz bestimmte und klar abgegrenzte Problematik eingeht, aber nicht zur Gesamtproblematik der US-Foltervorwürfe Stellung bezieht. Er bestätigte lediglich, dass es sich beim „Waterboarding“ um eine Art der Folter handelte, rechtfertigte gleichzeitig aber die Effektivität dieser Folter, um anschließend natürlich hinzuzufügen, dass es aus moralischen Gründen nicht vertretbar sei, zu foltern. Auch erwähnte er, es seien „nur“ drei Menschen von der CIA mittels „Waterboarding“ gefoltert worden.
Angesichts der Tatsache, dass die CIA gefangene „feindliche Kämpfer“ mit Hilfe der fragwürdigen Praxis der „Extraordinary Renditions“ dorthin bringt, wo Andere die Schmutzarbeit des Folterns für westliche Dienste erledigen, mag Kiriakous Behauptung, die CIA selbst hätte „lediglich“ drei Top-Terroristen gefoltert, durchaus plausibel klingen. Andererseits ergeben die schon erwähnten Folterfälle, auch vom Unfang her, ein anderes Bild. Möglicherweise lässt die CIA auch einfach Mitarbeiter privater Unternehmen für „heikle“ Angelegenheiten einsetzen, wie sie es schon früher getan hat. Auch die Frage, welche Rolle das US-Heimatschutzministerium in diesen Angelegenheiten spielt, ist bis jetzt nicht geklärt
Den Gegnern der Folter hat Kiriakou jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Seine Rechtfertigung der Folter („hat gute Ergebnisse gebracht und Anschläge verhindert“) ist, mangels konkreter Belege, nichts weiter als eine unbelegte Behauptung. Noch dazu erweckt das ganze Interview den Anschein, als inszeniertes Schuldbekenntnis zu dienen, um die Thematik in eine bestimmte Richtung zu bewegen und einen Schlussstrich zu ziehen; mehr noch: Wenn Kirikaou rückblickend zu erkennen glaubt, dass die Folter nach den Anschlägen des 11.09.2001 moralisch falsch, aber pragmatisch gesehen richtig und notwendig war – ja was geschieht denn dann in der nächsten Ausnahmesituation?
Wir foltern nur die Richtigen
Der amtierende US-Vizepräsident Cheney, der auch schon einmal als „Vizepräsident für Folter“ bezeichnet wurde, vertritt die Meinung, Foltermethoden wie „Waterboarding“ seien "kein Grund für Kopfschmerzen". Präsident Bush hingegen übt sich in der Kunst der Rhetorik, indem er einerseits wiederholt bestritt, dass seine Regierung foltern lasse, andererseits aber noch vor kurzem wissen ließ, „Enhanced Interrogation Techniques“ seien notwendig, da „die amerikanische Öffentlichkeit Informationen zu ihrem Schutz erwartet […]“.
Angesichts solcher Argumentationen der Regierungsspitze sind bezüglich der fragwürdigen und teils kontraproduktiven Wege, die der amerikanische Staat, vor allem seit den Anschlägen des 11.09.2001 eingeschlagen hat, alle Tabus gefallen. Einige amerikanische Präsidentschaftskandidaten machen ihre Zustimmung zum Einsatz der „Enhanced Interrogation Techniques“ zum Wahlkampfthema, allen voran der Republikaner Mitt Romney (der auch gleich fordert, Guantánamo zu verdoppeln und Rudy Giuliani – beide immerhin führend in den Umfragen zum Rennen um den Spitzenkandidaten der Republikaner. Mit den republikanischen Präsidentschaftsanwärtern John McCain und Ron Paul, sowie der Mehrheit der demokratischen Bewerber hat sich allerdings schon eine ganze Reihe von US-Politikern eindeutig von Folter distanziert.
Schließlich ist schon länger bekannt, dass erfahrene Polizisten, Geheimdienstler und Militärs - abgesehen von den moralischen Fragen - durch Folter erworbene Informationen bzw. Geständnisse für unzuverlässig und fragwürdig halten und anderen, „sanfteren“ Verhörmethoden den Vorzug geben. Die Ansichten von Fachleuten gelten aber in der Bush-Administration eben nur dann als bedenkenswert, wenn sie die „richtigen“, sprich erwünschten Antworten liefern.
Des Teufels Advokat?
Doch zurück zu Michael Mukasey, dem Karrierejurist mit Abschluss an der Yale Law School. Seine vorgebliche Unkenntnis ob der Illegalität des „Waterboarding“ schien nicht nur das Weiße Haus, sondern auch die Mehrheit der Senatoren befriedigt zu haben, denn prompt ward er Justizminister. Das mag auch daran liegen, dass die ehrenwerten Senatoren vielleicht auch selber lieber in Unkenntnis gelassen werden wollten, um ihren gesunden Schlaf nicht auf das Spiel zu setzen – abgesehen von einer tapferen Minderheit, die nicht müde wurde, zu wiederholen was der gesunde Menschenverstand gebietet. Ja, Mr. Mukasey – „Waterboarding“ ist laut amerikanischem Recht illegal, da es alle Vorraussetzungen erfüllt, als Folter bezeichnet zu werden. Und dass sie, mein Herr, darüber Unwissenheit vortäuschen, ist eine Schande.
Der Trend der Aufweichung des Folterverbotes mag, so beunruhigend und falsch wie er ist, im Einzelfall durchaus nachvollziehbar sein. Zumindest wenn man sich Situationen wie die der Entführung des Jakob von Metzler vergegenwärtigt. Die Hoffnung ein entführtes Kind noch lebend zu finden, trieb den Frankfurter Vize-Polizeichef Daschner damals dazu, dem festgenommenen Tatverdächtigen mit Folter drohen zu lassen. Doch Folter ist aus gutem Grund verboten, denn abgesehen vom unvermeidlichen Missbrauch derartiger Methoden (als Herrschaftsinstrument) ist die Entwicklung von Humanismus und Aufklärung, sowie der Weg vom Obrigkeits- zum Rechtsstaat – und damit zu den so oft beschworenen Grundlagen unseres Gemeinwesens – untrennbar mit dem Verbot der Folter verbunden.
Wer Folter befürwortet, oder toleriert – und sei es „nur“ in Ausnahmesituationen - muss sich folgende Fragen gefallen lassen: Wie viele Gefolterte kann sich ein demokratischer Rechtsstaat „leisten“? Wie viele zu Tode gefolterte Menschen sind den – angeblichen - Erhalt von Demokratie und Freiheit wert? Einhundert? Eintausend? Wo ist die Grenze, wenn sie nicht bei „null“ liegt – dürfen bspw. auch eigene Staatsbürger gefoltert werden? Wie viele „Kollateralschäden“, sprich unschuldig Inhaftierte, Gefolterte, Getötete sind „akzeptabel“ im „Krieg gegen den Terror“ und: Schützt uns das Foltern von Menschen wirklich vor Terroranschlägen oder führt es nur zu einer neuen Generation von Terroristen, zu weiteren Anschlägen und zu einer gesellschaftlichen Rückentwicklung in Zeiten, die wir schon längst überwunden glaubten?