Laut, lästig, aber legal: Ist Silvesterfeuerwerk noch zeitgemäß?

Buntes Silvesterfeuerwerk über der Stadt

Farbenprächtiges Feuerwerk erleuchtet den Nachthimmel an Silvester, während die Diskussion über Umweltauswirkungen anhält.

(Bild: picjumbo, Pixabay)

Viele Menschen und fast alle Tiere leiden unter Lärm und Feinstaub. In Städten nehmen Angriffe mit Pyrotechnik zu. Rufe nach Verbot werden lauter.

Mehr als eine Woche vor Silvester wurden in diesem Jahr Böllerverletzungen gemeldet: In Salzgitter wurde am 22. Dezember eine 13-Jährige am Kopf verletzt und musste von Rettungssanitätern versorgt werden, nachdem eine unbekannte Person an einer Bushaltestelle einen Böller gezündet hatte.

Am Samstagabend darauf musste eine Frau in Dresden mit schweren Augenverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem Unbekannte in ihrer Nähe Pyrotechnik gezündet hatten. Einer der Böller sei direkt vor ihrem Gesicht explodiert, hieß es.

In manchen Großstadtbezirken war in den letzten Jahren aus dem "Dauerfeuer" in der Silvesternacht kaum noch herauszuhören, wann denn nun wirklich das neue Jahr begann – fast erstaunlich, dass einige Böllerfans vor dem offiziellen Verkaufsstart am 28. Dezember immer noch Reste zu verfeuern hatten.

Hunde und Katzen geraten in Panik

Unter dem Feuerwerk mit viel Getöse und Leuchtmunition leiden auch Millionen Haus-, Nutz- und Wildtiere. Katzen und Hunde verkriechen sich unter den Möbeln. Weil sie besser hören als Menschen, ist ein einstündiges Feuerwerk für Katzen und Hunde eine akustische Folter.

Typische Stressreaktionen sind Durchfall, Zittern oder Verweigerung der Nahrungsaufnahme, die oft noch Tage nach dem Jahreswechsel anhalten. Straßenkatzen ohne sicheres Zuhause sind dem Stress und Lärm besonders schutzlos ausgeliefert, ebenso wie Füchse, Biber, Fledermäuse und andere Tiere in freier Wildbahn.

Pferde und Rinder im Auslauf oder auf der Weide geraten in Panik, wobei sie nicht selten blindlings über Landstraßen laufen und von Autos erfasst werden Dasselbe gilt für Rehe, Hirsche und Wildschweine: Glaubt man dem Deutschem Jagdverband wurden zum Jahreswechsel 2018/2019 auf deutschen Straßen mehr als 233.000 Wildtiere angefahren.

Lärm, Blitze und beißender Geruch vertreiben Vögel

Vor allem für Vögel wird der Himmel zum Inferno. Geblendet von hellen Leuchtraketen und Rauchschwaden fliegen sie unter Schock und hohem Energieaufwand teilweise bis zu tausend Meter hoch. Oft prallen sie in der Dunkelheit gegen Türen, Scheiben und Wände oder Stromleitungen.

Anschließend kehren sie nur zögerlich zu ihren Rast- und Schlafplätzen zurück. Sind sie nah genug an der Explosionsquelle, können sie ein Knalltrauma erleiden.

Werden Trommelfell oder Innenohr verletzt, führt dies sogar zur Flugunfähigkeit. Häufig erleben sie die Nacht nicht, weil sie zu erschöpft und zu unterkühlt sind.

Energieverlust wird für Vögel schnell lebensbedrohlich

Verlieren die Tiere zu viel Energie, die sie eigentlich zum Überleben in der kalten Jahreszeit brauchen, kann dies schnell lebensbedrohlich werden, erklärt Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des NABU.

In den Silvesternächten 2008 und 2010 beobachteten Wissenschaftler in den Niederlanden mittels Wetterradar, wie innerhalb weniger Minuten aufgeschreckte Vögel in ungewöhnliche Höhen aufstiegen. In bis zu 500 Metern Höhe wurden mehr als 600 Gänse, 2.000 Enten und mehr als 9.000 Kleinvögel gezählt.

Erst nach etwa einer Stunde hatten sich die Tiere beruhigt. Bei ihrer Flucht hatten die Tiere nicht nur viel zu viel Energie verbraucht, es fehlte ihnen somit auch die Zeit zum Schlafen, Ausruhen und Fressen.

Wildgänse flohen vor Feinstaub und Lärm in größere Höhen

In einer im November 2022 veröffentlichten Studie am Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und des Niederländischen Instituts für Ökologie untersuchten deutsche und niederländische Forscher über acht Jahre hinweg das Verhalten von 347 Wildgänse diverser Arten rund um den Jahreswechsel – jeweils vom 19. Dezember bis zum 12. Januar.

Ergebnis: Die Tiere wurden signifikant gestört und flohen noch in sieben Kilometern Entfernung vor dem Feuerwerk. Danach erholten sie sich nur langsam von ihrer Flucht. Um den enormen Verbrauch an Energie auszugleichen, schonten sich die Gänse an den folgenden Tagen mehr, wobei sie mehr fraßen und sich weniger bewegten als vor der Silvesternacht.

Mit Einsetzen des Feuerwerks um Mitternacht wurden die Tiere derart aufgeschreckt, dass sie im Schnitt fünf bis sechzehn Kilometer mehr zurücklegten als unter normalen Umständen. Bei einigen Tiere waren es in einer einzigen Nacht Hunderte von Kilometern. Dabei flogen sie 40 bis 150 Meter höher als in den Nächten zuvor.

Bei den beobachteten Tieren handelte es sich um Bläss-, Weißwangen-, Kurzschnabel- und Saatgänse, die sich während der Wintermonate in Deutschland, in den Niederlanden und in Dänemark aufhalten.

Um in der Kälte möglichst wenig Energie zu verbrauchen, verbringen sie die meiste Zeit mit Fressen oder Ruhen. Nachts schlafen die Tiere größtenteils auf dem Wasser, meistens auch mehrere Tage hintereinander am selben Ort.

Extrem hohe Feinstaubkonzentrationen schädigen Atemwege

Mit den Raketen gelangt jede Menge Schwarzpulver in die Luft, welches zusammen mit Kaliumnitrat, Holzkohle, Schwefel, Kupfer-, Strontium- und Bariumverbindungen ein giftiges Staubgemisch aus kleinsten Partikeln ergibt. Daneben reizen Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und andere giftige Stoffe die Atemwege – nicht nur die von Menschen, auch die von Tieren.

In der oben genannten Studie wurde über den Ruhezonen der Gänse nach Mitternacht bis zu 650 Prozent höhere Werte an Feinstaub gemessen als üblich. Wegen der hohen Feinstaubkonzentrationen verließen die Wildgänse ihre gewohnten Schlafgewässer und ließen sich an Orten mit sauberer Luft nieder - weit entfernt von menschlichen Siedlungen.

Weil sie ihre Schlafquartiere häufig wechselten, verkürzten sich zwangsläufig Schlaf- und Ruhedauer der Vögel. Bereits durch geringe Störungen ändern Gänse ihr Verhalten derart, dass in strengen Wintern die Wahrscheinlichkeit zu überleben sinkt.

Verzicht auf Feuerwerk verbessert Luftqualität

Glaubt man den Berechnungen des Umweltbundesamtes entstehen jährlich 2.050 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern, rund 75 Prozent davon zum Jahreswechsel. Feinstaubwerte über 1000 µg/m³ (PM10) pro Stunde in der Silvesternacht sind keine Seltenheit.

Zum Vergleich: Beim Jahreswechsel 2021/22, als bundesweit ein Verkaufsverbot von Feuerwerk angeordnet wurde, war die Belastung der Luft mit Feinstaub um teilweise über 90 Prozent geringer verglichen mit Silvester 2019/2020 ohne Verbot.

Im Verlauf des Jahres 2018 betrug die durchschnittliche Belastung an deutschen städtischen Messstationen nur rund 18 µg/m³.

Der NABU fordert ein grundsätzliches Verbot von Feuerwerken in der Brutzeit von März bis August sowie in der Nähe bekannter Fledermausquartiere. Denn der Bruterfolg könnte durch ein Feuerwerk beeinträchtigt werden, beispielsweise durch Nestaufgabe und unterkühlte Eier wegen zu langer Abwesenheit der Altvögel.

Zudem sollten Abstände von mindestens zwei Kilometern zu Schutzgebieten und vier Kilometern zu Kranich- und Gänseschlafplätzen eingehalten werden.

Immer mehr Menschen sind für ein Verbot von privatem Feuerwerk

Wo in diesem Jahr geballert werden darf und wo nicht, darüber müssen die Kommunen entscheiden.

Allerdings kommt die Gewerkschaft der Polizei irgendwann an ihre Grenzen, wenn sie jede kommunal eingerichtete Böllerverbotszone kontrollieren will, kritisiert der Polizist Kevin Komolka. In einer Petition spricht sich die GdP für ein generelles Böllerverbot aus. Hintergrund sind die Gewaltexzesse in der zurückliegenden Silvesternacht – vor allem in Berlin.

Kritik an der Knallerei kommt auch von Tierrechtlern. Eine von der Deutschen Umwelthilfe unterstützte Petition für ein Verbot von privatem Silvesterfeuerwerk erreichte immerhin fast 584.000 Unterschriften.

Von einem ruhigeren Jahreswechsel profitieren alle

Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge sprechen sich knapp 60 Prozent der Bevölkerung Deutschlands für ein Verbot von privaten Feuerwerken zu Silvester aus. Fast vierzig Prozent wünschen sich ausschließlich Feuerwerke von ausgebildeten Pyrotechnikern. Für ein generelles Verbot waren zwanzig Prozent der Befragten.

Rund um Nationalparks, Vogelschutzgebiete und andere wichtige Ruhestätten sollte das Zünden von privaten Feuerwerken komplett verboten werden, fordert der NABU. Alternativ könnten Städte und Gemeinden zu Silvester zentrale Feuerwerke organisieren.

Abgesehen von der Lärmbelästigung und den zu hohen Feinstaubwerten verschmutzen Reste von Raketen und Knallern auch Wiesen, Wälder und Gewässer. Die Konzentration auf bestimmte Orte würde somit nicht nur den Lärm, sondern auch den Müll reduzieren.

Ein stiller Jahreswechsel mit wenig Müll und sauberer Luft würde der Umwelt sicher guttun. Und Menschen und Tiere könnten aufatmen.