Le Pen: Drohender Bankrott zunächst abgewendet
Ein Berufungsgericht gibt ihrer Partei Rassemblement National eine Million Euro frei. Die Parteivorsitzende sieht sich einer "Kampagne des Systems" ausgesetzt
Die Europawahlen sind Marine Le Pens große Chance, die Niederlage gegen Macron wettzumachen. Nach einer Mitte September veröffentlichten Umfrage liegt Le Pens Partei, die nun Rassemblement National (RN) heißt (früher Front National), nur einen halben Prozentpunkt hinter der République en Marche. Der RN würde auf 21 Punkte kommen. Die anderen Parteien sind gegenüber diesen beiden weit abgeschlagen.
Ziel: "Stärkste Partei Frankreichs"
Le Pens Ziel heißt als "stärkste Partei Frankreichs" aus den Wahlen zum europäischen Parlament hervorzugehen. Ihre frühere Partei, der FN, erreichte 2014 bei der letzten Europawahl 25 Prozent. Obwohl Marine Le Pen selbst nicht Spitzenkandidatin sein wird, da ihr das Mandat im französischen Parlament wichtiger ist, zeichnet sich ein Wahlkampf ab, der sich von der Wiederaufnahme des Duells mit dem Globalisten und Vaterlandskritiker Macron einiges erhofft.
Macron schneidet in Umfragen schlecht ab. Dagegen ist der politische Freund Le Pens, Matteo Salvini, derzeit die Glanznummer der Rechten in Europa. Le Pen betont den Schulterschluss mit dem italienischen Innenminister, der eine politische Agenda, exemplarisch in der Flüchtlingspolitik, verfolgt, die auch die ihre ist. Die Lega Nord und der Rassemblement National sitzen gemeinsam in der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF).
Schlagzeilen - gelegentlich über Frankreich hinaus - macht Marine Le Pen aber in anderen Zusammenhängen: Veruntreuung von europäischen Geldern wäre da ein Stichwort; große Aufmerksamkeit und wahrscheinlich einige Schadenfreude erregte auch, dass ein Gericht sie zum Psychiater schicken will, weil sie im Dezember 2015 IS-Bilder auf ihrem Twitter-Konto verbreitet hatte ("diffusion d'images violentes"), die Gewaltszenen zeigten.
"Dieses Regime fängt an, einem Angst einzujagen"
Für Le Pen ist das Teil einer Kampagne, die gegen sie gefahren wird. Ihren Gegner bezeichnet sie als "Regime". Es sei im eigentlich Sinn des Wortes "haarsträubend" (im Original in Großbuchstaben: HALLUCINANT), "dieses Regime fängt an, einem Angst einzujagen", twittert sie angesichts der gerichtlichen Anweisung, die dem Posting beigegeben ist, wonach sie sich in dem (IS-Bilder-) Strafverfahren einer Untersuchung zu unterziehen habe, damit eine psychiatrische Expertise angefertigt werden kann.
Le Pen verweigerte den "Besuch beim Psychiater" in öffentlichen Stellungnahmen. Sie nahm die Verfügung als Gelegenheit, um sich als empörtes Opfer einer Kampagne darzustellen, die mit übelsten Mitteln arbeitet: "Dafür, dass ich den Terror von Daesch über Tweets angeprangert habe, unterstellt mich die 'Justiz' einer psychiatrischen Expertise!"
Der neuralgische Punkt: Zweifel an der Unabhängigkeit der Gerichte
Der hochempfindliche neuralgische Punkt, an den sie immer wieder rührt, ist die Unabhängigkeit von Gerichten. In dem "System", das ihr gegenübersteht und eine organisierte Kampagne gegen sie fährt, arbeiten ihre politischen Gegner mit Richtern zusammen.
Das ist das Bild, das sie entwirft. Nun ist es aber auch so, dass die Affären, die Sarkozy aufgewirbelt hat und welche die Justiz nach wie vor beschäftigen, tatsächlich in dieser Hinsicht nicht gerade beruhigend sind.
Der Vorwurf einer Zusammenarbeit zwischen Justiz und politischen Gegnern ist auch Le Pens Argumentationslinie im anderen großen Fall, mit dem sie und die Partei, die sie anführt, in die Schlagzeilen geraten sind.
Die Partei vor dem Bankrott
"Gericht gibt eine Million Euro für Le Pens Partei frei", berichtete die FAZ heute von der Entscheidung des Berufungsgerichts in Paris. Damit hat der Rassemblement National (RN) wieder Geld, um Gehälter an Beschäftigten in der Parteizentrale auszubezahlen, erfährt man in dem Bericht, und dass die Partei kurz vor dem Bankrott steht.
Der mögliche Bankrott des früheren Front National war in den vergangenen Sommerwochen ein häufig wiederkehrendes Thema. Es wäre das erste Mal, dass eine Partei in Frankreich ein Insolvenzverfahren anmelden müsste, war zu lesen. In der Partei war von einem "künstlichen Koma" die Rede.
Anlass war die Entscheidung von zwei französischen Richtern im Juli, dass Auszahlungen des französischen Staates an die Partei Le Pens in Höhe von zwei Millionen Euro einbehalten werden, damit diese noch ausstehende Entschädigungszahlungen an das EU-Parlament trotz der notorischen Geldknappheit der Partei leisten kann.
Großzügig aus der EU-Kasse bedient
Grund für ausstehende Zahlungen, die das EU-Parlament als Zivilkläger einfordert, sind Vorwürfe an die frühere Partei Front National und deren Vorsitzende Le Pen persönlich, wonach sie durch Scheinbeschäftigungen EU-Gelder erhalten haben, die nun zurückzuzahlen sind.
So wird Le Pen vorgeworfen, dass sie als Europaabgeordnete EU-Geld jahrelang für eine Assistentin bekam, die aber die überwiegende Zeit nicht in Brüssel, sondern in Frankreich tätig war, weswegen aus Sicht der EU der Verdacht bestand, dass die Assistentin gar nicht die Arbeit für eine EU-Tätigkeit verrichtete, für die Geld überwiesen wurde.
Wie Ouest-France heute berichtet, soll Marine Le Pen noch 260.000 Euro zurückzahlen. Die gesamte Schadensforderung, die Ansprüche gegen weitere 17 Front National-Abgeordneten des Europaparlaments geltend macht, liegt laut der Zeitung bei sieben(!) Millionen Euro.
Zum Skandal hinzu kam, dass die Assistentin Marine Le Pens zur Familie Le Pen gehört. Hinzuzufügen wäre hier aber ebenfalls, dass nicht nur der FN, sondern auch deutsche Sozialdemokraten mit Vorwürfen zu tun hatten, die unterstellen, dass Mitarbeiter unverdient oder unstatthaft EU-Gelder bezogen haben.
Le Pen verteidigt sich gegenüber den EU-Vorwürfen damit, dass sie schließlich doch auch in Frankreich als EU-Parlamentarierin an EU-Themen gearbeitet habe und benötige die Unterstützung eben dort, wo sie sich aufhalte. Der Streit darüber zieht sich schon seit längerer Zeit hin.
Offenbar ist es so, dass Le Pen und andere Abgeordnete des FN nicht unbedingt überzeugend dagegenhalten konnten, denn die Forderungen nach Rückzahlung blieben bestehen. Laut Ouest-France "konnten die Abgeordneten nicht erklären, worin die konkrete Arbeit ihrer Assistenzen bestand".
Das europäische Amt für Betrugsbekämpfung geht nach Ermittlungen davon aus, dass Le Pen ihre Assistentin scheinbeschäftigt hat. Ein Urteil des EuGH von Mitte Juni dieses Jahres bestätigte die Rückzahlungsforderungen.
Le Pen legte beim EuGH Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des EU-Parlaments ein. Ihre Klage lehnten aber die Richter in Luxemburg am Dienstag ab, sie bestätigten den Rückforderungsbeschluss des EU-Parlaments. Zur Begründung hiess es, Le Pen habe nicht nachweisen können, dass ihre Assistentin tatsächlich für das Europäische Parlament tätig war. Le Pen und ihre Partei seien auch nicht, wie von Le Pen vorgeworfen, diskriminierend oder voreingenommen behandelt worden.
NZZ
Ungewöhnliche Vorgehensweise
Für Marine Le Pen liegt ein Skandal darin, dass zwei Sachverhalte zusammengelegt werden, die nicht zusammengehören: die Forderung aus Brüssel und die staatliche Wahlkampfkostenerstattung aus Paris - die zwei Millionen Euro, auf welche der Rassemblement National nach französischen Gesetzen Anspruch hat. Aus ihrer Sicht handelt es sich um eine Art konzertierte Aktion, die zum Ziel hat, ihrer Partei den Garaus zu machen.
Auch nach Ansicht der FAZ ist die Vorgehensweise, dass während eines laufenden Strafverfahrens bereits staatliche Wahlkampfhilfen einbehalten werden, "tatsächlich ungewöhnlich".
Die Partei Le Pens steckt immer wieder in argen Geldnöten. Vor Jahren sorgte ein Kredit, den Putin gewährte, für Aufsehen. Damals wurde vonseiten des FN vorgebracht, dass keine französische Bank willens war, der Partei Kredit zu gewähren. Der Vorwurf, wonach es die politischen Gegner in Zusammenarbeit mit der Justiz darauf abgesehen haben, die Partei finanziell auszutrocknen, ist eine Verschärfung dieser Argumentationslinie.
Dass die Rückzahlungen an die EU nach Ansicht von Ermittlern und Gerichten aus berechtigten Gründen gefordert werden, weil sich die Partei frei aus den EU-Kassen bediente, darüber wird freilich von der Partei lieber hinweggesehen.