Le Pen wird moderat, die Konservativen radikalisieren sich

Junge Anhänger des Front National, 2011. Bild: NdFrayssinet/CC BY-SA 3.0

Frankreich: Le Pen findet, der Islam habe einen Platz in der Gesellschaft und wirbt für den Rechtsstaat. Sarkozy streitet für die französischen Identität und wirbt für den "totalen Krieg" gegen den Terrorismus

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Verquere Fronten: Wird im beginnenden Vorwahlkampf in Frankreich - wo die nächste Präsidentschaftswahl in nunmehr sieben Monaten stattfinden - ein Konservativer dafür sorgen, dass die Erbin einer neofaschistischen Partei am Ende als "Gemäßigte" dastehen wird?

Dies befürchten derzeit viele Beobachterinnen und Beobachter in Frankreich. Aber auch ein sozialdemokratischer Premierminister, dessen unerklärtes Vorbild Gustav Noske heißen könnte, und dessen erklärtes politisches Vorbild Georges Clemenceau ist (also der Mann, der 1906 und 1909 auf streikende Arbeiter schießen ließ), wird da nicht völlig abseits stehen.

Auch wenn Manuel Valls - falls die rechtsextreme Politiker Marine Le Pen je in die Stichwahl einzieht -, mit viel Pathos in der Stimme "die Republik" gegen die rechte Gefahr beschwören dürfte: Es wäre nichts als Taktik.

Im Herzen wäre der Mann froh, könnte er einen Wahlkampf an der Spitze einer Die-Rechten-Verhindern-Front führen, was es ihm ersparen würde, für irgendwelche Inhalte kämpfen oder gar eine Bilanz aus der eigenen Regierungspolitik ziehen zu müssen. Es ist also zu erwarten, dass den Rechten und ihrer Ideologie weiterhin eifrig das Terrain bereitet wird.

Marine Le Pen: Nach rechts abgrenzen, um zu gewinnen

Wie ist die aktuelle Lage? Rechts von Sarkozy scheint nur noch die Wand zu stehen, während Le Pen es sich politisch nicht erlauben kann, eben diesen Eindruck zu erwecken.

Ganz im Zeichen ihrer Beruhigungsstrategie, die um jeden Preis zu vermeiden versucht, dass der FN "in eine extreme Ecke gestellt wird", grenzte Marine Le Pen sich in den letzten Wochen vom konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicole Sarkozy ab.

Und zwar, indem sie versucht, sich im Vergleich zu ihm als erheblich gemäßigter darzustellen.

Infolge der Terroranschläge im Juli hatten Sarkozy und seine Umgebung mehrere Woche lang explizit gegen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit gewettert. Der Sarkozy nahe stehende konservative Experte für Innere Sicherheit und Präsident der Bezirksregierung in Nizza, Eric Cotti, echauffierte sich etwa über eine Journalistenfrage nach dem Respekt des Rechtsstaats:

Sie würden mir eine solche Frage nicht stellen, hätten Sie wie ich die Leichen am Strand von Nizza gesehen. Die reden nicht mehr vom Rechtsstaat!

Da fällt es Marine Le Pen relativ leicht, sich vergleichsweise moderat zu geben. Am 27. August erklärte daraufhin Nicolas Sarkozys Rivale, Parteikollege und - ebenfalls - Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, François Fillon: "Es ist ein Fehler, den Rechtsstaat in Frage zu stellen."

Wie empfindlich Aufforderung in Richtung Les Républicains getroffen hatte, zeigt sich an der Reaktion Fillons. Zugleich wird der Trend Richtung rechts sichtbar, der dort um sich greift:

Ich war verstört und unglücklich darüber, dass ich hören musste, wie Marine Le Pen sich erlaubt, manche Verantwortliche unserer Partei zurecht zu weisen. Dies sagt viel darüber aus, wie Manche versuchen, dem FN hinterherzulaufen, um Wahlen zu gewinnen.

François Fillon

Am Sonntag, den 11. September leistete sich die Chefin des FN gar den Luxus, auf eine Nachfrage beim Fernsehsender TF1 - ob ihr zufolge der Islam einen Platz in der Republik finden könne - zu antworten: "Ich glaube, ja."

Woraufhin die rechtsextreme Politikerin noch einige Bedingungen dafür aufzählte; dennoch verwirrte der Satz einige ihrer Parteikameraden gehörig. Zwar beinhalten ihre öffentlichen Äußerungen in schöner Regelmäßigkeit das genaue Gegenteil, und die Ablehnung einer erkennbaren Präsenz der muslimischen Religion in Frankreich gehört zum Kerngeschäft ihrer Partei.

Die französischen Republikaner überholen von rechts

Doch ihre Pirouette erlaubte es Marine Le Pen, vergleichsweise moderat dazustehen - während Nicolas Sarkozy in grellen Farben eine islamische Bedrohung ausmalt, von einer "Verteidigung der französischen Identität" spricht und in bedenklichen Worten einen "totalen Krieg" gegen den Terrorismus fordert.

Wobei in diesem Falle übrigens auch der zitierte François Fillon nicht nachsteht, der seinerseits jüngst sogar einen "Weltkrieg" erfunden hat, inzwischen jedoch erkennen musste, dass er Sarkozy nicht mehr rechts überholen wird könnten.

Laut Angaben in Le Monde vom 13. September wollen voraussichtlich 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren im kommenden November an der Urwahl der Konservativen (Les Républicains) teilnehmen.

Bei ihnen wird (am 20. und 27. November) der nächste Präsidentschaftskandidat der Konservativen bestimmt. Acht Bewerber konnten sich qualifizieren, fünf mussten aus dem Rennen ausscheiden. Mehrere von ihnen setzen darauf, mit Hilfe auch der FN-Wählerschaft die Kür zu erlangen.

Der Sozialdemokrat Valls will auch sein Stück vom Wahltrend-Kuchen

Aber auch Manuel Valls, der amtierende Premierminister der französischen Sozialdemokraten (PS), meldete sich in diesem Spätsommer zu Wort und verteidigte die Beschlüsse von dreißig rechtsgerichteten Rathausregierungen, bestimmte muslimische Badebekleidungen zu verbieten (Burkini-Farce: Französische Polizei drängt zum Ablegen), auf offensive Weise.

Valls steht seit Jahren für einen autoritären Staats-Laizismus, welcher als pure Ausgrenzungsideologie funktioniert. Was im Übrigen einen klaren Bruch mit dem historischen Laizismus - also dem Prinzip der Trennung von Kirche, im Sinne des französischen Gesetzes vom 09. Dezember 1905 - darstellt.

Denn Letzterer stellte einen Anspruch an den Staat dar, dieser müsse konfessionell neutral bleiben; während in der neueren autoritären Variante der Staat mit weltanschaulichen Ansprüchen an bestimmte Bevölkerungsgruppen und an die Zivilgesellschaft herantritt.

Kein Wunder also, dass eine immer größere rechte Flanke sich der Argumentation des autoritären Ausgrenzungs-"Laizismus" bedient, und dass dieser Begriff inzwischen auch durch Marine Le Pen und andere Rechtsextreme instrumentalisiert wird, nach dem Motto "Hauptsache, es geht gegen Muslime".

Valls hatte in jüngerer Vergangenheit etwa das Vorgehen eines Unternehmens lautstark gerechtfertigt, das darin bestand, das Kopftuchtragen als Kündigungsgrund einzustufen und dadurch einen juristischen Präzedenzfall zu schaffen. Valls äußerte sich damals als amtierender Innenminister und griff dadurch quasi offen in Justizvorgänge ein.

Er hat sich für ein Kopftuchverbot nicht nur - wie es seit dem Gesetz vom 15. März 2004 in Kraft ist - für Schülerinnen unter elterlicher Vormundschaft, sondern auch an Universitäten für erwachsene und mündige Studentinnen eingesetzt , was mutmaßlich schlicht verfassungswidrig wäre.

Ihm nahestehende sozialdemokratische Senatoren hatten 2012 einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Frauen sogar verboten hätte, bei sich zu Hause in den eigenen vier Wänden ein Kopftuch zu tragen, sofern sie Aufträge für Kleinkinderbetreuung im eigenen Haus übernehmen. Das Vorhaben wurde bislang nicht weiterverfolgt, auch wenn die Debatte darüber 2015 nochmals neu aufgetaut wurde.

Dagegen kritisierten zwei von Valls’ amtierenden Ministerinnen, die Regierungssprecherin und Schulministerin Najat Vallaud-Belkacem ("NVB") sowie Gesundheitsministerin Marisol Touraine, explizit die jüngsten Verbotsverfügungen in den Medien. Vallaud-Belkacem - die sich selbst gegen den "Burkini" ausspricht - sprach sogar davon, die Verbote trügen zu einer "Freisetzung/Befreiung rassistischer Redeweisen" bei.

Sie sagte dies mit gutem Grund, denn im selben Zeitraum kam es etwa im Pariser Umland zu einem Skandal, als ein Restaurantbesitzer sich weigerte, zwei Kopftücher tragende Frauen zu bedienen. Die Ministerin bezeichnete das Verhalten zumindest einiger der betreffenden Rathausregierungen als "Entgleisung" ; diese gössen "Öl ins Feuer". Manuel Valls antwortete ihr daraufhin am 25. August postwendend:

Diese Verfügungen sind keine Entgleisung, das ist eine schlechte und falsche Interpretation.

Manuel Valls

Mit solchen bürgerlichen Konservativen und solchen Sozialdemokraten darf man sich auf einen Wahlkampf gefasst machen, der bestehende Spannungen schüren und die Bedingungen für interreligiöses und interkulturelles Zusammenleben nochmals erschweren wird. Die Dschihadisten könnten davon profitieren - zumindest nach Ansicht von Beobachtern, die mahnen, deren Propaganda werde nun über Jahre hinaus befeuert.