Leben 2.0 oder die Herstellung von "Einzellerfabriken"
Die Vertreter der Synthetischen Biologie suchen nach Unterstützung der Forschung, Kritiker warnen vor unabsehbaren Risiken
Das J. Craig Venter Institute hat vor kurzem erstmals einen Patentantrag über ein im Laboratorium hergestelltes Bakterium eingereicht. Das "Mycoplasma laboratorium" ist aus dem "Minimal Genome Project" hervorgegangen. Sein minimalisiertes Genom würde aus 350-381, maximal aus 450 Genen bestehen, also 30-130 weniger Gene als beim natürlich vorkommenden Bakterium Mycoplasma, das als Grundlage für das Patent dient. Zudem würde in das Genom eines oder mehrere von jeweils aus drei Genen bestehenden Genverbänden eingefügt werden. Der Patentantrag für das wohl noch nicht wirklich hergestellte künstliche Bakterium kann als markanter Beginn der Synthetischen Biologie gelten, also dem ingenieursmäßigen Entwerfen von Leben im Labor und dessen industrieller Produktion.
Dementsprechend aufgeregt reagierten Kritiker auf den Patentantrag. So hat die kanadische Umweltorganisation Action Group on Erosion, Technology and Concentration (ETC) mit Verweis auf die Aktivitäten Venters davor gewarnt, dass die Herstellung künstlichen biologischen Lebens Gefahren mit sich bringe: "Letztlich bedeutet künstliche Biologie billigere und leicht zugängliche Mittel zur Herstellung von biologischen Waffen, gefährlichen Pathogenen und künstlichen Organismen, die eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen und den Planeten darstellen können. Die Gefahr besteht nicht nur im Bio-Terror, sondern auch im Bio-Error." Überdies warnte die Organisation davor, dass bei der Herstellung von künstlichen Lebensformen zu ähnlichen Monopolen wie im Softwarebereich kommen könne. "Zum ersten Mal", so Pat Mooney von ECT dramatisch, "hat Gott Konkurrenz bekommen."
Tatsächlich werden die Befürworter der Synthetischen Biologie derzeit deutlicher hörbar. So findet gerade der Kongress Synthetic Biology 3.0 an der ETH Zürich statt. Dort heißt es, dass die "die neue und sich schnell entwickelnde Forschungsrichtung" das Ziel hat, "(neue) biologische Systeme (neu) zu entwerfen und herzustellen". Potenzielle Anwendungen gebe es viele. Die Vorträge beschäftigen sich mit der minimalen Zelle, der Weiterentwicklungen von Genomen, neu verbundene Gennetzwerke von Bakterien, Herstellung von menschlichen Zellen, Gensynthese oder eben einem "Ab Initio Design of Complete Living Organisms".
Es werden auch Sicherheitsvorkehrungen behandelt und Anwendungen in der Chemie, der Material- und Systemforschung diskutiert, beispielsweise die Herstellung eines künstlichen menschlichen Chromosoms, Verfahren mit denen verhindert wird, dass sich genetisch veränderte Mikroorganismen unkontrolliert reproduzieren können, oder die technische Umsetzung der bakteriellen Chemonavigation.
Es tut sich eine neue Welt auf, die schon länger angekündigt wurde, aber nun langsam betreten werden kann und große Möglichkeiten verspricht, aber auch unbekannte Risiken mit sich bringen kann. ETC moniert anlässlich des Kongresses in der Schweiz, dass die neue Technologie bislang weitgehend unkontrolliert entwickelt werden kann: "Obwohl die synthetische Biologie weit über bisher übliche gentechnische Verfahren hinausgeht, wurden bis heute keine Gesetze oder Regulierungen entwickelt, um ihre Sicherheit zu bewerten und zu garantieren." Die Biologin Florianne Koechlin von der SAG fügt hinzu: "Und einmal mehr hören wir von der Wissenschaft, unterstützt von Industrie und Militär, man habe das Leben im Griff und könne es bald konstruieren. Doch Leben ist mehr als die Summe seiner Teilchen." Koechlin ist Mitglied der eidgenössischen Ethikkommission EKAH, die sich demnächst mit den Auswirkungen der Synthetischen Biologie auseinandersetzen wird.
Internationale Wissenschaftler haben nach einer Konferenz über Synthetische Biologie, die von der kalifornischen Kavli Foundation in Grönland organisiert und vom 11. bis 15. Juni tagte, eine Erklärung verabschiedet, in der sie dazu aufrufen, die Forschung in diesem neuen Bereich stärker zu fördern. Die Synthetische Biologie, in der sich Ingenieurtechnik mit der Nanowissenschaft und der Molekularbiologie verbindet, würde die Wissenschaft ebenso revolutionieren wie die Entdeckung der DNA oder die Erfindung des Transistors und könne Lösungen für viele Probleme mit sich bringen.
Das frühe 21. Jahrhundert ist eine Zeit großer Versprechen und Gefahren. Wir stehen gewaltigen Problemen des Klimawandels, der Energie, der Gesundheit und der Wasserressourcen gegenüber. Synthetische Biologie bietet Lösungen für diese Probleme an: Mikroorganismen, die Pflanzen in Treibstoffe umwandeln, neue Medikamente herstellen oder kranke Zellen im Körper zerstören können.
Die Wissenschaftler sind, wie nicht anders zu erwarten, optimistisch, dass schnell weitere Fortschritte erzielt werden können. Da die Sequenzierung und Herstellung von DNA sich in den letzten Jahren schnell entwickelt haben und gleichzeitig die Kosten gesunken sind, könne man davon ausgehen, dass es bald möglich sein wird, beliebige Gensequenzen in der Größenordnung von Genomen eines Organismus herzustellen und die künstlichen Genome in "funktionierende Einzellerfabriken" umzuwandeln. Auf der Seite der "Hardware" würde der Zug bereits den Bahnhof verlassen, man müsse nur das Ziel festlegen. Noch bereits allerdings die "Software" Probleme. Aufgrund der Komplexität sei es jetzt noch nicht möglich, neue Gene oder Genome zu konstruieren.
Man müsse aber auch die Risiken im Auge behalten und Vorkehrungen treffen. Die Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Japan und den USA fordern Schutzmaßnahmen vor Unfällen und vor dem Missbrauch. Es müssten Regeln entwickelt werden, um "die positiven Anwendungen der Technik zu fördern und die negativen zu unterdrücken. Die Risiken sind real, aber die potenziellen Vorteile sind wirklich außerordentlich." Die Synthetische Biologie werde in 50 Jahren, so glauben die Wissenschaftler, ähnlich wichtig sein wie heute die Elektronik. In einem Punkt sind sie auch mit den Kritikern der Forschung einig, nämlich dass die Entscheidungen, die jetzt getroffen oder auch nicht getroffen werden, einen großen Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft haben werden.
Erforderlich wäre in der Tat zumindest ein "intelligent Design" des künstlich hergestellten Lebens. Dafür wäre aber der Mensch und nicht Gott zuständig, der nach Ansicht der religiös motivierten Kritiker der Evolutionstheorie so das Leben entworfen hat, wobei allerdings die Intelligenz des Lebensdesigns oft nicht wirklich einleuchtet und höchstens dem unbegreifbaren göttlichen Willen zugeschrieben werden kann.