Leben in Zeiten der Ultradekadenz

Seite 2: Pornofizierung und die Sprößlinge des White Trash

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Dem Film geht es aber trotzdem weniger um Geld- und Luxus-Exzesse, als um eine Darstellung seiner ästhetischen und moralischen Folgen: der Ultradekadenz, einer wie es heißt "pornofizierten Kultur".

Was ist damit gemeint? Alles und nichts. "Generation Wealth" beginnt damit, die perverse Faszination der amerikanischen Gesellschaft für Geld, Bereicherung und deren Insignien darzustellen.

Mit leichter Hand wird daraus eine Art gesamtgesellschaftliches Panorama. Denn es sind gerade die Armen, die sich bis über den Hals verschulden, gerade die Kaputten, die auf Statussymbole Wert legen, gerade die Depravierten an den sozialen Rändern, die ihren Körper zur Ware machen. Zum Beispiel die Pornodarstellerin Kacey Jordan, die durch eine mit 30.000 Dollar honorierte "Party" mit Hollywood-Schauspieler Charlie Sheen ebenso bekannt wurde wie durch einen Rekord-Gangbang mit über 50 Männern.

Generation Wealth. Bild: © jip film & verleih

Die interessanteste Episode, die der Film von ihrem tristen Leben zeigt, streift (und verschenkt) er dabei eher: "Wo kommst Du gerade her?", wird Jordan von Greenfield gefragt. "Aus Dubai." Was sie da gemacht habe? "I did the Prince" sagt sie mit vielsagendem Lächeln. Denn die Sprößlinge des White Trash, die wie Jordan ihren Körper verkaufen und malträtieren, gibt es nur, weil es Käufer für sie gibt. Weil längst ein neuer Sklavenmarkt existiert, in dem auch die allermeisten von uns auf die eine oder andere Art zumindest größere Teile ihres Körpers, ihres Hirns und ihrer Arbeitskraft, ihrer Bewegungsprofile und ihrer Psyche feilbieten.

"Pornofizierung" bedeutet nicht nur, dass viele von uns sich nach dem Vorbild von Pornostars anziehen, operieren lassen und Sex haben. Sondern dass wir alle wie Pornostars die Grenze zwischen Innen und Außen unserer selbst freiwillig durchbrechen - sobald die Gage stimmt. Und diese muss nicht materiell, sie kann auch symbolisch sein. Der Warencharakter des Körpers wird das Thema.

Symbolisches Kapital

Ultradekadenz meint aber noch etwas anders: Die Maßlosigkeit des Konsums und die Unfähigkeit größerer Teile der Gesellschaft zur Selbstbestimmung. Die Tatsache, dass Essstörungen vor allem dort auftauchen, wo Nahrungsüberfluss herrscht, dass Gewalttraumata gerade in Gesellschaften mit wenig Gewalt diagnostiziert werden, spricht für diesen Befund. Zuende gedacht bedeutet dies: Persönliche Freiheit und funktionierende Demokratie sind Illusionen. Denn wer unter keinem Zwang steht, sucht sich einen.

Hier hätte man nun weiterdenken müssen. Man könnte fragen, ob wir nicht auf dem Weg in den Abgrund noch einen Schritt weiter gekommen sind: Leben wir heute nicht in einer Kultur, in der sich das materielle Kapital und der materielle Status längst in Luft aufgelöst haben? In der sie durch das symbolische Kapital, mit dem in sozialen Medien gehandelt wird, ersetzt werden?

Äußere Bewertungen und Zugriffe und Aufmerksamkeit sind heute der einzige Maßstab für Wert, Erfolg und Glück.

Zwei Todsünden

Stilistisch ist der Film nicht besonders innovativ und längst nicht so ästhetisch aufregend wie Greenfields Photographien. Trotzdem besticht "Generation Wealth" durch das, was er zeigt: Greenfields Bilder, die man hier ausgiebig zu sehen bekommt, sind ein atemberaubendes und unvergleichliches Zeugnis der letzten Dekaden. Der Film wäre zugleich auch schon allein seines Inhalts und seiner aufregenden Zeitdiagnosen wegen einer der interessantesten Dokumentarfilme der letzten Jahre - wenn er nicht gegen Ende gleich zwei Todsünden begehen würde, die nicht nur im Katholischen Katechismus, sondern auch im Dokumentarfilm bestraft werden.

"Vanitas" ist die eine; also Eitelkeit und Narzissmus. Immer wieder spiegelt sich die Regisseurin selbst, rekurriert ihre künstlerische Biographie, zeigt ihre eigenen Photographien, ihre Ausstellung und ihre Familie, als ob in Laureen Greenfield und nur in ihr der Weltgeist selbst sich ein Stelldichein geben würde. Und am Ende schreckt die Regisseurin auch nicht davor zurück sich von ihren eigenen Kindern die Absolution zu holen, dass es schon toll war, was Mama gemacht hat. Also ob das irgendwen interessieren würde!

Die zweite Todünde ist Superbia, der hochmütige Übermut, gepaart mit Acedia, der Ignoranz. Denn Greenfield begnügt sich nicht damit, etwas zu zeigen, eine Situation zu diagnostizieren und durch Dritte bewerten zu lassen. Sie predigt auch mit unverhohlenem Sendungsbewusstsein und füttert ihr Publikum mit großen Löffeln aus dem Moraleimer.

Dazu zerrt sie eine Handvoll ihrer vorher bereits in unterschiedlich deplorablem Zustand vorgeführten Figuren noch ein weiteres, letztes Mal vor die Kamera, wo sich diese dann sämtlich rundum geläutert geben: Man hört die wohlbekannten Läuterungsphantasien und Glückskeks-Phrasen von Reinheit, Natur, Wurzeln und einem Zurück zu den Ursprüngen.

Schluchzend gesteht der zum Christen mutierte Ex-Finanzhai Florian Homm: "Man muss auf eine lange Reise gehen, bis man dorthin zurückkommt, was wirklich wichtig ist. Das andere Zeug ist eine Illusion. Ein Scheißspiel. Wir folgen einem vergifteten Traum." Das sagt sich besonders gut, wenn man wie der Deutsche Ex-Hedgefonds-Manager in einer Suite Schloßhotel Kronberg im Taunus wohnt und vor ein paar Jahren mit 150 Millionen abgetaucht ist.

Hier wird Laureen Greenfield selbst zum Opfer der von ihr diagnostizierten Krankheit, wird selbst ein Beispiel für eine Ultra-Dekadenz, die alles Maß verloren hat.

Was für eine verpasste Chance! Wie ärgerlich!! Und trotzdem: Ein in jedem Fall sehenswerter, zum Teil richtig guter Film!!!