Leben in deinen Taschen und Mädchen in deinem Gedächtnis

Schon gibt es virtuelle Hunde, Katzen und Babies, die im Computer leben und von ihren stolzen Besitzern gehätschelt werden. Jetzt wurde in Japan das erste "Virtual Idol", ein junges Mädchen, entwickelt, das die erotischen Wünsche der Computerkids besser erfüllen könnte, als wirkliche Mädchen oder Filmstars.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weitere Texte über Körper- und Biotechnologien in Telepolis:

Stelarc und der virtuelle Körper, Der postmoderne Körper, Unsterblichkeit, Cybererotik, Zukunft des Körpers und zur Diskussion über Euthanasie

Keisuke Oki

PCs gibt es überall von Büros in New York bis zu buddhistischen Tempeln in Tibet. Normalerweise stehen sie auf oder unter den Tischen. Unsere Computer befinden sich in einem frühem Stadium ihrer Entwicklung, weswegen wir ihnen einen Platz auf oder unter dem Schreibtisch einräumen. Bald werden Computer anders als derjenige aussehen, der vor Ihnen steht. Vielleicht wird man ihn auch gar nicht mehr Computer nennen. Möglicherweise werden wir in Zukunft, wie Nicolas Negroponte in seinem Buch Being Digital schreibt, im Inneren des Computers leben.

Da wir es noch nicht geschafft haben, in unseren Computern zu leben, füttern viele japanische Studentinnen die Hunde und Katzen, die in ihren PDAs (Personal Digital Assistants) für Frauen hausen. Mädchen geben ihnen etwas zu essen und streicheln sie jeden Tag. Diese digitalen Tiere reagieren wie wirkliche Tiere und schlafen in den Taschen ihres Besitzers.

Hingegen ziehen manche junge Männer die Mädchen, denen sie in Computerspielen begegnet sind, den wirklichen Mädchen vor. Sie glauben, daß wirkliche Mädchen nicht ganz ihrem Geschmack entsprechen, während die sogenannten AnimeMädchen steuerbar sind. (Anime ist im Japanischen ursprünglich von animation abgeleitet worden, aber bezeichnet jetzt auch außerhalb Japans die Figuren japanischer Comics. Wenn man das Wort Anime in den Suchmaschinen auf dem Netz eingibt, findet man entsprechende Sites.)

Selbst Erwachsene versuchen, Babies in Computersimulationsspielen aufzuziehen, auch wenn sie dies im wirklichen Leben nie getan haben. Wenn sie im Spiel das kleine Mädchen richtig großziehen, wird es zu einem richtig süßen Engel, wenn es das Alter von 17 Jahren erreicht. Wenn man Fehler macht, hat der Benutzer ein siebzehnjähriges Miststück am Hals.

Die Grenzen zwischen dem wirklichen Leben und dem elektronischen Leben in Computern vermengen sich mehr und mehr. Die Bedeutung von Wirklichkeit verändert sich. Natürlich sehen Geschäftsleute in diesem Wandel eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Hori Production CO., Japans größte Talentagentur im Unterhaltungsbereich, und Hakuhodo, eine große Werbeagentur, haben eng zusammen gearbeitet, um das erste weibliche virtuelle Idol zu realisieren. Unter dem Codenamen DK96 entwickelt, ist dieses Idol sechzehn Jahre alt. Es kann gut singen und tanzen, und es spricht eine Reihe von Sprachen, weil es, wie man erklärt, in der Nähe eines amerikanischen Militärstützpunktes in einer Vorstadt Tokios geboren und aufgewachsen ist. Diesen Teil der Geschichte verstehe ich persönlich allerdings nicht. Warum wird man, wenn man neben einem Militärstützpunkt aufwächst, mehrsprachig? Steckt die Familie des Idols dauernd mit den Gis zusammen?

Eine solche Geschichte wird stets von einem großen Medienrummel begleitet. Alles klang erst dann realistischer, als ich hörte, daß zwei Firmen eine Menge Geld ausgaben, um die neuesten Datenerfassungsverfahren mit dem Ziel zu benutzen, die Bewegungen des virtuellen Idols auf dem Computer geschmeidiger zu simulieren. Ganz offensichtlich ist dieses Mädchen ein Produkt der neuesten Computertechnologie und der Fernsehgesellschaften.

In einem Text über die Geschichte der Sexualität zitierte Michel Foucault die Traumdeutung von Artemidorus. Dieser stellt als allgemeine Regel fest, daß Frauen in Träumen ein Symbol dafür seien, "was dem Träumer geschehen werde, so daß der Charakter und das Aussehen der Frau bestimmen, was er erleben wird." Zur traditionellen Trias Ehefrau, Geliebte und Prostituierte fügt Artemidorus beispielsweise die unbekannte Frau hinzu, der man begegnet. Deren Bedeutung hängt davon ab, was sie ist. In diesem Fall hängt die Bedeutung des Traumes für die Zukunft von der sozialen "Bedeutung" der Frau ab, die in ihm erscheint.

Virtuelle Idole und Anime-Mädchen sind etwas Neues in der menschlichen Geschichte. Wir haben bislang noch nicht damit begonnen, über ihre soziale Bedeutung nachzudenken. Und kaum jemand hat ihre Stellung in der Geschichte der Sexualität definiert. Doch junge Menschen haben solche sexuellen Wünsche und träumen von künstlichen Mädchen, weil diese nicht nur in Computern, sondern auch in biologischen Körpern abgespeichert werden können.