Leben mit Entscheidungsmaschinen

Seite 2: Spektrum der Lifelogging-Anwendungen

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Das Spektrum von Lifelogging-Anwendungen ist dabei umfassend. Ich möchte andeutungsweise sechs verschiedene Formen von Lifelogging unterscheiden:

  1. Typ 1 bezieht sich auf präventives Gesundheitsmonitoring. Dabei geht es darum, in Echtzeit biometrische Daten am eigenen Körper zu vermessen. Dieser Bereich wird oft auch als Self-Tracking bezeichnet. Quantified Self ließe sich hier einordnen. Beispiele hierfür sind Schrittzähler, Vibrationsgurte, die eine schlechte Sitzhaltung anzeigen oder Apps, die Kalorien zählen.
  2. Typ 2 bezieht sich auf kollaboratives (also gemeinsames) Heilen. Diese Form der Selbstvermessung folgt kuratorischen Motiven, d.h. Personen, die bereits an einer chronischen oder seltenen Krankheit leiden, vergleichen die Wirkung von Medikamenten oder Therapien auf entsprechenden Web-Plattformen und kontrollieren so die Versprechungen der Pharmaindustrie. Patients Like Me oder Cure Together sind Beispiele für diesen Typ der Selbstvermessung.
  3. Typ 3 zielt auf die Nachverfolgung des Aufenthaltsorts von Personen durch GPS oder Funkzellenorten ab und wird deshalb auch Human Tracking genannt. Geortet werden alle nur möglichen Personengruppen: Straftäter, Kinder, Ehepartner, Angestellte oder demente Senioren. Ein besonderer Aspekt ist das sog. "Ambient Assisted Living" (AAL). Dabei werden Wohnräume älterer Menschen mit Sensoren ausgestattet, um bei Abweichungen von einem "Profil" Alarme auszulösen. Deutlich wird hierbei auch die grundlegende Ambivalenz zwischen Sicherheitsversprechen und Kontrollmöglichkeiten, zwischen Ermöglichung von Autonomie und gleichzeitigem Eingriff in diese Autonomie.
  4. Typ 4 hat die Auslagerung des eigenen Gedächtnisses in einen digitalen Erinnerungsspeicher zum Ziel. Bei Microsoft wird dieser Ansatz Total Recall genannt. Im Zentrum stehen dabei Lifelogging-Kameras, die am eigenen Körper getragen werden und sensorgesteuert Bildserien aufnehmen. Damit entstehen riesige Datenarchive, die es möglich machen, in den eigenen Erinnerungen zu "googeln" und die Bilder mit zahlreichen Kontextdaten zu verknüpfen.
  5. Typ 5 zielt auf nicht weniger als auf digitale Unsterblichkeit ab. Erreicht werden soll dies entweder durch digitale Lebensgeschichten (sog. "Rememories"), durch digitale Avatare oder im Extremfall durch die Übertragung des eigenen Bewusstseins in einen Datenspeicher. Letzteres ist die Idee des Trans- bzw. Posthumanismus.
  6. Typ 6 schließlich ist die totale und freiwillige Datentransparenz von Bürgerinnen und Bürgern. Im Gegensatz zu "Surveillance", der Kontrolle von oben, geht es dabei um "Wachsamkeit von unten". Deshalb wird dieser Ansatz auch "Sousveillance" genannt. Rob Spence, Steve Mann und Hasan Elahi sind gleichermaßen Forscher und Aktivisten, die mit ihren jeweiligen Projekten zur totalen Transparenz auf die Gefahr der schleichenden Verschiebung der Grenze zwischen Privat und Öffentlich aufmerksam machen.

Allen Typen gemeinsam ist, dass es sich hierbei weniger um technische Innovationen, als vielmehr um soziale Entgrenzungen handelt. Die damit verbundene Diagnose lässt sich in einem Satz zusammenfassen:

Aus (beschreibenden) Daten werden Daten.

Oder anders herum gesagt: Daten "übersetzen" soziale Erwartungen. Die Frage ist nur, was bei dieser Übersetzung mit uns, den eigentlichen "Datenträgern", passiert.

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