Leben wie die Maden im Speck
Seite 3: Politik in der Hand von "beknackten" Berufspolitikern
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Tatsächlich haben die Berufspolitiker in Bundestag, Landtagen und im Europaparlament durch mieseste Trickserei die Dinge auf den Kopf gestellt. Die "Diäten" sollten ja ursprünglich einmal für den aufreibenden Aufwand der Parlamentstätigkeit entschädigen. Sie waren und sind noch immer als Entschädigungen für ihren Aufwand gedacht. So lautet auch die offizielle Bezeichnung. In Wahrheit jedoch entschädigen sich die Abgeordneten für ihren Aufwand heute vollständig aus anderen Töpfen. Und die Diäten sind nichts anderes als das Berufspolitiker-Grundgehalt, von dem sie unter anderem ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Die Verteilung der Gelder auf die einzelnen Abgeordneten nach dem Gleichheitsprinzip generiert große Ungleichheit: Für die vielen Abgeordneten, die im Hauptberuf Beamte und Angestellte im unteren und mittleren Dienst sind, läuft das mitunter auf eine Verdoppelung und Verdreifachung ihrer Einkünfte hinaus.
Für sie bedeutet der Eintritt in ein Parlament einen deutlichen Einkommensgewinn, von dem sie zuvor nicht einmal träumen durften. Daher kleben sie auch so sehr an ihrem Abgeordnetensitz. Der Beruf des Politikers bedeutet für sie den Eintritt in eine höhere Einkommensklasse. Und folglich hängen sie an ihrem Posten.
Wer als Abgeordneter seinen ursprünglichen Beruf aufgibt - und das tun die meisten - ist wirtschaftlich abhängig und darauf angewiesen, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden. Um wiedergewählt zu werden, braucht er das Wohlwollen seiner Partei und seiner Fraktionsführung, und das erwirbt er sich durch Wohlverhalten.
Für hoch qualifizierte Spitzenkräfte hingegen bedeutet das Abgeordnetenmandat eine einschneidende finanzielle Verschlechterung. Die Folge: Im Bundestag finden sich kaum Spitzenkräfte. Es herrscht Mittelmaß. Spitzenleute tun sich das auf Dauer nicht an, meint der einstige Jungsozialist und wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Roth, nachdem er an die Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB) gewechselt war:
Wer ökonomisch denkt, ist völlig beknackt, wenn er in den Bundestag geht. Das Parlament ist, finanziell gesehen, eine nette Karriere für einen Studienrat, aber sonst ...
Wolfgang Roth
Dass es bei ihrer Parlamentsarbeit auch und vor allem um ihre ureigensten und höchst persönlichen wirtschaftlichen Interessen geht, wissen und praktizieren die Politiker im Bundestag selbst am allerbesten: Es kommt nicht von ungefähr, dass sich besonders viele beamtete Abgeordnete ausgerechnet im Innenausschuss des Bundestags tummeln, zu dessen vornehmsten Aufgaben die Besoldung von Beamten und öffentlichen Angestellten gehört. Und im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten finden sich immer besonders viele Land- und Forstwirte.
Die Begründung lautet natürlich, dass Beamte besonders viel von Besoldungsfragen und Landwirte besonders viel von Landwirtschaft verstehen. Daran besteht auch gar kein Zweifel. Aber außerdem haben sie besonders ausgeprägte und höchst persönliche wirtschaftliche Interessen, die sie in ihrer Ausschussarbeit wirksam vertreten und durchsetzen können.
Jeder Politiker würde den Gedanken sofort begreifen: Wenn in einem Parlament die Partei Die Linke die Mehrheit der Abgeordnetensitze bekäme, obwohl sie in der Bevölkerung noch nicht einmal von zehn Prozent gewählt würde, dann würde der Bundestag nur sehr wenige Entscheidungen treffen, die von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden könnten.
Wenn in einem Parlament jedoch große soziale und berufliche Gruppen überhaupt nicht und stattdessen relativ kleine Gruppen drastisch überrepräsentiert sind, dann soll dieses Parlament ausgerechnet bei Entscheidungen, die soziale, wirtschaftliche, berufliche und kulturelle Interessen betreffen, Entscheidungen fällen, die den entweder gar nicht oder aber unterrepräsentierten Interessen entsprechen? Für wie doof halten die demokratischen Politiker eigentlich das Volk?
Demokratietheoretische Märchenstunden fürs Volk
Das gehört nun eindeutig in die demokratietheoretische Märchenstunde. Und wem, glauben die Politiker, diesen Bären noch aufbinden zu können? Zumal ja wirtschaftliche, berufliche und soziale Interessen ein wesentlich stärkeres Gewicht haben als allgemeine politische Orientierungen an den großen, in der Bevölkerung vorherrschenden Strömungen.
Wen also repräsentieren die Parlamentarier - außer ihre politischen Parteien und sich selbst? Die entwickelten Demokratien unserer Zeit des Niedergangs rekrutieren ihr politisches Personal im Wesentlichen durch Laufbahnen in politischen Parteien und durch Wahlen. Und das bedeutet konkret: Der Bundestag, die Landtage und auch die tausende von Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten spiegeln nicht die breite Bevölkerung, sondern vor allem die Funktionsträger und Aktivisten in den politischen Parteien wider. Und das wiederum ist eine ganz und gar jämmerliche Form der Repräsentation. Es ist eine Form der Repräsentation, an der kaum etwas Demokratisches dran ist.
Längst haben die Parlamente ihre Bestimmung völlig eingebüßt, das Volk zu repräsentieren. Sie sind zu Stätten verkommen, in denen sich Parteifunktionäre treffen und Entscheidungen registrieren, die Parteigremien ausgekungelt haben. Ein Parteipolitiker wirft nicht im Moment seiner Wahl sein Wolfsfell ab und mutiert zu einem friedlichen Schaf, das die Parlamentswiese auf der Suche nach der blauen Blume des Gemeinwohls abgrast.3
Mit der wachsenden Professionalisierung politischer Laufbahnen kommt es zunehmend zu einem wechselseitigen Durchdringungsprozess von Behördenmitarbeitern, Beschäftigten und Amtsträgern aller politischen Ebenen von der Gemeinde bis hin zum Bund. Beamte und Angestellte begegnen einander in den politischen Parteien, in den Behörden und den politischen Ämtern. Die "politische Kaste" aller Ebenen bleibt weitgehend unter sich, ihre Angehörigen tauschen sich untereinander aus und geben einander die Klinken in die Hände.
Die Machtelite und die Idioten im Volk
Über Fluch und Segen des Systems der repräsentativen Demokratie wird meist nur gar zu theoretisch diskutiert. Es hat Vorteile und es hat Nachteile. Darin liegt nicht das Problem. Das repräsentative System im Stadium der entwickelten Demokratie ist etwas grundsätzlich anderes als das in den jungen Jahren einer sich kraftvoll entwickelnden Demokratie.
Im Endstadium haben sich die Strukturen so verfestigt und verhärtet und die Oligarchien sich festgefressen, dass das gesamte System nur noch Chaos gebiert und die herrschende Machtelite sich gegen die Bevölkerung zusammenrottet und ihr Schaden zufügt.
Mit dem System der repräsentativen Demokratie verbinden sich zwei Ansprüche: (1) Es will die soziale und politische Struktur der Bevölkerung widerspiegeln und (2) es will so dem Gemeinwohl besonders erfolgreich dienen, indem es den wesentlichen Strömungen in der Bevölkerung Gehör verschafft.
Das politische System der Bundesrepublik - wie auch das System aller anderen repräsentativen Demokratien - leistet weder das eine noch das andere. Es behandelt große Teile der Bevölkerung als quantité négligeable, und es dient nicht dem Gemeinwohl sondern partikularen Interessen.
Die Interessen der Repräsentanten und der Repräsentierten - einfacher: der Politiker und der breiten Bevölkerung - sind im Laufe der Jahrzehnte kontinuierlich auseinander gedriftet, und zwar zu Gunsten der Interessen der Politiker und zu Lasten und auf Kosten der Bevölkerung. Die Bevölkerung weiß das längst. Die Politiker streiten das noch vehement ab.
Die Politiker eint der Blick von oben herab auf die Bevölkerung und ein ausgeprägtes Eigeninteresse an Positionen, Karrieren und Pfründen. Sie empfinden eine gehörige Verachtung für das gemeine Volk: "Die Überzeugung, dass er es draußen im Lande mit Millionen von Idioten zu tun hat, gehört zur psychischen Grundausstattung des Berufspolitikers", soll Hans Magnus Enzensberger einmal gesagt haben.
Mehr noch: Weil die Beziehung zwischen den Repräsentanten und denjenigen, die sie repräsentieren sollten, nachhaltig gestört ist und die Repräsentanten ganz und gar andere Interessen verfolgen als die Repräsentierten, hat sich ein Sumpf aus Korruption und Kungelei ausgebreitet, der die politische Szenerie weitgehend beherrscht.
Wenn jedoch die Repräsentanten andere Interessen vertreten als diejenigen, die sie repräsentieren sollen, ist der innere Friede des Landes gefährdet. Denn auf einer Interessengleichheit von Repräsentanten und Repräsentierten, von Vertretungsmacht und politischem Volk beruht der demokratische Frieden. Dessen ernsthafte Gefährdung drückt sich vorerst noch nur in herrschender Politikverdrossenheit und verbreiteter Politikerschelte aus. Doch es ist damit zu rechnen, dass die Kluft sich weiter öffnet und in nicht allzu ferner Zukunft zu offener Demokratiefeindlichkeit auswächst.
Teil 4: Parlamentarier sind Vertreter der Parteifunktionäre.
Die 4. Folge zeigt, wie die staatlich finanzierten politischen Parteien alle Spuren von demokratischer Spontaneität und Selbstorganisation im Keim ersticken. Wenn den Parteien die Mitglieder in hellen Scharen davonlaufen und die Leute sich von der Politik und den Politikern in Massen abwenden, so macht das gar nichts. Dann greifen die Parteien halt den Steuerzahlern noch etwas tiefer in die Taschen und lassen sie ihre Organisationen bezahlen.
In den Gründungsjahren der Bundesrepublik wäre niemand auf die absurde Idee verfallen, dass die Parteien sich von den Steuerzahlern finanzieren lassen dürften, nur weil sie aus eigener Kraft nicht existenzfähig sind. Heute ist das zur Selbstverständlichkeit geworden. Die politischen Parteien könnten keine zwei Tage überleben, entzöge man ihnen die staatliche Unterstützung, mit der sie sich selbst künstlich am Leben erhalten. Die politischen Parteien und ihre Amts- und Mandatsträger sind so gut wie vollständig staatsfinanziert. Sie haben den Staat usurpiert und nähren sich prächtig von den Tributzahlungen der Steuerzahler.