Lernen und suchen auf dem Weg zur E-Demokratie
Interview mit Jörg Tauss.
Nimmt das Versprechen der »elektronischen Demokratie« Formen an? Die Neuregelung des Datenschutzes soll dafür als ein Pilotprojekt dienen. Jörg Tauss, Bundestagsabgeordneter der SPD, gehört neben Cem Özdemir (B90/Grüne) zu den Initiatoren des Vorhabens. In einem Interview erläutert er seine Vorstellungen.
Warum ist der Datenschutz reformbedürftig?
Jörg Tauss: Das alte Datenschutzgesetz stammt noch aus den siebziger Jahren, aus den Zeiten als noch zentralisierte Datenverarbeitungssysteme vorherrschten. Dort setzt der klassische Datenschutz an. Heute haben wir Kapazitäten, welche den Leistungen eines Großrechners von damals entsprechen, an jedem Arbeitsplatz, und die Rechner sind vernetzt. Das macht es erforderlich, sich der Entwicklung zu stellen.
Außerdem hat es in den letzten Jahren eine Reihe von Veränderungen gegeben, sowohl durch die Rechtsprechung als auch durch neue Gesetze, etwa das Teledienstedatenschutzgesetz. Dadurch ist das Datenschutzgesetz sehr unübersichtlich geworden, und es hat sich im Bereich des Datenschutzes eine erhebliche Rechtsunsicherheit eingestellt. Schließlich drängt auch die Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie. Wir müssen also modernisieren und Widersprüchlichkeiten aufheben.
: Was soll der Datenschutz in Zukunft berücksichtigen?
Jörg Tauss: Ein Ziel besteht darin, das Gesetz lesbarer und schlanker zu machen. Zum anderen bemühen wir uns den Datenschutz - und insofern bekommt er eine neue Aufgabe - auch als Wettbewerbsvorteil zu gestalten. Wir wollen also nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Bürger, ihre informationelle Selbstbestimmung sichern; parallel gilt es, sich zu überlegen, wie zum Beispiel beim E-Commerce Datenschutz und Datensicherheit verknüpft werden können.
So haben Deutsche und Europäer im Vergleich zu den Amerikanern zum Datenschutz eine andere Einstellung. Jemand der über das Internet bei einer amerikanischen Firma kauft, weiß natürlich, dass er nach hiesigem Recht keinerlei Sicherheit als Verbraucher hat. Umgekehrt kann er jedoch darauf vertrauen, dass eine Firma in Deutschland sich an die deutschen oder europäischen Standards hält. Der Wettbewerbsvorteil meint, dass in Zukunft das E-Business mit dem Slogan werben kann: "Wir halten uns an das Prinzip der Vertraulichkeit der Daten."
: Was soll die Einbeziehung des Internet der Neukonzeption bringen?
Jörg Tauss: Zur Zeit wird unter dem Schlagwort »elektronische Demokratie« viel über mehr Transparenz in der Politik diskutiert. Wir sind der Auffassung, dass gerade ein sehr fachspezifisches Gesetz, wie das Datenschutzgesetz, gute Voraussetzungen bietet, dass die Politik sich auch nach Kompetenz von außerhalb umsieht. Dabei gehe ich davon aus, dass alle, die sich für Datenschutz interessieren, auch Zugang zum Netz haben und diese Debatte verfolgen können.
Unsere Überlegungen reichen dabei bis hin zu virtuellen Anhörungen, die natürlich reale Anhörungen nicht ersetzen werden. Über die Veröffentlichung von sämtlichen Stellungnahmen - auch von Lobbyisten - soll transparent werden: Wie entsteht dieses Gesetz? Wo liegen mögliche Konfliktpunkte? Über die Konflikte wäre dann ein Dialog zu organisieren. Etwa wenn die Polizei behauptet, »Datenschutz ist Täterschutz«. Das möchte ich auch nicht pauschal vom Tisch wischen, aber ich würde es nicht als Behauptung stehen lassen, sondern den Datenschützern die Möglichkeit zur Antwort geben wollen: »Zeigt uns ein Beispiel wo Datenschutz es verhindert hat, den Täter zu fassen.«
Der Dialog könnte helfen, weil nach meiner Erfahrung die Interessengruppen gerade im Bereich des Datenschutzes sich kaum ausgetauscht haben. So drängte die Polizei darauf, die Überwachungsmethoden aus der Sprachtelefonie auf den IT-Bereich zu übertragen. Andere Standpunkte wurden dabei nicht einbezogen. Umgekehrt beschäftigen sich Informatiker und Datenschützer selten mit den Sorgen der Polizei. Die Aufgabe bestünde darin, einen Dialog zwischen den Interessengruppen zu organisieren, ihn auf eine fachliche Ebene zu bringen und Emotionen nach Möglichkeit auszusparen.
Letztlich wollen wir im parlamentarischen Raum auch praktische Erfahrungen gewinnen: Wie kann so eine Initiative funktionieren? Wie stößt sie auf Interesse? Wie lösen wir die technischen Probleme?
Wie soll der Dialog organisiert werden?
Jörg Tauss: Wir wollen, wie gesagt, die Positionen veröffentlichen. Im Rahmen des Projekts soll dann die Software so eingerichtet werden, dass sie es erlaubt, verschiedene Dialoge zu führen. Neben den virtuellen Anhörungen werden wir unterschiedliche Diskussionsforen einrichten: Solche, die komplett für die Öffentlichkeit bestimmt sind, andere, in denen Passwort-geschützt diskutiert, aber die Debatte trotzdem von außen verfolgt werden kann. Zuletzt soll es Raum für interne Diskussionen geben, wo Abklärungen getroffen werden können. Auch dieser Austausch soll dann am Schluss wieder transparent gemacht werden. Das ist die Chance, die das Internet einfach bietet.
Dazu gehört, dass auch normale Internet-Nutzer teilnehmen können?
Jörg Tauss: Ja, selbstverständlich. Wir müssen sehen, welche Resonanz das Projekt findet. Wir hoffen, nicht von 15.000 E-Mails erschlagen zu werden, aber wenn sich viele mit hervorragenden Anmerkungen ansammeln, liegt es nahe, sie auch zu verwenden.
Es gibt übrigens sogar Interesse von einem Online-Dienst, der erwägt sich zu engagieren, um seinen Nutzern zu zeigen, wie so ein Gesetz entsteht. Wir zielen durchaus auch aufs Publikum. Allerdings denken wir nicht, dass der Datenschutz ein Massenphänomen hervorrufen wird.
: Kennen sie Initiativen von politischer Seite, die Ähnliches versucht haben?
Jörg Tauss: Nein, das ist neu in Deutschland. Ich weiß, dass wir auch von Ministerien beäugt werden. Dort wartet man ab, ob das Vorhaben erfolgreich ist. Dann würde man prüfen, ob sich das Modell auf andere Bereiche übertragen lässt. Im Moment sind wir die Pioniere.
Sie haben mit einer Online-Diskussion bei der ZEIT zum Thema E-Demokratie Erfahrungen gemacht. Der Ansatz dort war, die Leute aufzufordern, die Fragen bei der ZEIT zu diskutieren. Die Reaktionen darauf waren eher zurückhaltend.
Jörg Tauss: Ich schätze, das hängt von der Vorgehensweise ab. Wir haben beispielsweise Anträge, die im Bundestag zur Diskussion standen, schon in der Phase ihres Entstehens veröffentlicht. Daraufhin bin ich offensiv in ein paar Newsgroups gegangen und muss sagen, dass ich dort andere Erfahrungen gemacht habe. Dagegen wartete DIE ZEIT darauf, dass man zu ihr kommt.
Zudem fallen die Reaktionen auch von Thema zu Thema unterschiedlich aus. Wir hatten zum Beispiel auch schon Chats im Bundestag. Einige waren weniger erfolgreich, und bei anderen - fachbezogenen - gab es eine sehr hohe Beteiligung. Ich denke, in diesem Bereich lernen wir täglich dazu. Aus der ZEIT-Diskussion habe ich gelernt, Zeiträume für Stellungnahmen nicht zu knapp anzusetzen. Außerdem sollte die Diskussion der Fachleute auf einen kurzen Zeitraum konzentriert werden. Wer sich dann nicht äußert, hat Pech gehabt. Schließlich müsste die Diskussion schneller für Außenstehende geöffnet und länger offen gelassen werden. Wir sind da alle Lernende und Suchende.