Leugnen, täuschen, verzögern: Wie Desinformation Klimaschutz behindert
Eine neue Studie zeigt: Fehlinformation erschwert weiter notwendige Reaktion auf die Klimakrise. Es wird abgelenkt und verzögert. Selbst grüne Argumente können blockieren.
Im Vorfeld des nächsten Weltklimagipfels im November ist ein Bericht erschienen, der zeigt, wie weiter Fehlinformationen und Desinformationen über das Klima die Debatte beherrschen. Er listet diverse Strategien auf, mit denen Klimaschutz-Maßnahmen behindern werden sollen. Unternehmen und Regierungen werden zugleich Vorschläge gemacht, wie sie darauf reagieren sollten.
Der Bericht mit dem Titel "Deny, Deceive, Delay: Documenting and Responding to Climate Disinformation at COP26 and Beyond" (Dokumentieren und Reagieren auf Klima-Desinformation bei COP26 und darüber hinaus) wurde vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) und der Koalition Climate Action Against Disinformation (CAAD) veröffentlicht.
Die beiden Organisationen weisen darauf hin, dass überall auf der Welt Fehlinformationen als zentrales Hindernis für Maßnahmen erkannt werden. Das hat auch der Weltklimarat IPCC in einem Bericht vom Februar getan. Darin unterstreicht er die Notwendigkeit, dass Regierungen – insbesondere die der reichen Nationen – ihre Antwort auf den planetaren Notstand verbessern müssen.
Rhetorik und Fehlinformationen über den Klimawandel und die absichtliche Untergrabung der Wissenschaft haben dazu beigetragen, dass der wissenschaftliche Konsens falsch wahrgenommen wird, dass Ungewissheit herrscht, dass Risiken und Dringlichkeit missachtet werden und dass es zu Meinungsverschiedenheiten kommt,
heißt es im IPCC-Bericht.
Darüber hinaus tragen eine starke Bindung an Parteien und eine parteipolitische Meinungspolarisierung dazu bei, dass sich Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel verzögern, vor allem in den USA (...), aber mit ähnlichen Mustern in Kanada.
In der Zusammenfassung des neuen Reports heißt es:
Auf der Grundlage der in den letzten 18 Monaten durchgeführten Untersuchungen, insbesondere im Anschluss an die COP 26 (Weltklimagipfel in Glasgow, Telepolis), haben wir eindeutige Belege für einen wachsenden Missstand, der angegangen werden muss. Das Versäumnis, Fehlinformationen und Desinformation im Internet einzudämmen, hat dazu geführt, dass Junk-Wissenschaft, Klimaverzögerung und Angriffe auf Klimaexperten zum Mainstream wurden.
Und der Bericht fährt fort:
Unsere Analyse hat gezeigt, wie eine kleine, aber engagierte Gruppe von Akteuren eine unverhältnismäßige Reichweite und ein unverhältnismäßiges Engagement in den sozialen Medien hat, die Millionen von Menschen weltweit erreichen und von den alten Print-, Rundfunk- und Radiosendern unterstützt werden.
Zu diesen Akteuren gehören rechtsgerichtete Persönlichkeiten wie Dinesh D'Souza und Sebastian Gorka, der selbsternannte "Greenpeace-Aussteiger" Patrick Moore, der Professor der Universität Toronto Jordan Peterson, die kanadische Gruppe Friends of Science und das Medienunternehmen PragerU.
"Weit davon entfernt, dieses Problem zu entschärfen, scheinen Internet-Plattformsysteme die Verbreitung solcher Inhalte zu verstärken oder zu verschlimmern", heißt es in dem Bericht weiter. "Darüber hinaus ist noch nicht wirklich untersucht, welche Schäden Klimafehl- und -desinformationen bisher anrichten – das bietet keine gute Grundlage für Reaktionen darauf."
Jennie King, Leiterin der Abteilung für Klimadesinformation bei ISD, sagte in einer Erklärung, dass
unsere Analyse gezeigt hat, dass Klimadesinformationen komplexer geworden sind und sich von offener Leugnung zu erkennbaren "Diskursen der Verzögerung" entwickelt hat, um die Kluft zwischen Akzeptanz für die Energiewende und Handeln zu missbrauchen.
Der Bericht warnt, dass "selbst bei einem breiten Konsens in der Klimafrage noch ein langer Weg vor uns liegt, um einen sinnvollen politischen Wandel im Einklang mit den Warnungen des IPCC und den Zielen des Pariser Abkommens zu erreichen". Die Autoren weisen zugleich darauf hin, dass diejenigen, die gegen mutige Schritte sind, die Wissenschaftler für notwendig halten – wie den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen –, sich auf diese Lücke konzentrieren, um "den Status quo zu erhalten".
Die Studie analysiert diese neuen Taktiken detailliert:
Argumente, die als "pro-grün" bezeichnet werden, können immer noch für Trägheit oder Untätigkeit plädieren, oft unter dem Deckmantel pragmatischer Steuerpolitik, der Logik des freien Marktes und der Sorge um die individuelle Freiheit. Zugleich ist der Umweltschutz zusammen mit politischen Themen wie Migration und öffentlicher Gesundheit im Zuge der Coronapandemie zu einer neuen Front im Kulturkampf geworden, die ihr Fundament in einer breiten Identitäts- und Beschwerdepolitik hat. Ob durch Verschwörungen wie ein "Klima-Lockdown" oder durch die Verquickung der Klimakrise mit spalterischen Themen wie der kritischen Rassentheorie, den Rechten von LGBTQ+ und dem Zugang zur Abtreibung – das Ziel vieler Fehlinformationen und/oder Desinformationen zum Klimawandel ist es nun, abzulenken und zu verzögern. Da das Zeitfenster zum Handeln jedoch als immer enger angesehen wird, könnte sich ein solcher Ansatz als fatal erweisen.
Die Beobachtung sozialer Medien durch die Forscher während und nach der COP 26 in Glasgow, Schottland, ergab vier Hauptdiskurse der Verzögerung – Heuchelei und Elitismus, Absolutismus, Unzuverlässigkeit der erneuerbaren Energien und ineffektive Elektrofahrzeuge –, obwohl der Bericht einräumt, dass "solche Narrative nicht immer eindeutig sind und sich in einigen Fällen überschneiden".
King sagt, dass
Regierungen und Social-Media-Plattformen die neuen Strategien, die verfolgt werden, erkennen und verstehen müssen. Sie sollten sich bewusst darüber sein, dass sich Desinformation bei der Klimakrise immer stärker mit anderen Fehlentwicklungen verbindet, einschließlich der Aushebelung des Wahlsystems, dem Streit um öffentliche Gesundheit rund um die Coronapandemie, Hassreden und Verschwörungstheorien.
King weist darauf hin, dass man sieben konkrete Maßnahmen vorgeschlagen habe, die ergriffen werden können, um die Verbreitung und die Auswirkungen solcher relativistischen Inhalte zu vereiteln sowie staatliche Klimaschutzmaßnahmen zu ermöglichen, die auf Wissenschaft und einer ernsthaften Debatte basieren.
Die sieben politischen Forderungen sind:
Einführung einer einheitlichen Definition von Klimafehl- und -desinformation in den zentralen Institutionen (z. B. IPCC, UNFCCC) und Aufnahme dieser Kriterien in die Standards bzw. Nutzungsbedingungen von Technologieunternehmen
Durchsetzung von Plattformrichtlinien gegen Konten von "Wiederholungstätern"
Begrenzung der Schlupflöcher in der Gesetzgebung für Medien
Verbesserung der Transparenz in Bezug auf Klima-Desinformationstrends und die Rolle, die die algorithmische Verstärkung spielt
Verschärfung der Kennzeichnung von Plattformen in Bezug auf "fehlenden Kontext" und das erneute Einstellen von alten oder recycelten Inhalten
Bezahlte Werbung und gesponserte Inhalte von Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, bekannten Tarnorganisationen und/oder Akteuren, die wiederholt Desinformationen über das Klima verbreiten, einschränken
und
Ermöglichung der bildbasierten API-Suche (Application Programming Interface, Telepolis) zur Unterstützung der Forschung über virale Desinformation.
Während sich Klima-Fehlinformationen weiterentwickeln und die Arbeit von verantwortungsbewussten Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen untergraben, kämpfen dieselben Institutionen oft in einer Weise dagegen an, als befänden wir uns noch in den 1990er Jahren,
erklärte Sean Buchan, Leiter der Kampagne Stop Funding Heat.
Wir müssen schnell aufholen. Wir hoffen, dass dieser Bericht dazu beitragen wird, einen Wandel in der Art und Weise herbeizuführen, wie wir zusammenarbeiten und dieses unglaublich gefährliche Problem bekämpfen.
Michael Khoo, Co-Vorsitzender der Klima-Desinformations-Koalition bei Friends of the Earth in der USA betonte, dass "die Regierungen von den Social-Media-Unternehmen Transparenz und Rechenschaft über die schädlichen Effekte verlangen müssen, die ihre Produkte verursachen, so wie sie es bei jeder anderen Branche tun, von Fluggesellschaften über Autos bis hin zur Lebensmittelverarbeitung."
Wie Khoo es ausdrückte:
Wir sollten dieses endlose Spiel der Klimaleugnung nicht fortsetzen.
Der Artikel erschien zuerst auf dem Nachrichtenportal in den USA Common Dreams. Übersetzung: David Goeßmann.