Libanon: Hisbollah-Sieg ohne größere Auswirkungen?

Ethnoreligiöse Gruppen im Libanon. Grafik: Public Domain

In der "Konkordanzdemokratie" werden die Sitze und Posten paritätisch vergeben

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Der Libanon wurde von Frankreich bei der Aufteilung des aus dem Nachlass des osmanischen Reiches erhaltenen Mandatsgebiets als christlich dominierter Staat geplant. Allerdings zog man die Grenzen dabei so großzügig, dass das Staatsgebiet auch zahlreiche schiitische, sunnitische und drusische Gebiete umfasste. Da diese drei moslemischen Gruppen höhere Geburtenraten hatten, sind sie inzwischen keine Minderheit mehr, sondern stellen mit geschätzten knapp 60 Prozent die Mehrheit - Tendenz steigend.

Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, hat man aus dem Land eine so genannte "Konkordanzdemokratie" gemacht, bei der schon vor Wahlen feststeht, welche Volksgruppen welche wichtigen Staatsämter übernehmen: Der Staatspräsident muss ein Christ sein, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit. Sogar die Zahl der Sitze im Parlament ist bereits vorher ausgemacht - zwar nicht zwischen den Parteien, aber zwischen den ethnoreligiösen Gruppen.

Weniger als die Hälfte wählte

Es war deshalb wenig überraschend, dass sich von den 3,7 Millionen Wahlberechtigte am Sonntag weniger als die Hälfte die Mühe machte, eine Stimme abzugeben. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass diese Wahl wegen des Krieges in Syrien drei Mal verschoben worden war und das letzte Mal vor neun Jahren gewählt wurde. Die Schlangen vor den anscheinend nicht ausreichenden Wahllokalen waren trotzdem so lang, dass sich über 7.000 Wahlberechtigte beschwerten, weil die Lokale schlossen, bevor sie dran kamen.

Die vor dieser Wahl vorgenommene Umstellung auf ein verhältnisorientierteres Wahlrecht konnte das bestehende Parteiensystem nicht wesentlich aufbrechen. Von über 60 Kandidaten der neuen Anti-Establishment-Partei Kulna Watani gewann lediglich einer einen Sitz.

Überkonfessionelles Hisbollah-Bündnis

Als Wahlgewinner gilt die schiitische Hisbollah von Hassan Nasrallah, die nicht nur in Wahlen, sondern auch mit Waffen und Terroranschlägen um politische Macht ringt. Ihr traditionell wichtigster Bündnispartner ist die ebenfalls schiitische Amal von Nabih Berri, eine ehemalige Bürgerkriegsmiliz. Berri ist seit 1992 Parlamentspräsident und kann in dieser Position unter anderem Gesetze und Wahlen blockieren.

Den Zwischenergebnissen nach verharrt die Hisbollah zwar bei ihren bislang 13 Sitzen, erreicht aber zusammen mit ihren Verbündeten, zu denen auch christliche Abgeordnete gehören, eine Mehrheit. Zu diesen Verbündeten gehört neben der Amal, die bei 16 Sitzen landete, auch die christliche at-Tayyar al-watani al-hurr, die "Freie Patriotische Bewegung" des Ex-Präsidenten-Schwiegersohns Gebran Bassil, die auf 17 Sitze kommt. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der sie die Verfassung und die Paritätsregeln ändern könnte, hat das Hisbollah-Lager jedoch sicher verfehlt.

Wahlverlierer Hariri bleibt wahrscheinlich Ministerpräsident

Während die Hisbollah dem Iran nahesteht, gilt die sunnitische Tayyar al-Mustaqbal ("Zukunftsbewegung") des Ministerpräsidenten Saad Hariri als verlängerter Arm Saudi-Arabiens. Dort erklärte Hariri im November letzten Jahres seinen Rücktritt (angeblich aus Angst vor einer Ermordung), den er nach seiner Rückreise in den Libanon wieder zurücknahm. Über die Hintergründe dieses recht merkwürdigen Vorgangs und über die Rolle, die der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman dabei spielte, wird seitdem spekuliert.

Hariri wird trotz des hochgerechneten Rückgangs der Sitze seines Bündnisses von 33 auf 21 sehr wahrscheinlich wieder Ministerpräsident, weil diesen Posten ja ein Sunnit einnehmen muss. Gestern Nachmittag kündigte er an, mit allen Parteien zusammenarbeiten zu wollen. Seine 2009 errungene Parlamentsmehrheit hatte Hariri durch den Absprung der christlichen al-Quwwat al-lubnaniyya ("Libanesische Kräfte") von Samir Geagea bereits vorher verloren. Die aus einer Bürgerkriegsmiliz hervorgegangene Christenpartei konnten nach diesem Ausstieg die Zahl ihrer Sitze fast verdoppeln - von acht auf voraussichtlich 15.

Familienparteien

Mit der sunnitischen "Zukunftsbewegung" verbündet ist die Al-Hizb at-taqaddumi al-ischtiraki, die "Progressive Sozialistische Partei" der Drusen, die etwa sieben Prozent der Bevölkerung des Libanon stellen. Sie wird von der Familie Dschumblatt geleitet, welche im Bürgerkrieg auch die Parteimiliz anführte, die Christen aus der Bekaa-Ebene vertrieb. Ihr aktueller Anführer ist Taymour Dschumblatt, der Sohn von Walid Dschumblatt und Enkel von Kamal Dschumblatt. Er gewann am Sonntag alle acht Drusenmandate.

Ebenfalls dynastisch geführt ist die Ka'atib-Partei der maronitischen Gemayel-Familie, deren französischer Name Phalange die Inspiration durch die spanischen Falangisten offenbart. Staatspräsident Amin Gemayel besetzt das Amt für seine Familie inzwischen in der dritten Generation. Seinen Sohn Samy machte der Staatspräsident zum Parteivorsitzenden. Mit der Ka'atib verbündet ist die "nationalliberale" maronitische Hizb al-wataniyyin al-ahrar der Chamoun-Familie. Beide Parteien sind Verbündete der Sunnitenallianz.

Die Christen sind im Libanon in verschiedene Konfessionen gespalten: Die wichtigste Gruppe sind mit 21 Prozent Bevölkerungsanteil die Maroniten, die syrisch-aramäische Riten pflegen, aber den römischen Papst als religiöses Oberhaupt anerkennen. Sie leben vor allem im Zentrum des Landes. Über das ganze Land verstreut sind die acht Prozent griechisch-orthodoxen Christen und die etwa vier Prozent Armenier. Die griechisch-katholischen Melkiten, die etwa fünf Prozent der Bevölkerung stellen, leben dagegen vor allem im Nordosten, an der Grenze zu Syrien.