Libyen: Deutsche Überzeugungsarbeit gegen Parallelwelten
Haftar bleibt unbeirrt: "Eliminierung der Milizen und Terroristen". Aber der Berliner Prozess für den Frieden hat angeblich einen langen Atem
Neulich war im Radio zu hören, dass die Konditionsstärke der Deutschen zum Erfolg führen würde. Mit ihrem beharrlichen Reden würden sie die Partner auf lange Frist überzeugen, sie würden dann einlenken, zermürbt. Den "Berliner Prozess" für Libyen dürfe man nicht voreilig abschreiben. Der Hoffnung gehen jedenfalls die Worte so schnell nicht aus.
Besuch bei Haftar
Am Dienstag war eine EU-Delegation zu Besuch in Libyen bei Feldmarschall Haftar. Darunter auch der außenpolitische Berater der Kanzlerin Merkel, Jan Hecker. Worüber der Deutsche, die französischen Regierungsberaterinnen und der Berater des italienischen Premierministers mit dem Chef der Miliz LNA gesprochen haben, ist vertraulich. Als Ergebnis wird verkündet: Haftar bleibt unbeirrt.
Ziel sei die "Eliminierung der Milizen und Terroristen". Das ist für ihn die Hauptsache, um Stabilität in Libyen herzustellen, teilte sein Medienbüro zum Treffen mit. Gesprochen habe man über jüngste politische und militärische Entwicklungen. Wichtig waren die Fotos. Sie zeigen Haftar an seinem Oberbefehlshaber-Tisch und die fünf aufgereihten Gäste auf Stühlen, die nicht ganz das Format des Feldmarschall-Sessels haben.
Was außer einem Fototermin, den das General Command's media office ausgiebig auf seinen Facebook- und Twitterseiten nutzte, bleibt von diesem Gespräch? Irgendwo war zu lesen, dass sich doch daran wenigstens zeige, dass die drei EU-Länder Deutschland, Frankreich und Italien gemeinsam auftreten. Das reicht offenbar schon, um Hoffnung zu erzeugen, auch wenn es sonst nichts Spruchreifes gibt.
Merkel: "Es kann keine militärische Lösung geben"
Das Ziel der Verhandlungen, vorgegeben vom Berliner Prozess, ist einfach formuliert. Es läuft aber gegen alle Wirklichkeit, wie Haftar seinem Besuch wohl einmal mehr klarmachte. Es kann "keine militärische Lösung" geben, sagte Merkel auf der Berliner Libyenkonferenz.
Dort wurde ein Fahrplan ausgemacht. Die erste Station wäre ein Waffenstillstandsabkommen und die Verpflichtung, auf die sich alle geeinigt haben, heißt: "Respekt für das Waffenembargo".
Von beiden Zielen ist man Parallelwelten entfernt.
Ghassan Salamé: Mit allen geredet
Da nützt alles Reden nichts, wie der Chef der UN-Mission für Libyen (UNSMIL), Ghassan Salamé, eingestehen musste. Er trat am Montag von seinem Posten zurück: "Zu viel Stress", seine Gesundheit würde das nicht mehr erlauben. Die Verhandlungen, die er zuletzt geführt habe, um die Konfliktparteien zu einem Friedensprozess zu bringen, seien gescheitert, taucht in der UN-Meldung zu seinem Rücktritt ebenfalls auf.
Von Ghassan Salamé wird berichtet, dass er mit jedem gesprochen habe, dass er "die Lobby des Status quo" benannte und anders als seine Vorgänger auf die Korruption verwies, die den politischen Prozess unterminiert. Kommentiert wird dazu aber auch, dass er zu wenig mit den Stämmen und zu viel mit Muslimbrüdern gesprochen habe.
Schaut man sich ein Kurzprotokoll des Scheiterns bei den Genfer Gesprächen in der letzten Woche an, so versteht man den Rücktritt Salamés: Es geht um Boykottdrohungen, Postengeschacher, Streit ums Format, Zweifel an der Legitimität der Vertreter, Druck von äußeren Interessensmächten auf die Besetzung der Posten und Klagen, dass Stammesvertreter fehlen - das mühsame Kleinklein und keine Bewegung am Verhandlungstisch. Der politische Prozess ist ein Kreisel, der sich um sich selbst dreht.
Klare Ansagen
Dem stehen klare Ansagen gegenüber, wie sie Haftar macht, und wenig Argumente, die ihn von seinem Kurs abbringen, weiter eine militärische Lösung zu suchen - mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Saudi-Arabien und Ägypten im Rücken sowie die freundliche Rückendeckung der USA, Russlands, Frankreichs und auch un poco von italienischer Seite.
Die USA erklärten offiziell, dass es zwar gut wäre, wenn Haftar seine Offensive aussetze, das heiße aber nicht, dass man ihm sage, er solle aufgeben ("nobody is asking him to surrender"), Gespräche und Verhandlungen seien halt besser. Haftar lebte einige Jahre in den USA, er arbeitete mit der CIA zusammen.
Russland operiert auf mehreren Seiten, so legt die Führung in Moskau Wert darauf, dass man mit allen Seiten in Kontakt sei und auch die Seite des offiziellen Regierungschefs Sarradsch unterstütze. Freilich aber wurde Haftar früher mehrmals im Kreml empfangen und dass russische Söldner der Wagner-Gruppe die LNA unterstützen, wird zwar offiziell nicht kommentiert, aber es sind schon sehr viele Berichte, die darauf hinweisen. Die Rede ist gar davon, dass Saudi-Arabien die Wagner-Gruppe finanziell unterstütze (englisch hier).
Libysche Botschaft in Syrien eröffnet
Zu den Parallelwelten, die sich einem konventionellen Ordnungsverständnis gegenüber querstellen, gehört, dass sich Saudi-Arabien mit seiner Unterstützung Haftars der Regierung Baschar-al-Assad (immerhin enger Verbündeter Irans) indirekt annähert.
Denn die Regierung des Parlaments im Osten Libyens, das international anerkannt ist - und Haftars Stellung als Oberbefehlshaber der "libyschen Armee" begründet -, hat nun eine libysche Botschaft in Damaskus eröffnet.
Die Vorgänge in Libyen zeigen deutlich, dass die internationale Ordnung, wie sie lange Zeit durch eine US-Ordnungsmacht gestaltet wurde, hinüber ist, lautet die These des deutschen Libyen-Experten Wolfram Lacher. Seinem Bericht zu Libyen sind interessante Fakten aus den "Parallelwelten" zu entnehmen.
1.000 Drohnenangriffe aus dem Himmel über Libyen im letzten Jahr und die Tatsache, dass bei den allermeisten Luftangriffen, die auch von Kampfjets ausgeführt werden, in den meisten Fällen nicht festgestellt wird, wer die Verantwortung dafür trägt.
"Mitspieler", die dafür infrage kommen, gibt es mehrere: Die Vereinigten Emirate, Ägypten, die Türkei, die LNA und die USA, von denen Lacher meint, dass diese eine Ausnahme darin sind, dass sie in den meisten Fällen darüber berichten, wenn sie Luftangriffe gegen Terroristen unternommen haben.
... und Verschweigen
Dass der Wettkampf der technisch hochgerüsteten Gegner Türkei und der Vereinigten Arabischen Emirate in der Luft in den letzten Monaten der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Haftar auf der einen Seite und der Einheitsregierung (GNA) auf der anderen Seite eine große Rolle spielte, davon hat jeder informierte Mediennutzer etwas mitbekommen. Was man aber nicht hört, sind eindeutig benannte Verantwortlichkeiten.
So hat auch der Berliner Prozess nie die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Türkei offiziell als genau die benannt, gegen die sich die Befriedungsabsicht konkret richtet, wenn sie gegen den Proxy-War und die Einmischung von außen angehen will. Als naheliegender Grund wäre hier zu nennen, dass die VAE wie auch die Türkei geopolitisch und nicht zuletzt wegen lukrativer Waffengeschäfte ein zu großes Kaliber sind, um hier deutliche Worte zu sprechen.
Keiner will öffentlich die identifizieren, die für Angriffe verantwortlich sind - weder die UN-Unterstützungsmission in Libyen noch die USA noch irgendein anderer westlicher Staat. Es ist beinahe so, als ob der Kampf um Libyen ein kleiner Krieg unter Freunden ist und das "Outing" einer beteilgten Kriegspartei unhöflich wäre.
Wolfram Lacher
Aber auch hier erhebt die Hoffnung zaghaft ihre Stimme. Zwar wird der neuen maritimen EU-Mission Zweifel daran entgegengehalten, dass sie Schiffe oder Flugzeuge, die Waffen und im Fall der Türkei auch Kämpfer aus Syrien nach Libyen transportieren, kaum davon abhalten können wird. Wie soll denn ein solcher Einsatz ausschauen?
Der frühere UN-Waffeninspekteur Moncef Kartas kann der Mission jedoch einen Aspekt abgewinnen, der möglicherweise für künftige Verhandlungen von Belang sein könnte.
Nützliche Geheimdienstinformationen
Auch Kartas räumt ein, "dass es absolut keinen Respekt für das Waffenembargo gibt", aber die neue Variante der EU-Mission Sophia könnte einen "sehr wichtigen Beitrag zur Sammlung von Informationen für ein UN Panel liefern".
Kurz gesagt, wenn die Schiffe aufgehalten werden und nach Personalien gefragt wird, kann man Listen erstellen, deren Namen später auf UN-Papieren auftauchen, wo sie "als Störer oder Widersacher des Friedensprozesses identifiziert werden" - Beweismaterial, das in Verhandlungen eine Rolle spielen könnte, um Druck aufzubauen, so die Hoffnung.
Kartas verweist darauf, dass die frühere Mission Sophia Namen von Schleusern und Treibstoff-Schmugglern gesammelt hat. Er meint, dass aus Kostengründen, da Flüge sehr viel teurer seien, das Kriegsmaterial häufiger über Schiffe nach Libyen gebracht wäre.
Teil eines "kleinen Weltkriegs"
Das wäre auch eine Erklärung dafür, dass die Flug-Beobachter in den letzten Tagen feststellten, dass die Flüge von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Libyen zurückgegangen sind. Auch hier meldete sich die Hoffnung zu Wort, wonach sich die VAE doch Appellen füge, das Waffenembargo zu befolgen.
Geht es nach der Analyse von Herfried Münkler, so ist Libyen Teil eines "kleinen Weltkriegs", von Libyen bis Afghanistan, vom Jemen bis Syrien, der sich scher befrieden lässt, weil er Erwartungen und Usancen widerspricht, aus denen Konzepte stammen, die meinen, dass ein- oder zweittägige Friedenskonferenzen Bedeutendes bewirken könnten, dafür ist das Tableau der jeweiligen asymmetrischen Strategien und der Dilemmata zu vielfältig. Die Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg sei hier "lohnend".
Sein Ratschlag: Man müsse ich ähnlich wie beim Westfälischen Frieden "viel Zeit nehmen (…), mehr jedenfalls, als wir in moralischem Eifer zu haben glauben. Das ist die große Herausforderung, politisch wie mental".
Auf lange Frist würde die Deutschen angesichts des Friedensziels alle niederreden, lautete die Hoffnung in dem eingangs genannten Rundfunkkommentar.