Libyen: Haftar schafft Fakten, die der Türkei nicht gefallen
Der Feldmarschall erobert eine wichtige Küstenstadt und stellt damit die Frage, wie wichtig der Türkei ein militärischer Erfolg in Libyen ist
Haftars Offensive auf Sirte erhöht die Spannungen, zwei Tage vor dem anstehenden Besuch Putins in der Türkei. Die "Mission" in Libyen wird nicht einfach für die Türkei. Nun bahnt sich die erste Machtprobe an. Wie wird die Türkei auf die militärische Offensive des Generals (manchmal auch "Feldmarschall") Haftar reagieren?
Manche Beobachter hatten die Erwartungen hochgeschraubt und von einem Game-Changer gesprochen. Würde die Türkei offiziell in die kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen einsteigen, so werde sich das Blatt bald eindeutig zugunsten der von ihr unterstützten GNA-Regierung wenden, wurde vielfach spekuliert (anderseits mobilisiert der Militäreinsatz einer auswärtigen Regionalmacht immer auch den Zusammenhalt von Gruppierungen, die zuvor zerstritten waren).
Kaum hatte Präsident Erdogan bekannt gegeben, dass jetzt ganz offiziell türkische Militärhilfe ins nordafrikanische Land geschickt wird - allerdings keine Kampftruppen, sondern Ausbilder und einen General (Elitetruppen, schweres und wichtiges Kriegsgerät sollen schon da sein) - da machte sein Gegenüber, General Haftar, Schlagzeilen mit einem Überraschungsangriff auf den Küstenort Sirte, den seine Truppen am gestrigen Montag quasi im Handstreich eroberten.
Schnell Fakten gegen die Türkei schaffen
Damit verschafft sich der Widersacher der Einheitsregierung (GNA) einen strategischen Vorteil, der als bedeutend eingestuft wird. Sirte, früher die Stadt Gaddafis, gilt nun als Basis für Islamisten. Einer größeren Öffentlichkeit wurde Sirte vor ein paar Jahren dadurch bekannt, dass Bilder von IS-Milizen in Libyen von dort kamen. Das war kein Zufall, das Milieu war für den IS günstig.
Khalifa Haftar hat sich den Kampf gegen Islamisten als propagandistische Begründung für seine Eroberung der Hauptstadt Tripolis auf die Fahne geschrieben. Die Eroberung von Sirte ist eine wichtige Zwischenetappe, die zur Begründung des Vorgehens der von Haftar geführten "Libyschen Nationalarmee" (LNA oder zurzeit häufiger: LAAF) passt. Einige der Milizen, die auf der Seite der GNA gegen Haftar kämpfen, stammen aus dem Küstenort Misrata, der zwischen Sirte und Tripolis liegt. Der Osten der Stadt muss sich nun gegen Haftar wappnen.
Der Angriff des Milizenverbunds unter dem Kommando Haftars auf Sirte hat Beobachter überrascht. Nach Wochen und Monaten, in denen das Bild eines zermürbenden Stellungskriegs vor der Hauptstadt Tripolis dominierte, gibt es plötzlich Bewegung im Kriegsgeschehen. Dass dies mit der nun offiziell erklärten Militärhilfe der Türkei für die GNA-Regierung unter Führung von al-Sarradsch zusammenhängt, ist naheliegend. Haftar wollte offensichtlich schnell Fakten schaffen und seine Militärmacht demonstrieren.
Wer sich eine Karte von Libyen anschaut, sieht auf den ersten Blick, dass der Teil Libyens, der von Khalifa Haftar und seinen Verbündeten kontrolliert wird, um ein Vielfaches größer ist als die Gebiete, die unter der Kontrolle der GNA-Regierung und ihren Verbündeten stehen. Mit den Gebiets- und Machtansprüchen treten auch unterschiedliche Legitimitätsherleitungen in Konkurrenz.
Premierminister Sarradsch, auf den Erdogan setzt, ist Chef der international anerkannten Einheits- oder Konsensregierung, die auf Vermittlung der UN zustande gekommen ist. Sie ist keine gewählte Regierung und damit beständig Zweifeln an ihrem Rückhalt in der Bevölkerung ausgesetzt. Haftar, dem dagegen eine größere Beliebtheit nachgesagt wird, beruft sich auf das Parlament, das "Repräsentantenhaus" in Tobruk, dessen Abgeordneten gewählt sind und das ebenfalls international anerkannt ist.
Haftar nimmt in Anspruch, dass er als Befehlshaber der Reste der früheren libyschen Armee, die er neu aufgebaut hat, im Auftrag dieses Parlaments handelt, um gegen die Islamisten und "Terroristen" vorzugehen, die seiner Auffassung nach das Geschehen in der Hauptstadt bestimmen und zu viel Einfluss in der GNA-Regierung haben.
Dass die Türkei die GNA-Regierung in Tripolis und die mit ihr verbündeten Milizen unterstützt, mit Drohnen, gepanzerten Fahrzeugen und anderem Kriegsmaterial, aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit "Militärberatern", war längst kein Geheimnis mehr.
Trotzdem war die Überraschung groß, als bekannt wurde, dass die Türkei und die GNA zwei Abmachungen getroffen haben - einmal über ausschließliche Geschäftszonen und Förderung von Bodenschätzen im östlichen Mittelmeer und zum anderen zweiten zu einer militärischen Zusammenarbeit. Ideologisch gibt es überdies Gemeinsamkeiten über Muslimbrüder, die in der GNA-Regierung Einfluss haben. Haftar ist in den Augen Erdogans illegitim wie auch dessen Unterstützer.
Russland und Türkei in Libyen
Seine Offensive erhöht die Spannungen. Die haben Experten und Beobachter hauptsächlich im Verhältnis zwischen Russland und der Türkei gesehen. Eine russische Privatmiliz (Gruppe Wagner) unterstützt angeblich General Haftars Milizenallianz. Zwar dementiert das russische Sicherheitsunternehmen und im Kreml geht man ebenfalls auf Distanz, aber Berichte liefern Hinweise darauf. Dass der Einsatz der Türkei für die GNA den Schwierigkeitsgrad bei der Interessensvermittlung zwischen Russland und der Türkei erhöht, ist kaum zu bestreiten.
Auch wenn derzeit als wenig wahrscheinlich gilt, dass sich die Frage tatsächlich stellen wird: Wa würde passieren, wenn türkische Soldaten durch russische Söldner verletzt oder getötet würden? Erdogan betonte, dass man nicht beabsichtige, türkische Kampftruppen nach Libyen zu schicken. Er weiß um die Risiken, die er türkische Soldaten aussetzen würde.
Deren Aufgaben werden von syrischen Milizen erfüllt, die von der Türkei angeblich in Libyen besseren Sold als in der syrischen Kampfzone erhalten. Von den türkischen Spezialtruppen, die es in Libyen geben wird, erfährt man so wenig, dass es wahrscheinlich im Fall von unangenehmen Vorkommnissen keine Nachrichten geben wird. Doch von solchen Zuspitzungen, einer möglichen türkisch-russischen Konfrontation auf libyschen Kampfschauplätzen, die die Führung beider Länder wohl tunlichst vermeiden werden, abgesehen, stehen Erdogan und Putin auf unterschiedlichen Positionen.
Erdogans Ablehnung von Haftar ("illegitim") ist unmissverständlich. Russlands Führung unterstützt Haftar, wenn auch mit dem Zusatz, dass man auch mit der GNA und anderen Interessensparteien in Verbindung steht.
Die Hoffnung, die in Berichten außer den genannten Eskalations- und Zuspitzungsmöglichkeiten auftaucht, läuft darauf hinaus, dass Russland und die Türkei ein neues "Verhandlungsmomentum" in Libyen generieren könnten.
Dadurch dass die beiden mit den unterschiedlichen Konfliktparteien in engerem Verhältnis stehen, könnten sie sie auch über politischen Druck an den Verhandlungstisch bringen, lautet die Annahme. Dafür spricht, dass beide Länder in Syrien bereits Erfahrungen mit gemeinsamen Absprachen gesammelt haben.
Erdgasmarkt Europa: Türkische und russische Geschäftszonen
Dafür spricht auch, dass die Türkei der Einschätzung mancher Experten zufolge weniger auf militärische Eroberungen aus ist als auf eine übergreifende Strategie, die militärisch abgesichert ist und auf Verhandlungserfolge abzielt. Im Hintergrund geht es um die Erdgasvorkommen bei Zypern und deren Ausbeutung. Die Türkei fühlt sich, wie es Erdogan mehrmals betonte, bei der Hebung des Schatzes ausgeschlossen, den sich die Republik Zypern, Griechenland, Ägypten, Israel und europäische Staaten nach Ansicht Ankaras ohne überzeugende rechtliche Gründe untereinander aufteilen.
Daher das Memorandum über die Geschäftszonen im östlichen Mittelmeer, das die Türkei Ende November mit der libyschen GNA-Regierung schloss. Ankara betont damit seinen Anspruch, der dadurch erhärtet wird, dass die Absprache mit einer von der UN anerkannten Regierung mit Berufung, wie Ankara betont, auf UN-Regelungen geschieht.
Mit dem Besuch Putins in Ankara verbunden ist der Festakt zur Eröffnung der Pipeline TurkStream, die Erdgas über das Schwarze Meer aus Russland nach Europa bringen soll. In Konkurrenz dazu steht die EastMed-Pipeline, die Erdgas aus dem Vorkommen im östlichen Mittelmeer zugunsten der Republik Zypern (dem griechischen Teil Zyperns), Griechenlands und Israels nach Europa liefern soll.
Damit verbunden sind Geschäftsinteressen des italienischen Energiekonzerns Eni, des französischen Konzerns Total und der US-Konzerne ExxonMobil und Noble Energy, die Verträge zur Ausbeutung der Gasvorkommen haben.
Die Türkei opponiert gegen diese Pipeline und ist wütend über die Art, wie der "Kuchen" bisher verteilt wird. Es wäre nicht überraschend, wenn es da im Hintergrund auch Ambitionen auf die Ausbeutung der reichen libyschen fossilen Ressourcen gibt - und da treffen sich russische und türkische Interessen, die mit Libyen verbunden sind. Es sind nicht die einzigen.