Libyen: Staatsstreich ohne Staat
Seite 2: Kartographie des Bürgerkriegs
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Dass Khalifa Hafter nun unter dem Namen seiner alten Guerilla-Truppe eine Offensive gegen die islamistischen Milizen beginnt, weist auch darauf hin, dass in den USA ein Strategiewechsel hinsichtlich der Libyen-Politik stattfindet. Nach Angaben des Atlantic Council, einer Präsident Obama nahestehenden außenpolitischen Denkfabrik in Washington, besteht aktuell die Möglichkeit, dass die libysche Bevölkerung sich gegen die Herrschaft der Milizen erhebt. Dafür erarbeitete der Council eine genaue Kartografie der Milizen, in der ihre politische Ausrichtung exakt festgehalten wird. Daraus geht hervor, dass die Islamisten insbesondere in Tripolis, Benghasi und Misrata die Milizenlandschaft dominieren, während im Osten die Föderalisten und in Sintan die Nationalisten das Feld bestimmen.
In einer weiteren Studie ging der Atlantic Council davon aus, dass in diesem Jahr 2014 eine "politische Einigung zwischen der Regierung und den Milizenführer" erreicht werden müsse, um einen wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden. Die Studie bezeichnet die Aktivitäten der Milizen als das wichtigste Hindernis für die wirtschaftliche Erholung. Mit der Besetzung der Ölförderstätten und der Verladehäfen sei der Export auf gerade einmal 110.000 Barrel pro Tag gefallen. Damit konnte Ende 2013 noch weniger Erdöl ausgeschifft werden als während des Bürgerkriegs im Jahr 2011.
Bereits im März 2014, bei der Krise um den Öltanker "Morning Glory", hatten die USA gegen die Milizen interveniert. Der Tanker hatte Öl im ostlibyschen Hafen Al-Sidra geladen, der von einer selbsternannten Autonomieregierung kontrolliert wurde. Die Separatisten hatten das Öl aus den von ihnen kontrollierten Förderanlagen gegen die Willen der Zentralregierung auf eigene Rechnung verkauft. Spezialkräfte der US-Marine brachten den Tanker im Mittelmeer auf und Premierminister Ali Seidan bedankte sich bei den USA für die Aktion. Dafür wurde er kurz darauf vom islamistisch dominierten Parlament entlassen.
Somalisierung oder autoritäres Regime
General Hafter behauptete in der vergangenen Woche gegenüber der saudischen Tageszeitung "Shark al-Awsat", er habe seine Offensive zwei Jahre vorbereitet. Wenn das zutrifft, ist der Vorwurf der Muslimbrüder, er kopiere die Ereignisse in Ägypten, möglicherweise nicht aus der Luft gegriffen. Die Gemeinsamkeit besteht zumindest darin, dass die von Saudi-Arabien und Bahrain unterstützten Islamisten durch das von ihnen veranstaltete Chaos die Gesellschaften hochgradig verunsicherten und damit den Boden für die Akzeptanz eines autoritären pro-westlichen Regimes bereiteten. Die Rolle, die in Ägypten die Militärführung einnimmt, kann in Libyen der CIA-Mann Khalifa Hafter spielen. Dafür dass zwischen den Generälen Hafter und Al-Sisi konkrete Abmachungen bestehen, gab es in der vergangenen Woche zahlreiche Hinweise in der arabischen Presse.
Anders als Ägypten existieren in Libyen zentralstaatliche Institutionen allerdings nur noch rudimentär. Eine entscheidende Frage wird sein, ob das Bündnis aus Föderalisten und unterschiedlichen nationalistischen Gruppen, der verfassungsgebenden Versammlung eine landesweite Autorität verschaffen kann. Dass bereits am 25. Juni neue Parlamentswahlen abgehalten werden, muss zum jetzigen Zeitpunkt als extrem unwahrscheinlich gelten. Die letzten Wahlen im Jahr 2012 wurden von der United Nations Special Mission In Libya (UNSMIL) über ein halbes Jahr vorbereitet. Und selbst damals, unter sehr viel besseren Rahmenbedingungen, mussten sie schließlich wegen Sicherheitsproblemen um drei Wochen verschoben werden.