Libyen: Staatsstreich ohne Staat
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Mit seinem Staatsstreich versucht General Khalifa Hafter den weiteren Zerfall Libyens aufzuhalten. Doch selbst im Falle eines militärischen Erfolgs würde dem Land eine staatliche Struktur zur Neugestaltung fehlen
Im nordafrikanischen Ölland weiten sich die Kämpfe zwischen Ex-Militärs und islamistischen Milizen aus. Unterstützung bekommt der pensionierte CIA-Kämpfer erwartungsgemäß aus den USA. Auch NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen erklärte, die NATO stehe breit, um das Land dabei zu unterstützen, seine Sicherheitsprobleme zu lösen. In Libyen bildet sich unterdessen ein Bündnis zwischen Funktionären des alten Regimes und der ehemaligen Auslandsopposition. Der Zerfall des Staates ist jedoch soweit fortgeschritten, dass die Arbeit von jedweder Regierungsinstitution wahrscheinlich folgenlos bleiben wird. Völlig ungewiss ist, ob die für 25. Juni angekündigten Neuwahlen des Parlaments überhaupt stattfinden können.
Vor einer Woche begann der libysche Ex-General Khalifa Hafter in der Küstenstadt Benghasi eine eigenmächtige Offensive gegen islamistische Milizen (Putschversuch im libyschen Schlamassel). Mit der aktuellen Entwicklung bewegt sich das Land auf eine Entscheidungsschlacht zwischen Islamisten und dem nationalistischen Lager zu. Bisher lässt sich die Kräfteverteilung jedoch nicht genau abschätzen. Eindeutig bestätigt sich nur die Machtlosigkeit des umstrittenen Parlaments. Ein Aufruf von Parlamentspräsident Nuri Abu Sahmein, alle Militärs festzunehmen, die sich Hafter angeschlossen haben, verhalte komplett folgenlos.
Nachdem die selbsternannte "Libysche Nationalarmee" zunächst zwei Quartiere von islamistischen Milizen angegriffen hatte, kam es in dieser Woche im gesamten Land zu Vergeltungsaktionen. Vor Kasernen und Sicherheitsinstitutionen explodierten Autobomben. Scharfschützen feuerten aus dem Hinterhalt auf Offiziere und Beamte. Am Mittwoch überlebte der Generalstabschef der Marine, Bahar Bu Shnak, einen Attentatsversuch in Tripolis. Die Quartiere der regulären Streitkräfte in Benghasi, welche sich der Kampagne des Ex-Generals anschlossen, wurden mit Raketen beschossen. In Tripolis besetzten die den Muslimbrüdern nahestehenden Misrata-Brigaden, einer der stärksten Miliz-Verbände, das Zentrum. Sie erklärten, sie würden "das Parlament zu verteidigen". Damit positioniert sich die gemäßigte Bruderschaft mit ihrer "Partei für Aufbau und Gerechtigkeit" auf Seiten ihrer radikaleren Glaubensbrüder.
Inzwischen stellten sich zahlreiche libysche Offizielle und einige der größten Milizen hinter Hafters Initiative gegen den Islamismus. Alle, die den General unterstützen, benutzen dabei gleichlautend den Begriff "Kampf gegen den Terror". Die Mobilisierung wird von zahlreichen libyschen Medien unterstützt, die breit über die Unterstützung für den General berichten. Die stärkste Partei in der Nationalversammlung, die "Allianz der Nationalen Kräfte", unterstützt die "Offensive gegen Terroristen und ihre Geldquellen". Vor allem im Ostteil des Landes, der außerordentlich unter der Willkür der Milizen zu leiden hat, wird die eigenmächtige Initiative zur Auflösung des Parlaments und zur Absetzung der amtierenden Regierung begrüßt. Nach den Eliteeinheiten aus Benghasi schlossen sich aber auch Bataillone aus dem Süden und die Armee der gesamten Region Tobruk dem "Aufstand gegen die Islamisten" an.
Doch nicht nur Vertreter des etablierten Politik stellen sich hinter den "Staatsstreich ohne Staat". Nach dem Freitagsgebet kam es in zahlreichen Städten zu Demonstrationen, zu denen über Twitter unter dem Stichwort "Friday of Dignity" mobilisiert worden war. Größere Kundgebungen fanden in Tripolis, Benghasi und Al-Marj statt, wobei der inhaltliche Fokus der Demonstranten eher auf einer allgemeinen Kritik am Unwesen der Milizen lag, während die Militäroperation von General Hafter eindeutig gegen die Islamisten ausgerichtet ist.
Der im März entmachtete Premierminister Ali Seidan unterstützte den Kriegszug aus Paris, ebenso wie zahlreiche Stammessprecher. Am Mittwoch ließen sogar der Innenminister und der Kulturminister, deren Regierung immerhin durch General Hafter abgesetzt werden soll, verlauten, sie begrüßen den "Einsatz gegen terroristische Gruppen". Der ehemalige Informationsminister Mohammed Shammam sprach ebenfalls von einem "Krieg gegen den Terror" und forderte Unterstützung aus dem Westen.
Dass vor allem in der US-Außenpolitik ein offenes Ohr für diesen Wunsch besteht, machte zuerst die Botschafterin des Landes deutlich. Deborah Jones sagte vor der Presse, sie würde "General Hafters Bemühungen persönlich nicht verurteilen". Eine Lösung für die politische Zersplitterung des Landes zu finden, werde ein hartes Stück Arbeit. Das könne nur gelingen, wenn alle Gruppen der Gesellschaft - und das schließe auch "notorische Störer" ein - dazu gebracht werden, eine "positive Rolle zu spielen".
Auch innerhalb der NATO scheint Bereitschaft zu bestehen, zugunsten von General Hafter und den nationalistischen Kräften einzugreifen. Auf seiner monatlichen Pressekonferenz sagte NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen, man habe schon im letzten Jahr eine Anfrage erhalten, die libyschen Sicherheitsinstitutionen zu unterstützen. "Das haben wir positiv beantwortet." Man könne die libyschen Autoritäten unterstützen, wenn gewährleistet sei, dass es einen Schutz für etwaige NATO-Truppen gebe.
Konstruktionsfehler des Übergangs
Dass nun, zwei Jahre nach dem Ende der ausländischen Intervention, erneut eine Eskalation des Bürgerkrieg in Libyen droht, hat viel mit der Zusammensetzung des libyschen Parlaments zu tun. Im Frühjahr 2012 hatten sich die im Nationalen Übergangsrat vertretenen Parteien auf ein Ein-Kammersystem geeinigt. Sowohl die Kandidatinnen und Kandidaten der neu entstandenen Parteien als auch die formal parteilosen Vertreter der Regionen sollten gemeinsam den Übergang organisieren.
Das Verhältnis zwischen Partei- und Regionalmandaten blieb bis kurz vor dem Wahlgang hart umkämpft. Schließlich hatte sich der Übergangsrat darauf geeinigt, dass von den insgesamt 200 Sitzen in der Nationalversammlung nur 80 für die Parteivertreter reserviert wurden. Die große Mehrheit der neuen Abgeordneten stammte aus den Regionen. In der Konsequenz konnte keine der neuen Parteien, auch nicht die Wahlsieger von der "Allianz der Nationalen Kräfte", irgendeine kohärente Politik durchsetzen.
Mithilfe der Manövriermasse aus dem Pool der regionalen Abgeordneten - viele von ihnen standen den islamistischen Parteien nahe oder waren zumindest durch Zuwendungen beeinflussbar - ließ sich jeder politische Grundsatzbeschluss verhindern. Die Libyer hatten sich eine sehr gut bezahlte, aber leider komplett handlungsunfähige Legislative gewählt.
Wie wenig ihnen dieser Wahlsieg nutzte, zeigte sich bereits bei der Wahl des Premierministers im September. Der Spitzenkandidat der Allianz, Mahmoud Jibril, eine Schlüsselfigur beim Umsturz, gewann zwar den ersten Wahlgang. Daraufhin mobilisierte die politisch zweitstärkste Kraft, die Muslimbrüder mit der "Partei für Aufbau und Gerechtigkeit", ein Blockadebündnis aus dem islamistischen Lager und regionalen Abgeordneten.
Insgesamt wurden acht Wahlgänge nötig, bis sich schließlich Mustafa Abushagur von der "Nationalen Front" durchsetzte. Dem gelang es aber nicht, eine Regierung aufzustellen, so dass er knapp vier Wochen später schon wieder abgelöst wurde. Darauf folgte Ali Seidan, ebenfalls aus der "Nationalen Front", der immerhin bis März 2014 im Amt blieb, ohne dass er jedoch mit seiner Regierung den Übergangsprozess nennenswert voranbringen konnte.
Konflikte im nationalistischen Lager
Für viele Beobachter überraschend hatte im Juli 2012 das nationalistische Lager um die "Allianz Nationaler Kräfte" und die "Nationale Front" die Wahlen für sich entschieden. Zwar lassen sich beide Parteien dem gleichen Lager zuordnen, aber zwischen ihrem Führungspersonal bestehen auch ernsthafte biographische Unterschiede.
In der Allianz sammelten sich vor allem ehemalige Funktionäre des Regimes, die sich nach dem 17. Februar 2011 am Umsturz beteiligt hatten, darunter Gaddafis Innenminister Abdul Fattah Junis, der Justizminister Mustafa Abdul Jalil, der Generalstaatsanwalt Abdul Rahman al Abbar und der ehemalige Geheimdienstchef Abdel Moneim el Honi. Sie besetzten mit dem Vorsitz und den Ressorts Wirtschaft und Außenpolitik Schlüsselpositionen im Nationalen Übergangsrat. Abdul Fattah Junis war bis zu seiner Ermordung im Juli 2011 für militärische Angelegenheiten verantwortlich.
Der Übergangsrat hatte ihn zum Militärchef ernannt, später war er als Generalstabschef zuständig für die Kontakte mit den alliierten Armeeführungen, nachdem er sich zunächst gegen die Führungsansprüche des aus den USA zurückgekehrten Ex-Generals und CIA-Manns Khalifa Hafter durchgesetzt hatte. Im Juli 2011 wurde er auf dem Weg zu einer richterlichen Anhörung in Benghasi gemeinsam mit mehreren seiner Offiziere erschossen. Der Übergangsrat kündigte zwar eine Untersuchung an. Der wichtigste Zeuge, der damals für die Vorladung zuständige Richter, wurde im Juni 2012 allerdings ebenfalls erschossen. Bis heute sind die Vorfälle nicht aufgeklärt.
In der "Nationalen Front" sammelten sich hingegen die Vertreter der Exil-Opposition, welche die vergangenen Jahrzehnte in den USA und Großbritannien im Exil verbracht hatten. Die Front wurde als Nachfolger stärksten Oppositionspartei gegen Gaddafi gegründet, der "Nationalen Front für die Rettung Libyens". Die Gruppe führte einen bewaffneten Kampf gegen die alte Regierung. Zuständig für diesen bewaffneten Arm, die "Libysche Nationalarmee", war der Ex-General Khalifa Hafter. Die Gruppe wurde während ihrer gesamten Geschichte von britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten unterstützt. Nach ihrer militärischen Niederlage in Libyen lebte Khalifa Hafter bis zum Umsturz im Jahr 2011 in der Nähe des Hauptquartiers der CIA.
Aber trotz seiner Biographie war General Khalifa Hafter, wie praktisch alle Spitzenpolitiker aus dem nationalistischen Lager, vom Isolationsgesetz betroffen. Vor allem die Muslimbruderschaft, aber auch Teile der Milizen und der Jugendbewegung, hatten im Mai 2013 ein Gesetz erzwungen, dass es allen ehemaligen Funktionären aus Gaddafis Jamahiriya-Staat verbot, in den nächsten zehn Jahren öffentliche Ämter zu bekleiden.
Als das Gesetz, das ganz klar darauf ausgelegt war, die politische Konkurrenz der Islamisten auszuschließen, vom Präsidenten nicht unterzeichnet wurde, belagerten - wie in Libyen üblich - die Milizen verschiedene Ministerien und das Parlament. Mit der Unterzeichnung waren praktisch alle Führer der Auslandsopposition als auch die Verantwortlichen für die Palastrevolte im Frühjahr 2011 von der libyschen Politik ausgeschlossen. Möglicherweise liegt hier einer der Gründe dafür, dass sich das verfeindete nationale Lager nun wieder zusammenrauft.