Libyen: Weitere Entführungen von ägyptischen Arbeitern
Nach den ägyptischen Luftangriffen auf Ziele in Libyen stellt sich die Frage nach dem Nutzen der militärischen Intervention
In Libyen sind weitere ägyptische Gastarbeiter entführt worden, meldet die Zeitung Libya Herald: Mindestens 35 Personen, mehrheitlich Landwirtschaftsarbeiter, sollen demnach von Bewaffneten an mehreren Orten in Gebieten verschleppt worden sein, die von al-Ansar-al-Sharia und IS-Milizen kontrolliert werden. Angeblich wurden die Arbeiter nach den gestrigen Luftangriffen ägyptischer Kampfflieger auf Ziele in Libyen entführt.
Die Meldung, die bislang nur von wenigen Seiten weitergetragen wurde, ist in vielem ungenau und noch unbestätigt. Nicht zu bestreiten ist aber die Wahrscheinlichkeit solcher Vergeltungsmaßnahmen, die der Vergeltungsmaßnahme der ägyptischen Luftwaffe folgen. Derzeit halten sich nach Schätzungen 200.000 Ägypter in Libyen auf. Das schafft Gelegenheiten.
Vor dem Aufstand gegen Gadaffi waren es 2 Millionen, berichtet Mada Masr: Ägypter stellen seit vielen Jahren den größten Anteil an Fremdarbeiter in Libyen, die meisten arbeiten in der Landwirtschaft oder in Bildungsinstitutionen. Dass noch immer hundertausende Ägypter trotz der großen Risiken im Nachbarland arbeiten, hängt mit der miserablen Situation in Oberägypten zusammen. Die schlechte wirtschaftliche Situation führe dazu, dass die Arbeiter das Risiko in Libyen auf sich nehmen.
Die Evakuierung der ägyptischen Fremdarbeiter, wie dies die libysche Allianz islamistischer Milizen Fajr Libya, englisch Libya Dawn, deutsch "libysche Mörgenröte", gestern forderte, ist nicht zu bewerkstelligen. Die ägyptischen Behörden hatten schon während des Kriegs zwischen den aufständischen Milizen und den gadaffi-treuen Truppen Schwierigkeiten, nur einen Bruchteil der 15.000 Ägypter, die aus Libeyn fliehen wollten, mit Evakuierungsmaßnahmen zu unterstützen.
Das Risiko weiterer Entführungen, deren blutiges Ende vom IS zur Schau gestellt wird, ist nicht das einzige schwierige Problem, das die militärischen Erfolgsmeldungen, die gestern als Gegen-Psy-Op zum IS-Video über alle Kanäle liefen, verdunkelt. 95 Prozent der anvisierten Ziele seien getroffen worden, 64 Kämpfer der IS-Milizen getötet, verkündete der Sprecher des libyschen Militärs, Mohamed Hegazy. Allerdings sind die Informatione recht ungenau, bzw. auch widersprüchlich, was die Ziele angeht.
Während der Kommandeur der libyschen Luftwaffe, mit der die Militäraktion der Ägypter von Anfang abgesprochen war, wie es heißt, als Ziele angab, die im Osten der Stadt Darna liegen, werden auch Quellen aus Militärkreisen zitiert, die von Zielen in Sirte und sogar in Tripolis sprechen. Was Sirte angeht, so wird das von anderen Berichten bestätigt. Unklarheit herrscht aber nicht nur über die genauen Ziele, sondern auch über die Bahauptung der Militärs, dass es keine zivilen Opfer gegeben hat.
Wie immer finden sich dazu gegenteilige Behauptungen im Twitternachrichtenstrom und Videos, die nicht unbedingt auf eine "chirurgische Operation" schließen lassen, bei der die Zivilbevölkerung nichts zu befürchten hatte.
Aber bekanntlich sind solche Informationen wenig verläßlich und schwer überprüfbar. Auch bei einer Meldung von al-Jazeera, die von mindestens sieben zivilen Toten ausgeht, kann man aufgrund der politisch voreingenommenen Haltung des katarischen Senders gegenüber der ägyptischen Führung Zweifel an der Richtigkeit der Meldung haben. Zumal sie sich ihrerseits auf Informationen aus sozialen Netzwerken stützt.
Aber wie im eingangs genannten Fall weiterer Entführungen spricht einiges für die Plausibilität oder auch nur das Risiko solcher Kollateralschäden durch die Vergeltungsangriffe des ägyptischen Militärs. Der Militäreinsatz unterliegt, wie eine kritische, nüchterne Analyse der Möglichkeiten der ägyptischen Interventionen zeigt, der Gefahr, die kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen weiter anzufachen. Tote unter Zivilisten könnten die lokale Bevölkerung gegen die fremden Angreifer aufbringen und sie in ein Lager bringen, von dem sie sich jetzt noch distanzieren.
Ägypten ergreift mit seinem Einsatz Partei. Schon lange ist bekannt, dass as-Sisi dem General Haftar, der die Operation Würde anführt, die Gegenallianz zur Morgenröte, verbunden ist. Haftar hat beste Kontakte zur libyschen Luftwaffe; der ehemalige General unter Gadaffi, der zwanzig Jahre in den USA lebte und Kontakte zur CIA hatte oder hat, gilt als der starke Mann aufseiten der Regierung in Tobruk. Die andere Regierung, die unter dem alten Namen GNC (General National Congress) in der Hauptstadt Tripolis sitzt, wird von Islamisten, von der libyschen Fraktion der Muslimbrüder, dominiert. Zwischen der Allianz Morgenröte und der GNC-Regierung bestehen enge Kontakte.
Nicht klar sind die Verbindungen einzelner Gruppen der Morgenröte-Allianz zu Ansar-al-Scharia. Manche distanzieren sich, tragen sogar Kämpfe mit der Ansar aus, andere halten gute Verbindungen. Auch die Verhältnisse innerhalb der Ansar al-Scharia zum IS sind nicht ganz eindeutig. Es gibt ganz deutliche Unterstützung, aber auch Distanzierungen.
Deutlich ist aber, dass sich Ägypten eindeutig gegen die Islamisten der Morgenröte und Ansar-al-Scharia stellt. Dafür wird Ägypten Unterstützung vom Westen, von Frankreich und von den USA bekommen. In Libyen selbst hat Ägypten dadurch viele Gegner. Wie auch bei anderen Proxystaaten, wie Katar oder der Türkei.
Die Verwicklungen sehen nicht danach aus, als ob sie durch militärische Interventionen unbedingt verbessert werden. Anderseits hat man auf die Frage, wie man Libyen zurück zur stabileren Verhältnissen führen kann, noch keine Antwort gefunden. Der Versöhnungsprozess zwischen den Regierungen im Osten und im Westen des Landes, der über die UN sehr langsam in Gang gebracht wurde, hat durch die ägyptische Intervention noch weniger Chancen.