Libyen: Wieder mehr Migrantenboote und Kämpfe zwischen "Aufpasser"-Milizen

Küste vor Sabratha. Foto: JPRoger / CC BY-SA 3.0

5.000 Migranten sollen vergangene Woche im Mittelmeer "aufgegriffen" worden sein. Im Küstenort Sabratha bekriegen sich zwei Milizen, die von Italien indirekt unterstützt werden, damit sie die illegale Migration unterbinden

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Skepsis an der italienischen Methode, die Migranten aus Libyen von Europas Küsten fernzuhalten, gab es von Anfang an. Gestern meldete AFP, dass die libysche Küstenwache in der vergangenen Woche über 3.000 Migranten aus dem Mittelmeer "gerettet" habe und Italien weitere 2.000. Diese neuen Rettungsaktionen, so folgerte die Nachrichtenagentur, zeigen, dass die Route noch immer ziemlich offen sei.

Nach Angaben des Sprechers der libyschen Küstenwache Ayoub Kacem wurden laut AFP in neun Operationen von vergangenem Montag bis Freitag 2.082 Migranten gerettet, eine Frau sei gestorben, am Samstag seien weitere 1.470 Personen "aufgegriffen" worden. Die Formulierung der Nachrichtenagentur ist etwas unklar, weil daraus nicht deutlich hervorgeht, ob die Personen aus Seenot gerettet wurden oder ob die Boote in Küstennähe "abgefangen" wurden.

"Wieder mehr Flüchtlinge im Mittelmeer"

Die deutschsprachige Meldung bei ntv berichtet unter der Überschrift "Wieder mehr Flüchtlinge im Mittelmeer" ebenfalls davon, dass von vergangenem Montag bis Samstag einschließlich 3.129 Personen von der libyschen Küstenwache "gerettet" wurden. Hinzugefügt wird, dass es aus Italien Berichte von NGOs gab, "in denen von insgesamt fast 2000 geretteten Flüchtlingen die Rede war".

Aus Zahlen, die in anderen Meldungen genannt werden, kann geschlossen werden, dass eine Stufe des "italienischen Plans" noch funktioniert. Die libysche Küstenwache brachte Migranten, die, wie es einmal heißt "aufgegriffen wurden" und an anderer Stelle "gerettet", zurück nach Libyen, berichtet defence web ("Africa''s leading defence news portal").

Hier werden Zahlen in der Größe von über Tausend genannt. Migranten, die von anderer Seite, zum Beispiel von einem irischen Schiff der EU-Operation Sophia oder von einem NGO-Schiff geborgen wurden, wurden in italienische Häfen gebracht. Ihre Anzahl ist kleiner.

Schwierigkeiten bei der "ersten Abwehr-Stufe"

Schlecht steht es aber um die "erste Stufe der Migrantenabwehr". Dass die Zahlen der Migranten, die übers Mittelmeer nach Italien kommen, im Juli und im August signifikant abgenommen hatten, wie auch im jüngsten Frontex-Bericht zu lesen, wurde als Erfolg einer mehrstufigen Strategie Italiens dargestellt.

Dazu gehört die Stärkung der libyschen Küstenwache, was einherging mit einer Strategie gegen die NGOs, denen ein neuer Verhaltenskodex auferlegt wurde. Ein bedeutender Teil unter ihnen stellten daraufhin, ihre Aktionen ein oder verlagerten ihren Aktionsradius verlagerten.

Sie begründeten ihren Schritt damit, dass sich die Sicherheit der Crews angesichts einer ziemlich robusten Vorgehensweise der libyschen Küstenwache nicht mehr gewährleistet sei. Zudem hatte die libysche Küstenwache ihnen die Fahrt in eine wesentlich ausgeweitete, von der libyschen Marine bestimmte Rettungszone, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis gestattet.

Begleitet wurden diese Maßnahmen von der italienischen Regierung mit Abmachungen mit Bürgermeistern von mehreren Gemeinden oder Städten in Libyen, zum Beispiel mit dem Bürgermeister von Sabratha. Über die Vermittlung von Bürgermeistern wurden Milizen eingeschaltet, die dafür sorgen sollten, dass keine Boote mit Migranten mehr ablegen. Das Geschäft der Schleuser sollte schon in den Küstenorten unterbunden werden.

Zwei rivalisierende Milizen

Im Fall Sabratha, das für Schleuser bislang der zentraler Ablegeplatz für Migrantenboote war, nennen Berichte zwei Hauptakteure, die Brigade 48 und die eine Miliz unter Führung von Ahmed Dabbashi. Beide bekommen indirekt Geld aus Italien. Die Brigade 48 über die offiziell anerkannte libysche Regierung, da sie (Ende Januar) vom libyschen Verteidigungsministerium geschaffen wurde, zunächst mit der Absicht, gegen Ölschmuggel vorzugehen.

Seit Juni 2017 kam als Aufgabengebiet hinzu, die illegale Migration zu bekämpfen. Auch die Bekämpfung des IS in Sabratha wurde durch die Schaffung eines eigenen Operationsbüros verstärkt, in dem der Brigade eine Hauptrolle zugewiesen wurde. Schon damals kam es zu ersten Konflikten mit bewaffneten Milizen. Erwähnt wurde in diesem Zusammenhang die Gruppe al-Dabbashi.

Die Dabbashi-Miliz ist seit längerem ein bekannter lokaler Akteur in Sabratha. Der Chef ist ein Warlord mit dubiosem Hintergrund und Verbindungen zu Islamisten. Interessant ist nun, dass auch diese Gruppe enge Verbindungen zu Italien hat und im gleichen Geschäftsfeld arbeitete, dem Schutz von Ölanlagen. Seit 2015 soll sie dazu einen Vertrag mit dem italienischen Energie- und Mineralölgesellschaft ENI haben.

Nach bislang nicht felsenfest untermauerten Informationen oder Behauptungen soll es Verhandlungen zwischen italienischen Geheimdienstvertretern und der al-Dabbashi-Miliz gegeben haben, in deren Folge - etwa laut Berichten der britischen Times - auch die Anas al-Dabbashi Miliz zusammen mit der Brigade 48 im "neuen Geschäftsfeld" der Eindämmung illegaler Migration agieren sollte. Angeblich sollen 5 Millionen Dollar an den Warlord der Miliz gezahlt worden sein. Die al-Dabbashi-Miliz war vor nicht allzu langer Zeit noch selbst im Schleusergeschäft tätig.

Seit Sonntag gibt es nun zwischen den beiden Milizen, der Brigade 48 und der Dabbashi-Miliz, blutige Auseinandersetzungen, mit mindestens drei Toten, die Sabratha unsicher machen und sogar die Schließung der Grenze zum benachbarten Tunesien zur Folge hatten. Der Bürgermeister von Sabratha trat zurück.

"Die Schleusen geöffnet"

Was genau der Anlass der Auseinandersetzung ist, steht noch nicht zweifelsfrei fest. Die Brigade 48 wirft der Dabbashi-Miliz vor den Waffenstillstand gebrochen zu haben, zuvor gab es angeblich eine Schießerei an einem Kontrollpunkt. Der libysche Journalist Mohamed Eljahr vermutet Rivalitäten zwischen den beiden Milizen, die auf das Geschäft mit Italien zurückgehen. Das ist kein abseitiger Gedanke und Eljahr wird nicht der einzige sein, der hier Konkurrenzkämpfe vermutet.

Die italienische Zeitung La Stampa brachte General Haftar ins Spiel. Sie erklärt die neuerliche Häufung von Flüchtlingsbooten vor der libyschen Küsten damit, dass Milizen nicht mit der Einladung der italienischen Regierung an General Haftar, zu Gesprächen nach Italien zu kommen, einverstanden sind. Die Dabbashi-Miliz hätte daraufhin wieder die "Schleusen geöffnet", um zu demonstrieren, dass sie gegen die Einladung sind und mit ihrer Macht zu rechnen sei.

Verbindungen zu Radikalislamisten

Tatsächlich ist Haftar ein Gegner der Dabbashi-Miliz, die er enge Verbindungen zu radikalen Islamisten des Benghazi Revolutionaries Shura Council vorwirft, die ihrerseits Verbindungen zur al-Qaida haben. Vor Tagen drohte die "Libysche Nationalarmee" (LNA), deren Oberbefehlshaber Haftar ist, damit, die Dabbashi-Miliz aus der Luft anzugreifen. Geht es nach einem Bericht des Libya Herald, so sind LNA-Kämpfer an den Kämpfen in Sabratha beteiligt.

Mittlerweile sollen auch andere Milizen in den Konflikt involviert sein Dies bestätigt Ahnungen von Beobachtern, die am italienischen Vorgehen, mit Milizen Abmachungen zutreffen und sie mit Geld zu überzeugen, kritisierten, dass man sich damit auf Partner einlasse, die nichts mit Stabilität am Hut hätten, und die Bemühungen unterminieren, über die Regierung mittel- oder langfristig für bessere Verhältnisse zu sorgen. Außerdem mache man sich durch die Milizen erpressbar.

Das Gesamtvolumen des Schleusergeschäft wird in Libyen auf gut eine Milliarde Dollar geschätzt. Geschäftsausfälle müssen kompensiert werden, verlangt das Modell der Milizen.