Lieferkettengesetz: Mindeststandards kosten Firmen kein Vermögen
Neue Studie: Das Lieferkettengesetz bringt für Unternehmen kaum wirtschaftliche Belastungen. Aber deutsche Firmen haben bei der Nachhaltigkeit enormen Aufholbedarf
Das sogenannte Lieferkettengesetz ist bei der deutschen Wirtschaft nicht sonderlich beliebt. Es sei eine "bürokratische Zumutung" und ein "politisches Fiasko", heißt es zum Beispiel beim deutschen Maschinenbauverband VDMA. Das Münchner ifo-Institut hatte im Juni noch erklärt, viele Unternehmen zweifelten daran, ob das Gesetz in der Praxis durchgesetzt und die Zulieferer effektiv kontrolliert werden könnten.
Gewährleisten soll es die Einhaltung sozialer und ökologische Mindeststandards ab dem 1. Januar 2023. Im ersten Schritt verpflichtet es Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, menschenrechtswidrige Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten zurückzuverfolgen und gegebenenfalls Missstände zu beseitigen.
Vom befürchteten Aufwand, den Unternehmen betreiben müssen, bleibt bei genauerem Hinsehen nicht mehr viel übrig: Das Handelsblatt Research Institut (HRI) hat nun eine Studie veröffentlicht, die Entwarnung gibt. "Die Kostenquote macht voraussichtlich weniger als ein Prozent des Jahresumsatzes deutscher Unternehmen aus, wobei die anteilige Belastung tendenziell mit der Unternehmensgröße abnimmt", heißt es in der Studie. Die von erhobenen Daten deuten darauf hin, dass die Kostenquote für ein freiwilliges nachhaltiges Lieferkettenmanagement in Deutschland zwischen 0,005 und 0,6 Prozent des Unternehmensumsatzes liegt.
Die HRI-Studie kommt damit zu einem ähnlichen Ergebnis wie eine aktuelle EU-Studie. Nach dieser kommt die Zusatzbelastung für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten auf weniger als 0,01 Prozent des Umsatzes. Bei kleineren Firmen könnte dagegen der Verwaltungsaufwand auf bis zu 0,14 Prozent des Umsatzes anwachsen.
Nachhaltigkeit für viele Unternehmen kein Kriterium
Dass Unternehmen das Gesetz dennoch als arge Belastung empfinden, könnte daran liegen, dass Nachhaltigkeit für viele immer noch ein Fremdwort ist. Eine Umfrage der DZ Bank unter 1.000 Inhabern und Geschäftsführern von mittelständischen Unternehmen hatte ergeben: Nur 29 Prozent der Unternehmen achten bei der Auswahl ihrer Lieferanten auf Kriterien zur Nachhaltigkeit. In der Baubranche waren es sogar nur etwa 20 Prozent.
Eine von der deutschen Bundesregierung in Auftrag gegebene Unternehmensbefragung brachte sogar noch schlechtere Ergebnisse hervor. Im Frühjahr 2020 hielten sich demnach nur etwa 17 Prozent der deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten an die Nachhaltigkeitsleitlinien der Vereinten Nationen (UNO). Ebenjene Leitlinien hatte die UNO im Jahre 2011 verabschiedet.
Aus der Erfahrung heraus wusste man, dass sich Unternehmen im Kapitalismus an Marktpreisen orientieren, die aber meist die Kosten für Umweltverschmutzungen, Klimawandel oder Verstößen gegen Menschenrechte nicht widerspiegeln. Die UNO hatte deshalb beschlossen, die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen; entlang ihrer internationalen Lieferketten sollten die Firmen Verantwortung übernehmen.
Kinderarbeit laut ILO wieder auf dem Vormarsch
In der Praxis hatte es aber wenig Fortschritte gegeben. So musste die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) konstatieren, dass Kinderarbeit nach Jahren des Rückgangs wieder auf dem Vormarsch ist. Etwa 160 Millionen Mädchen und Jungen werden demnach ausgebeutet. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen dienten in der Vergangenheit mehr dazu, gesetzliche Regelungen zu verhindern, als tatsächlich an den Zuständen zu verändern.
Ende Juni passierte das "Lieferkettengesetz" den Bundesrat. Es verpflichtet Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2023 auf Missstände beim Kauf von Produkten und Teilen aus dem Ausland zu reagieren und Abhilfe zu schaffen, wenn ihnen diese bekannt werden. Ab 2024 nimmt das Gesetz auch dann Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten in die Pflicht.