Lobbyisten und Marktradikale als ewige Experten

Warum die Gremien, die nach Wegen aus der Finanzkrise suchen, keine grundlegenden Reformen vorschlagen werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 9. Februar 2009 rang sich Charlie McCreevy ein nicht alltägliches Geständnis ab. Die Vertreter der Finanzwirtschaft hätten über Jahre einen zu großen politischen Einfluss ausgeübt, stellte der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen anlässlich einer Rede in Dublin fest.

In the case of legislators, I am convinced that over the years there has been too much 'regulatory capture' by the sell side of the financial services market: Their lobbies have been strong and powerful. By contrast there has been too little engagement on the buy side. That is an imbalance that legislators must be much more conscious of.

Charlie McCreevy

Die EU-Kommission könnte da mit gutem Beispiel vorangehen. Denn in der „de Larosière Expertengruppe“, die im Oktober 2008 berufen wurde und mittlerweile Vorschläge für die Reform der Finanzmärkte erarbeitet hat, um mit einer gemeinsamen europäischen Position beim G20-Finanzgipfel am 2. April in London auftreten zu können, sitzen viele alte Bekannte. Eine aktuelle Studie..http://www.corporateeurope.org/docs/would-you-bank-on-them.pdf von Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch kommt zu dem Schluss, dass mindestens die Hälfte des achtköpfigen Gremiums erstklassige Kontakte in den Chefetagen der internationalen Finanzindustrie unterhält und kaum Interesse an grundlegenden Reformen haben dürfte.

„Don’t jump to hasty conclusions”

Dieser Befund verwundert umso weniger ;als der betagte Chef und Namensgeber im globalen Bankenwesen jahrzehntelang eine maßgebliche Rolle spielte. Jacques Martin Henri Marie de Larosière de Champfeu, 1929 in Paris geboren, war Chef des Internationalen Währungsfonds und der Banque de France, überdies Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und schließlich Berater der französischen Geschäftsbank BNP Paribas, die Wert darauf legt, nicht nur die „größte französische Bank“ und „No. 5 der Bankenindustrie weltweit“, sondern auch die „größte Bank in der Eurozone“ zu sein:

Jacques de Larosière ist - mit Daniel Lebègue - überdies Chairman von Eurofi, einer als Think Tank auftretenden Lobbygruppierung, in der sich wichtige Akteure des weltweiten Finanzsektors zusammengefunden haben. Neben BNP Paribas stehen Axa, Aviva, Cassa Depositi E Prestiti, Caisse des Dépôts et Consignations, Caisse Nationale des Caisses d’Epargne, CNP Assurances, Citigroup, Crédit Agricole, Deutsche Bank, NYSE Euronext, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, La Banque Postale, Société Générale und the European Investment Bank auf der Mitgliederliste. Auch für Eurofi denkt de Larosière über Wege aus der gegenwärtigen Krise nach und kommt zu dem immer gleichen Schluss: Evolution ist besser als Revolution, denn niemand kann die entstandenen Probleme besser lösen als ihr Verursacher.

Don’t jump to hasty conclusions. (…) Many of the required improvements should be the result of better standards and principles agreed upon by the industry.

Jacques de Larosière

Ein Lehmann-Manager als Krisenberater

Die Berufung von zwei Mitgliedern des Gremiums rief schon vor der Veröffentlichung der lobbykritischen Studie verhaltenes Erstaunen hervor. Mit Rainer Masera und Callum McCarthy wurden zwei Banken“experten“ geadelt, die in den Turbulenzen der vergangenen Monate kaum durch souveränes Krisenmanagement aufgefallen waren. McCarthy stand fünf Jahre lang an der Spitze der britischen Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleistungen FSA, die bei der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe – regulates the financial services industry – offensichtlich nicht sonderlich erfolgreich war.

Mit Rainer Masera durfte auch der Geschäftsführer des italienischen Ablegers der Pleitebank „Lehman Brothers“ sein Schärflein zur künftigen Reform des europäischen Finanzwesens beitragen. Der "Bankenfürst von Turin", der auch beim undurchsichtigen Geschäftsgebahren der European Investment Bank zu den Protagonisten gehörte, traf im Expertengremium auf Gleichgesinnte wie den ehemaligen polnischen Finanzminister Leszek Balcerowicz, der heute einen weiteren einflussreichen Think Tank namens „Bruegel“ leitet. Auch hier verständigen sich Größen des Wirtschafts- und Finanzsektors wie Areva, BP, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, EMI, NYSE Euronext, Fortis, GDF Suez, Goldman Sachs, Iberdrola, IBM, Nokia, Novartis, Pfizer, Renault, Siemens, Telecom Italia, Thomson oder UniCredit. In welchem Sinne dies geschieht, beschrieb Vordenker Balcerowicz bereits im Jahr 1996. Ihm ging und geht es um „the introduction of free market capitalism that provides the greatest security for democracy in the long run …”

Der Monetarist

Goldman Sachs bei Eurofi, Goldman Sachs bei Bruegel, doch auch innerhalb der Expertengruppe hat die amerikanische Investmentbank einen Mann ihres Vertrauens platziert. Der 1936 geborene Otmar Issing, einst Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank, hat sich den Ruf eines "high priest of monetary orthodoxy" als Banker, Wissenschaftler und Buchautor hart erarbeitet.

Seit zwei Jahren ist Issing als „International Advisor“ für Goldman Sachs tätig und überdies Präsident des Center for Financial Studies an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dieses Institut wird von der „Gesellschaft für Kapitalmarktforschung e.V.“ finanziert, die "mehr als 80 Banken, Versicherungen, Beratungsunternehmen und Industrieunternehmen" zu ihren Mitgliedern zählt.

Hauptförderer der - selbstredend vollkommen unabhängigen - Forschung über Finanzmärkte, Finanzintermediäre und Monetäre Ökonomie sind die DekaBank Deutsche Girozentrale, die Deutsche Bank AG, die Deutsche Börse AG, Deutsche Bundesbank und die DZ BANK AG, die Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die Interessengemeinschaft Frankfurter Kreditinstitute GmbH und der Stiftungsfonds Deutsche Bank im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Als Programmdirektor des Bereichs „Credit Management & Credit Markets“ fungiert Jan Pieter Krahnen, Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Universität Frankfurt, mit dem Issing noch in anderen beruflichen Kontexten zu tun hat.

Die neue Finanzarchitektur

Denn Otmar Issing leitet schließlich auch die Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur“, welche die deutsche Bundesregierung in Sachen Finanzkrise beraten soll. Ursprünglich wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel den ehemaligen Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer mit der heiklen Aufgabe Link auf /blogs/8/117414, zog den Vorschlag aber wieder zurück, nachdem ihr und anderen aufgefallen war, dass Tietmeyer im Aufsichtsrat der Hypo Real Estate saß.

Im zweiten Anlauf stieß die Kanzlerin auf Issing, der von konservativen Analysten umgehend als „Idealbesetzung“ gefeiert wurde. Schließlich habe sich der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank gegen die entscheidenden Krisenauslöser - Alan Greenspan und seine expansive Geldpolitik – tapfer zur Wehr gesetzt. Außerdem sei Issing “überzeugter Marktwirtschaftler“, „Architekt des stabilen Euroraums“ und zu allem Überfluss „bestens gefeit gegen die heute wieder populäre Regelungswut“.

Anfang Februar freuten sich Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück dann bereits über „Handlungsempfehlungen“ ihrer sechs Experten Otmar Issing, Klaus Regling, Jan Pieter Krahnen, William R. White, Jens Weidmann und Jörg Asmussen. Sie sehen eine „Global Risk Map“, die wirksamere Überwachung von Hedge Fonds und Ratingagenturen oder eine stärkere Einbindung internationaler Organisationen vor.

Dass es redlicher wäre von „allgemeinen Absichtserklärungen“ zu sprechen, als der Öffentlichkeit den forschen Begriff „Handlungsempfehlungen“ anzubieten, versteht sich von selbst. Schließlich stellte ein Mitglied der Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur“ vor wenigen Wochen unumwunden fest, dass selbst hoch dekorierte Forscher derzeit vor vielen ungelösten Fragen stehen. Damit sind wir wieder bei Jan Pieter Krahnen, Professor in Frankfurt, Pogrammdirektor des Center for Financial Studies, begehrter Berater und Vortragsreisender und einer der (eben nicht ganz so) neuen Finanzarchitekten.

Über die Ursachen der Krise gibt es bis heute keinen Konsens – und das kann nicht verwundern, hat doch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Krise noch gar nicht richtig begonnen.

Jan Pieter Krahnen

Einmal Experte, immer Experte

Der vielbeschäftigte Jan Pieter Krahnen sitzt übrigens auch im Gesellschafterbeirat der True­Sale­International GmbH, die 2004 als Initiative von dreizehn Banken „zur Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes“ ins Leben gerufen wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten unter anderem die Bayerische Landesbank, Commerzbank und HSH Nordbank, die KfW Bankengruppe und die WestLB. Die TSI will erklärtermaßen eine „Plattform für die deutsche Verbriefungsindustrie und ihre Themen schaffen und dabei auch die Brücke zu Politik und Wirtschaft schlagen“.

In der Vergangenheit ist das hervorragend gelungen, denn auch der umtriebige Jörg Asmussen (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (Wenn sich der Bock zum Gärtner macht), war Mitglied im Gesellschafterbeirat der TSI und obendrein im Aufsichtsrat der Euler Hermes Kreditversicherungs AG, der IKB Deutsche Industriebank AG oder der Deutsche Postbank AG. 2006 pries Asmussen genau die Strategien, die ohne Umwege in die Finanzkrise führten, als Zukunftsmodell an:

Folgerichtig hat das BMF (Bundesministerium für Finanzen, AdR) die True-Sale-Initiative von Anfang an aktiv begleitet. Das im Bereich der synthetischen Verbriefung bereits erfolgreich begonnene Projekt „Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes“ konnte – wie sich heute zeigt – auf das Segment des True-Sale-ABS-Marktes (ABS= Asset Backed Securities, AdR) erfolgreich ausgeweitet werden. Erfreulich ist, das diese Initiative von den großen Banken aus allen Teilen der Kreditwirtschaft getragen wird und mit der TSI GmbH eine Gesellschaft etabliert wurde, die durch Bereitstellung von deutschen Zweckgesellschaften und Gütesiegeln für Transaktionen die ABS-Aktivitäten an den Standort Deutschland (ABS made in Germany) bindet.

Jörg Asmussen

Doch die Ernennung zum Experten ist in Deutschland offenbar irreversibel. Und so sitzt Jörg Asmussen derzeit im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und – wie sollte es anders sein? – im illustren Kreis der Gruppe „Neue Finanzarchitektur“.

Seinen ehemaligen Vorgesetzten Klaus Regling wird es freuen. Der Generaldirektor für Wirtschaft und Währung in der Europäischen Kommission, der früher auch schon Geschäftsführer der Hedge-Fond-Experten „Moore Capital Strategy“ war, hält Asmussen für einen „sehr guten Ökonom“.

Kein Wunder also, dass nach aktuellen Agenturberichten schon die nächste Aufgabe wartet. Asmussen soll auch dem neuen Gremium angehören, das Großbürgschaften und -kredite im Gesamtumfang von 100 Milliarden Euro an in Not geratene Unternehmen vergeben kann.

Die Forderung, die LobbyControl mit Blick auf die EU-Kommission erhebt, gilt somit ganz sicher auch für die deutsche Bundesregierung.

Anstelle eine Expertengruppe mit einseitiger Ausrichtung und starken Verbindungen zum Finanzsektor damit zu beauftragen, hinter verschlossenen Türen Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise auszuarbeiten, wäre ein offener und transparenter Konsultationsprozess nötig. Die EU-Kommission sollte zudem eine Untersuchung einleiten, inwiefern die Lobbyarbeit der Finanzindustrie zum Entstehen der Krise beigetragen hat.

LobbyControl